19.09.2019 von 20:40 bis 21:40 Uhr
Mitternachtsritt
Kühler Wind streifte seine Wangen, als Rosco mit seinem Hengst durch die Allee ritt. Der Schein des Vollmonds brach mit jedem Baum, an den er vorbeiritt und so wurde sein Mitternachtsritt durch den flackernden Wechsel aus silbrigem Licht und Dunkelheit begleitet. Sicherlich hätte ihn dieser stete Lichtwechsel irritiert, wären da nicht auch die Leuchtkäfer gewesen, die ihm mit ihrem laternenartigen Schein den Weg wiesen. Ohne diese kleinen Helfer hätte er jetzt sicherlich große Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Denn seine Laterne hatte er bewusst zurückgelassen. Immerhin sollte man sie nicht so leicht entdecken.
Der junge Mann lächelte verträumt und sein Blick glitt immer wieder vom Weg ab zu den Sternen, um Gott für die Person zu danken, die ihn begleitete. Derweil wurde sein Rücken von Sara gewärmt, die sich an ihn schmiegte und zufrieden lächelte, da sie sicher war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Der ganze Ritt war eine spontane Handlung gewesen. Sicherlich auch eine Kurzschlussreaktion. Aber Rosco konnte nicht anders, sein tiefstes Inneres hatte danach geschrien, nach Belaris zu reisen. Sein Herz befahl es ihm.
Denn eigentlich taten er und sie mit diesem Ritt etwas, was nie hätte passieren sollen.
Rosco, ein bloßer Kurier und Sara, die Tochter des Grafen. Aber Gott war den beiden wohl gnädig und so ließ er es geschehen.
Das Kennenlernen der beiden lag schon ein paar Jahre zurück. Es war sein erster Tag als Kurier gewesen und er war ziemlich nervös. Nie zuvor hatte man ihn zu Adligen vorgelassen, doch da er bereits als Kurier einiger namhafter Händler tätig war und sie äußerst zufrieden mit seiner Arbeit waren, hatte der Graf bald sein Interesse für ihn entdeckt und ihn zu sich rufen lassen. Zittrig waren seine Knie gewesen, etwas blass sein Gesicht. Dennoch lächelte er und versuchte, trotz Nervosität einen guten Eindruck zu machen.
Und tatsächlich, der Graf beauftragte ihn noch am selben Tag damit, eine wichtige Nachricht an den König zu bringen. Ehrfürchtig nahm er den versiegelten Brief entgegen und wollte hinauseilen, als er Sara entgegentrat. Fast wären sie ineinandergelaufen.
Die Stille, die zwischen ihnen herrschte, als sie so voreinanderstanden ... wie er schließlich sich hektisch verbeugt hatte und entschuldigt, dass er nicht besser aufgepasst hätte ... Als er hinausgetreten war, bereute er ein wenig, solch einen unbeholfenen ersten Eindruck gemacht zu haben. Er sorgte sich, was sie über ihn denken könnte und ob es schlechte Nachwirkungen mit sich ziehen würde, wenn sie dem Grafen davon erzählte - zumindest dachte er, dass das der Grund für seine Sorge sei. "Bauerntölpel" hatte er sich selbst genannt und hätte sich fast eine Ohrfeige verpasst, doch ermahnte er sich, keine Zeit zu verlieren und schnell den Brief zu überliefern.
Ihre Begegnungen häuften sich mit der Zeit. Bald kamen sie sogar in Gespräche, tauschten sich ein wenig über ihre Interessen aus, fragten, wie der Tag des jeweils anderen war. Ein Bürgerlicher und eine Adlige. Zwei verschiedene Welten. Die Faszination wuchs immer mehr an und immer weitere Gemeinsamkeiten wurden entdeckt. Er überwand sich sogar, ihr ein paar Lieder vorzuspielen.
"Das klingt aber ein wenig schief", lachte sie über sein fehlendes Taktgefühl. Aber die Texte seien schön.
Etwas rötlich hatte er ihr erklärt, dass sein Wunsch es eigentlich war, Barde zu werden und es genau sein Taktgefühl war, welches ihm einen Strich durch de Rechnung machte. Aber ein Leben als Kurier sei auch nicht schlecht.
Sie nickte verständnisvoll und sagte, dass man sich oft nicht aussuchen könne, was für ein Leben man führt. Aber mit der richtigen Unterstützung könnte man selbst das schier Unmögliche möglich machen, dessen war sie sich sicher.
Zuerst verstand er nicht, was sie damit meinte. Als dann aber einige Tage später bei ihm Zuhause ein anderer Kurier an die Tür klopfte, um ihm einen Brief zu überliefern, wurde ihm klar, was sie meinte. Es waren nur wenige Worte gewesen, die für Außenstehende vage und unbedeutend wirken mochten, für ihn aber die Welt bedeuteten, da sie ihm auch ihre Gefühle mitteilten:
"Ich werde dich zum Barden machen."
Und so war er kurzerhand losgezogen, um sie zu holen.
Nun saßen sie auf seinem Hengst, eingehüllt im Mondschein und genossen ihre Zweisamkeit, während sie auf dem Weg waren, ein neues Leben anzufangen. Zusammen und so, wie sie es wollten.
Sanft strich er über ihre Hand, die sich auf seinem Oberbauch gelegt hatte.
Sie kuschelte sich an ihn und schloss die Augen.