Varunna seufzte. Damit war es wohl vorbei mit der heiteren Stimmung. Wie konnte er auch fröhlich sein, wenn er wusste, welchen Kummer Dabog und Raya quälten? Um den Schein zu wahren, blieb er noch ein wenig sitzen und machte noch ein paar Scherze, dann machte er sich ebenfalls daran, sich zurückzuziehen. Tyrande und Cerunnos, aber auch Ismala und Gwydyon, nahmen seinen Weggang sowieso kaum wahr, denn sie waren noch immer tief ins Gespräch vertieft. Da schien sich wirklich etwas anzubahnen. Varunna gönnte ihnen dieses Glück, doch für ihn wurde es Zeit. «Dann also gute Nacht!» sprach er «Morgen brechen wir also, wie abgemacht, gleich nach Anbruch des Tages, Richtung Darnassus auf.» Die Angesprochenen nickten halbherzig und unterhielten sich dann weiter angeregt. «Kaum zu glauben!» hörte Varunna Dabogs Stimme: «Nachtelfen und Blutelfen so in Eintracht vereint, so etwas sieht man nur selten. Schade, dass noch immer so viele Konflikte zwischen Horde und Allianz bestehen. Eigentlich völlig sinnlos!» «Und das von einem einstigen Herzblut- Krieger wie dir!» lachte der Tauren. «Ja. Das war einmal. Sollte ich irgendwann tatsächlich wieder einen geeigneten Körper finden, dann will ich aufhören immer in den Krieg zu ziehen. Vielleicht werde ich Paladin oder sogar Druide.» «Dann wärst du der erste menschliche Druide von Azeroth! Das ist dir hoffentlich klar, oder?» «Eigentlich schade, dass es keine Druiden unter den Menschen gibt. Dabei wäre es höchste Zeit, dass auch die Menschen sich so mit der Natur zu verbinden lernen, wie es die Nachtelfen und Tauren vermögen. Immerhin erlebe ich nun hautnah, wie ein Druide denkt und kriege auch gewisse Fähigkeiten mit. Zudem war ich sogar schon im Smaragdgrünen Traum. Also was spricht dagegen?» «Frag nicht mich! Ich persönlich, hätte nichts gegen Menschen Druiden. So, nun wird es aber Zeit, dass ich mich aufs Ohr legen. Wir wissen nicht, was uns Morgen noch alles erwartet.»
****************************************
Es war bereits tiefste Nacht und alle Lichter waren im Gasthof schon ausgegangen, als eine schmale Gestalt aus einem der Fenster sprang und in der Finsternis verschwand. Sie wurde Teil der Schatten und pirschte sich an den Wachen vorbei, welche hier nicht sonderlich darauf achteten, wer den Stützpunkt verliess, als vielmehr darauf, wer ihn betreten wollte. So konnte die Gestalt ohne Probleme nach draussen in den Wald gelangen. Sie trug einen schwarzen Gugel, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Kurz schimmerte ein leuchtendes, blaues Augenpaar darunter hervor. Zwei Ausbuchtungen oben am Kopf, deuteten die kleinen Hörner an, die der Gestalt aus dem Kopf wuchsen. Es war Linus! Er hatte gewartet, bis alle schliefen, um dann hinaus in den Wald zu gehen, um irgendwo ungestört zu sein.
Das Schicksal von Dabog und jenes seiner geliebten Tante Balduraya, liess ihm keine Ruhe. Er war nun bereits wieder gewachsen. Jeden Tag schien es etwas schneller zu gehen und er war nun bereits ca. 11 Jahre alt. Je älter er wurde, umso mehr Fähigkeiten entdeckte er bei sich selbst. So konnte er tatsächlich eins mit den Schatten um sich werden, sich sogar teilweise dematerialisieren. Ausserdem konnte er schon einige Zauber wirken, welche sehr der Hexenmeistermagie ähnelten.
Er wollte nicht glauben, dass es keinen Weg für die beiden Liebenden geben sollte, endlich richtig zusammen zu sein und darum versuchte er sich, an einem völlig neuen Zauber, einem Zauber, von dem er allerdings noch nicht genau wusste, wie oder ob, er überhaupt funktionieren würde. Er hatte ein paar Haare von einem der Kaninchen im Stützpunkt mitgenommen und sprach nun eine Zauberformel, welche ihm erst vor kurzem in den Sinn gekommen war.
Wie in Trance, begann er nun aus dem Lehm des nahen Baches eine Gestalt zu formen. Die Haare knetete er mit in den Lehm hinein. Er war äusserst geschickt dabei, seine Hände bewegten sich flink und zielsicher und als er aus der Trance erwachte, war er selbst erstaunt über sein Werk. Es sah wirklich genauso aus, wie das lebensechte Abbild eines Kaninchens. Immer weiter Beschwörungen murmelnd, nahm der Junge nun ein kleines Messer und schnitt sich in den Finger. Dann liess er das Blut auf das Bildnis des Kaninchens tropfen. Dieses leuchtete kurz auf «Wasser und Erde, belebt durch Blut!» sprach er dann. Er legte seine Hände über das Abbild und wob einen Feuerzauber, ähnlich wie der, den auch Gwydyon beherrschte und die Kaninchenfigur stand für einen kurzen Moment in Flammen. «Das Feuer… gibt den Impuls zum Leben!» rief der Junge «Und nun… erwache!» In diesem Augenblick spross auf einmal Fell aus dem Abbild des Kaninchen, Muskelgewebe und Fleisch bildete sich und kurz darauf sass ein süsses, weisses Kaninchen zu Linus Füssen, welches ihn mit grossen Augen anschaute. Linus unterdrückte einen Jubelschrei. Es war gelungen! Er hatte tatsächlich eine beinahe identische Kopie des Kaninchens erstellt, von dem er die Haare gehabt hatte! Das war ein äusserst wichtiger Durchbruch in seiner Karriere als junger Halb-Dämon. Wenn er dieses Kaninchen zu erschaffen vermochte, dann vermochte er vielleicht auch irgendwann einen Elfen oder Menschenkörper zu erschaffen. Er brauchte nur etwas Erbgut dazu, etwas feuchten Lehm, einige magische Beschwörungen und… schliesslich etwas, das das Gefäss, das er erschuf, auch dauerhaft mit Leben zu erfüllen vermochte. Und genau da lag der Hund begraben! Er wusste nicht, wie er seine selbsterschaffene Kreatur, dauerhaft am Leben erhalten konnte, denn noch war sie allein durch Magie lebensfähig. Sie hatte auch keine Empfindungen, wie eine wirklich lebende Kreatur. Keine Seele und dadurch keinen wirklichen Lebensfunken. Linus wusste auch nicht, ob ein solcher, selbst erschaffener Körper, überhaupt jemals beseelbar war und er die Voraussetzungen für ein wahres, ein beständiges Leben besass. Zweifel ergriffen ihn auf einmal. Was versuchte er sich auch an solchen Experimenten? Wahres Leben vermochten nun mal nur die Götter zu geben! Zumindest war er aber schon in der Lage ein Gefäss, das für eine gewisse Zeit lebensfähig war, zu kreieren.
Vielleicht konnte eine Seele darin einziehen und es somit vervollständigen. Eine humanoide Rasse zu erschaffen, war jedoch noch ein grosses Stück schwieriger. Nun… er würde es weiter probieren!
«Du versuchst dich da an einer eher fragwürdigen Praxis!» erklang auf einmal eine schleppende Stimme hinter ihm. Eschrocken fuhr der Junge herum. Vor ihm stand Aeternias. Er konnte ganz deutlich seine funkelnden Augen und seine Gestalt erkennen, denn Linus Augen konnten auch im Dunkeln recht gut sehen. Ein Erbe seiner dämonischen Mutter Vilevere. «Aeternias! Was machst du denn hier?» «Du solltest wissen, dass die Verlassenen keinen Schlaf brauchen. Wir wandern oft in der Nacht herum, wenn alle schlafen.» «Aber… warum bist du mir nachgeschlichen?» «Nun… ich wollte nur schauen, dass dir nichts passiert,» erwiderte der Untote und in seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck. Linus fühlte sich ertappt und sprach schnell: «Ich wollte versuchen, einen Körper zu erschaffen, in den Dabogs Seele vielleicht mal einziehen kann.» «Dabogs Seele?» fragte der Verlassene und zog seine Brauen hoch. In diesem Moment wurde Linus klar, dass er sich verplappert hatte. Alle ausser Raya, Tyrande, Varunna und er selbst, wussten nichts davon, dass Dabog sich im Körper des Tauren aufhielt. So stotterte er «Ja… falls Dabog wieder mal zu uns zurückkommt.» «Er ist ja bereits unter uns,» sprach Aeternias emotionslos. «Das ist nicht wirklich Dabog, es ist… nur seine alte Hülle und seine Seele kann ja nicht wirklich in sie zurück. Und wenn es auch nochmals ginge, auf Dauer wäre das kein Zustand. Dabog braucht einen richtigen Körper keinen…» «keinen solchen wie den meinen, meinst du.» «Ja…» erwiderte Linus etwas verlegen. «Aber was ist daran so schlecht? Ich fühle mich gut, als einer der Verlassenen.» «Du hast ja auch… keine Seele mehr!» entfuhr es dem Jungen. «Das hat dich bisher auch nie gestört.» «Nein, aber es geht eben um Tante Raya… sie scheint viel für Dabog, also seine Seele, übrig zu haben und sie hat sich trotz der Umstände in ihn verliebt.» «Sie ist verliebt in Dabog?» Aeternias horchte auf und plötzlich musste er wieder an seine einstige Liebste Egeria denken. Er versuchte sich einmal mehr zu entsinnen, wie sich die Liebe damals angefühlt hatte, doch irgendwie gelang es ihm einfach nicht richtig. Eine seltsame Schwere, ergriff jedoch auf einmal von ihm Besitz und seltsame Gefühle flammten in ihm auf, die er sonst nie empfand. War es so etwas wie Mitgefühl? Nein das konnte nicht sein! Ausserdem war er sowieso wegen etwas ganz anderem hierhergekommen. Noch wusste Linus nichts davon und er vertraute Aeternias weiterhin.
«Es wird Zeit, dass wir wieder zurückgehen. Du brauchst deinen Schlaf Junge, nicht so wie ich.» meinte Aeternias «Komm mit mir!» Linus nickte und folgte dem Untoten. «Ich kenne eine Abkürzung,» sprach Aeternias und ein unheimliches Funkeln, glomm für einen kurzen Moment in seinen Augen auf. Linus aber sah es nicht. Auf einmal jedoch fühlte er einen brennenden Stich in der Seite und in diesem Moment wurde ihm schwarz vor Augen! Aeternias stand mit einem kleinen Dolch, über dem nun bewusstlosen Jungen. Von der Waffe, tropfte noch ein wenig von dem Gift, dass er diesem gerade verabreicht hatte und ein finsteres Grinsen, lag auf seinem Gesicht…