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Nachdem sich Ruby mit ihrem Teddy, einer Schere und Yb durch den Zaun davon geschlichen hatte, lag noch eine weite Reise vor ihr. Sie musste stundenlang durch die Wälder und Wiesen stampfen, die das Schloss ihrer Eltern umgaben. Sie musste durch kleine Bäche waten und machte dabei ihre blauen Schuhe und die hübschen weißen Socken nass. Und die ganze Zeit musste sie aufpassen, dass man sie nicht entdeckte.
Sie hatte keine Ahnung, was man mit einem kleinen Mädchen machen würde, das ganz allein in einem Krieg herumspazierte.
Wenn dich die Soldaten des anderen Königs finden, dann werden sie dich vielleicht töten oder gefangen nehmen wie Luminor. Aber wenn du tot oder gefangen bist, kannst du ihn nicht mehr befreien. Also dürfen sie uns nicht finden.
Ruby nickte. Das hatte sie verstanden. „Aber warum soll ich mich denn auch vor den Soldaten von Papa verstecken?“
Wenn dich die Botschafter deiner Eltern entdecken, werden sie dich sofort nach Hause bringen. Dort werden deine Eltern dir Hausarrest verpassen. Aber wenn du zuhause bist und nicht gehen darfst, kannst du Luminor auch nicht mehr retten.
Es war erstaunlich, was Yb alles über Krieg wusste. Ruby wäre ohne sie völlig verloren gewesen. So jedoch fühlte sie sich viel mutiger, weil sie ja nicht alleine war.
Plötzlich gab Yb einen warnenden Laut von sich.
Pass auf, Ruby! Duck dich!
Ruby kauerte sich schnell hinter einen großen Strauch. Dann sah sie, was Yb erschreckt hatte – vor ihnen brannten Feuer in der Nacht. Laute Stimmen drangen zu Ruby herüber und machten ihr Angst.
„Was ist das?“, fragte sie ängstlich.
Das sind Soldaten, Ruby, antwortete Yb. Wir müssen uns an ihnen vorbei schleichen.
Ruby schluckte, dann nickte sie tapfer. Sie schob sich Stück für Stück vorwärts, mit klopfendem Herzen. Sie kam auf einen Hügel, von dem aus sie die Soldaten um den Schein eines großen Feuers sitzen sehen konnte.
Da bemerkte Ruby eine Gestalt, die etwas außerhalb an einen Baum gefesselt war. Sie verengte die Augen und sah genauer hin: „Das ist Lumin!“, rief sie laut und schlug im nächsten Moment erschrocken die Hand auf den Mund. Doch die Soldaten hatten sie nicht gehört.
Du hast recht, Ruby. Das ist Luminor.
„Dann befreie ich ihn jetzt!“, sagte Ruby grimmig und stand auf. Sie zog die Schere langsam aus ihrer Tasche und ließ dazu mit einer Hand ihren Teddy los. Sie kümmerte sich nicht mehr darum, dass die Soldaten sie jetzt sehen könnten. Mit einem leisen Kampfschrei stürmte Ruby direkt unter die bösen Soldaten, die ihren Bruder gefangen hatten.
Es war ein bisschen so, als hätte das Lagerfeuer von ihr Besitz ergriffen, nur dass Ruby nicht brannte. Aber sie spürte die Kälte der Nacht nicht mehr und sie spürte einen Hass, der ebenso brennend war wie das Feuer.
Ruby brüllte wie ein kleines Tier. Die Soldaten, die nicht schnell genug in die Dunkelheit flüchteten, stach Ruby mit ihrer Schere. Sie prügelte sogar mit den Fäusten auf die Männer ein.
Es fühlte sich gut an, den Leuten weh zu tun, die sie so lange von ihrem Bruder getrennt hatten. Die Soldaten gerieten in Angst und rannten davon. Als auch der letzte Soldat geflohen war, sank Ruby erschöpft auf den Boden. Sie war sehr müde geworden.
„Ruby!“, rief Lumin leise. Ruby ging zu ihm und trennte mit der Schere seine Fesseln auf. Lumin umarmte sie, aber er war schwach und müde, noch müder als Ruby.
„Gehen wir nach Hause!“, sagte Ruby entschlossen. Lumin nickte.
Die Schere tat Ruby in ihre Tasche, obwohl diese kaputt gegangen war. Beim Kampf hatte sie sich gelockert, und als Ruby Lumin befreit hatte, war die Schere in zwei Teile zersprungen. Trotzdem wollte Ruby sie mitnehmen, denn vielleicht konnte Pa sie ja reparieren.
„Ich habe dich befreit!“, sagte sie zu Lumin. „Und jetzt bringe ich dich nach Hause.“
Das hast du gut gemacht, Ruby. Los, wir wollen die Straße nehmen. Vielleicht sehen uns die Botschafter deines Vaters und bringen uns heim. Die bösen Soldaten haben wir jedenfalls vertrieben!