Endlich bot sich dem Blutelfen eine Möglichkeit, auf die er schon lange gewartet hatte. Einer der Hexenmeister hielt sich etwas abseits von den Zelten auf und sogleich wob Gwydyon seinen ersten Zauber. Er hob seine Hände und sandte einen Schattenblitz gegen den Gegner. Ein violett-weisser Blitz traf diesen mitten in die Brust und er sank zu Boden. Doch er hatte wie alle Hexenmeister einen Begleiter an seiner Seite, in diesem Fall einen kleinen leuchtenden Wichtel, welcher sofort zum Gegenangriff überging. Gwydyon wirkte einen weiteren Zauber, der den Wichtel einen Augenblick lang unbeweglich machte. Diesen Moment nutzte er, um seinen Leerwandler zu beschwören. Noch hatte er keine Abnahme seiner Kräfte gespürt, zum Glück! Banar kam sogleich und stellte sich schützend vor seinen Meister. Als der Wichtel sich wieder bewegen konnte, ging der Leerwandler sogleich zum Angriff über und traf den Wichtel mit einem mächtigen Schattenschlag. Dieser taumelte, griff aber sogleich wieder an, ein Feuerblitz kam aus seinen spitzen Fingern mit den langen Klauen und traf Banar ebenfalls ziemlich hart. Doch der Leerwandler war zäh und schlug mit alle Kraft zurück.
Während sein Dämonenhelfer sich um den Dämonenhelfer des Gegners kümmerte, kauerte Gwydyon neben dem, ausser Gefecht gesetzten Hexenmeister nieder, schleppte ihn hinter einen der vielen, weissgrauen Ruinensteine und zerrte ihm die Robe vom Leib. So schnell er konnte, zog er sich diese über und in der Zwischenzeit hatte Banar der Wichtel auch schon erledigt, denn Leerwandler konnten einiges mehr einstecken und härter austeilen als jene. „Gut gemacht Banar!“ sprach Gwydyon. „Er wird Zeit, dass wir uns mal etwas unters Volk mischen. Ich hoffe die Dämonen erkennen nicht sogleich, dass ich eigentlich nicht zu ihnen gehöre.“ „Das wird sich zeigen“, erwiderte der Leerwandler mit seiner tiefen, dumpfen Stimme. Der Blutelf atmete tief ein und ging dann näher an die Zelte heran. Die ersten Dämonen begegneten ihm, doch sie beachteten ihn kaum. Für sie sahen all ihre Lakaien gleich aus. Gwydyons rasender Puls, beruhigte sich etwas, doch er achtete darauf, dass er keinem der andern lebenden Hexenmeister über den Weg lief, denn diese hätten ihn wohl eher als einen Fremdling erkannt. Das war der Unterschied zwischen Lebenden und Dämonen.
Alles lief gut und schon erreichte er das Zelt, aus dem die lauten Schreie von Vilevere drangen. Er schlüpfte hinein und erblickte im Licht einige Fackeln die Sukkubus, welche auf einem Lager aus Fellen und Häuten lag. Sie wirkte mitgenommen, ihr Gesicht war von Schmerz verzerrt. Gwydyon erschrak über ihren gewaltigen Bauch, der nun mit schwarzen, dämonischen Schriftzeichen bemalt war und seltsame Wellen schlug, weil etwas sich darunter regte, etwas Unheimliches, unnatürlich Grosses. Er keuchte auf, einen Moment lang war er wie gelähmt von dem schrecklichen, grotesken Anblick, der sich ihm darbot. Doch sogleich begann sein Verstand wieder zu arbeiten. Er blickte sich um und schätzte die Lage ein. Eine andere Sukkubus mit einem violettem, knappen Gewand und ein orcischer Hexenmeister knieten neben Vilevere und murmelten ein paar Beschwörungen. Vermutlich um das bald auf die Welt kommende Kind, möglichst früh auf seine dämonische Seite zu prägen. Hilfe hatte Vilevere sonst nicht, keiner der ihr beistand um die Geburt ein wenig zu erleichtern. Das war so bei den Dämonen, jeder kämpfte für sich allein und sie schlossen sich nur zusammen, wenn unbedingt nötig. Gwydyon hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Sofort wob er einen mächtigen Verstummungszauber. Wie ein zäher Nebel, legte sich dieser auf alle Anwesenden und liess alle erstarrem. Die Szenerie schien für einen Moment lang wie eingefroren und er sandte zuerst einen Feuerblitz gegen den Hexenmeister, ehe dieser überhaupt dazu kam, seinen Helfer zu beschwören. Dann streckte er seine Hand aus und zog das letzte Leben aus dessen Körper. Seltsam verdorrt, wie ein Blatt im Herbst, sackte der fremde Hexenmeister zu Boden und blieb reglos liegen. „Banar!“ rief er „schnapp dir die fremde Sukkubus und achte darauf, dass sie nicht schreit!“
Dann lief er zu Vilevere, welche mit nun angsterfüllten Augen auf ihrem Lager lag und sich unter der nächsten Wehe krümmte. Sie konnte ihm im Augenblick nichts entgegensetzen, denn sie war zu schwach und so bleich wie der Tod. Gwydyon hatte einen Augenblick lang fast Mitleid mit ihr, doch dann verdrängte sein Hass dieses Gefühle wieder. Er packte die Sukkubus mit einer Hand an der Kehle und schaute nach, wie weit das Kind schon draussen war. Er sah bereits dessen erstaunlich dichten, dunklen, mit Blut und Fruchtwasser verschmierten Schopf. Noch eine Wehe und das Kind rutschte noch ein Stück heraus. Nun war schon der ganze Kopf zu sehen. Der Blutelf machte kurzen Prozess, packte das Kind am Nacken und zog es heraus. Vilevere schrie dabei schmerzerfüllt auf, doch es musste schnell gehen, Gwydyon musste ihr das Kind sogleich wegnehmen, bevor weitere Dämonen oder Hexenmeister hier auftauchten. Banar war noch immer in den Kampf mit der anderen Dämonin verwickelt und diese war ziemlich stark. „Banar…“ sprach er mit leichtem Bedauern in der Stimme „Ich werde dich opfern müssen, ich muss hier schnellstmöglich verschwinden.“ Er konnte den Leerwandler jederzeit wieder beschwören, dennoch fiel es ihm nie leicht, wenn er einen seiner Begleiter auf diese Weise opfern musste. Er wickelte das Kind in seinen Umgang und eilte nach draussen… Vilevere nahm ihre allerletzte Kraft zusammen und floh in den wirbelnden Nether…
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