23.10.2019 von 17:55 bis 18:31 Uhr
Der Raum war geflutet von Dunkelheit, die nur schwach von einzelnen Kerzenständern vertrieben wurde. Nebelschwaden schlängelten sich über den schachgemusterten Boden, als seien sie verzweifelt auf der Suche nach etwas, das sie vor langer Zeit verloren hatten.
Relorick kniete ehrfürchtig in der Mitte des Raumes und wartete darauf, dass sich etwas regte. Dann, nach einer Zeit, in der die meisten sicherlich schon aufgegeben hätten und gegangen wären, entflammten weitere Kerzen und hüllten den Raum in schummriges Licht, das nun auch den Blick auf die Treppenstufen freigab, zu deren Füßen Relorick sich wohlwissend positioniert hatte.
Weiter oben wurde eine Gestalt sichbar. Der große, breite Körperbau wurde vom schattenhaften Umhang untermauert, der sachte von einem kleinen Luftzug umhergetragen wurde, welcher sich in die majestätische Kathedrale verirrt hatte.
Nur zögerlich wagte Relorick, zu sprechen. So verhallten seine Worte im Raum. Leise, unsicher, sprach er: "Herr, ich habe gesündigt."
Das große Wesen drehte sich langsam zu ihm um. Es offenbarte sich ein dunkelroter Kopf, dessen Hörner an beiden Schläfen noch größer waren, als Reloricks. Das Wesen trug eine Robe aus schwarzem Stoff, das aus dem Schatten selbst hätte entspringen können. Die goldenen Verzierungen verleiteten regelrecht zur Gier.
Relorick wartete, bis die Gestalt sprach, ehe er fortfahren wollte.
"Sprich weiter", erklang es rau im Raum.
Er nickte und fuhr fort: "Als ich im Diesseits der Erde war und versuchte, an Lebensenergie für Euch zu kommen, begegnete ich einem Menschenmädchen. Zuerst wollte ich mir sie als Opfer nehmen, doch bemerkte sie mich unglücklicherweise. Statt aber zu versuchen, mich zu vertreiben oder sich in Sicherheit zu bringen, sprach sie mich freundlich an. Perplex, wie ich war, wusste ich natürlich nicht, wie ich reagieren sollte. So zog ich mich zunächst zurück, aber ..." Er schluckte und blickte zur Seite. "Mir kam das Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Es war so fremd, so neu, dass man keine Angst vor mir hatte oder keinen Hass verspürte, also ... kam ich wieder. Ich kam wieder zum Menschenmädchen und begann ein Gespräch mit ihr." Seine Stimme verhallte im Raum. Jedes dieser Worte schien ihm die Last von der Seele zu nehmen, die ihm seither überallhin gefolgt war. Es tat ihm gut, zu beichten, was er für einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Mit Menschen in Kontakt zu treten war eine Todsünde. Sie waren nichts weiter, als Quellen für Lebensenergie, die er als Opfergabe an seinen Gott darzubieten hatte. Sich mit ihnen anzufreunden kam gar nicht infrage. Und doch ... "Mit der Zeit freundete ich mich mit ihr an. Wir redeten und redeten, als gäbe es keinen Morgen. Ihr glaubt ja nicht, wie faszinierend-" Er stockte und schüttelte den Kopf. "Bitte vergebt mir, ich kann so nicht mehr ..." Wohlwissend, was ihn erwarten würde, ließ er diesen Satz unvollendet.
Lange ließ die große Gestalt sich Zeit. Zeit, in der Relorick dachte, den Zorn seines Gottes nur weiter befeuert zu haben, wie er dort kniete und seines Herren Zeit beanspruchte. Es tat ihm leid. Das alles tat ihm leid. Dass ihm auch das Mädchen irgendwie leidtat, dafür hasste er sich. Mehr noch, als für seine Schwäche, nachgegeben und sich mit ihr angefreundet zu haben.
Dann endlich rasselte ihr Atem durch den Raum und sie sprach mit dröhnender Stimme: "... Du weißt, was es bedeutet, zu sündigen. In unseren Kreisen wird nicht einfach vergeben und so musst du die volle Konsequenz tragen."
Relorick hatte den Blick gesenkt. "Jawohl, Herr."
"Dann gehe nun, töte das Mädchen und dann dich selbst. Auf dass dir vergeben wird und du keine weitere Schande mehr über uns erbringen kannst. Nun geh!"
Schweigend stand Relorick auf und machte sich auf den Weg.
Er hatte einen Gott zu besänftigen und seine Seele zu erretten. Auch, wenn es ihn innerlich immer noch schmerzte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich dafür zu hassen.