Du bist kein Bär!
(Flauschbärentag 2022)
((Außerdem Beitrag zum
Stichwort "Koala" der
Crikey!-Challenge.))
Es begab sich einmal, da kam ein gar merkwürdiger Geselle in das geheime Tal der Teddybären. Ein grauer Koala nämlich, der höchst flauschig war, bärenförmig und gedrungen, von kuscheliger Teddygestalt. Doch den Teddybären war sofort klar: Der ist ja gar kein Bär! Sondern ein Beutelsäuger, und das ist etwas ganz anderes. Zwar wird auch der Koala manchmal Bär genannt, aber nur, weil etwas wie ein Bär aussieht, muss es noch lange kein Bär sein.
Dieser Nicht-Bär bat nun aber darum, in die Teddybärenschule aufgenommen zu werden, um ein richtiger Traumwächterteddybär zu werden, und das stellte die Teddybären vor große Schwierigkeiten. Sogleich wurde der Bärchenrat einberufen, um über diesen schwierigen Fall zu beraten.
"Er ist doch kein Bär!", das hörte der kleine Koala Puschel natürlich nicht gerne, und seine Hoffnung sank, dass der Rat zu seinen Gunsten entscheiden würde. Traurig ließ er den Kopf hängen. Da ging er hin, sein großer Traum davon, ein tapferer Albtraumbekämpfer zu werden! Seine Eltern hatten ihm gesagt, dass er keine Chance haben würde, aber er hatte es wenigstens versuchen müssen. Es gab so Träume, die durfte man nicht aufgeben, auch wenn sie hoffnungslos erschienen. Jetzt sah aber alles sehr, sehr finster und hoffnungslos aus! Puschel seufzte schwer.
Nun war das Teddyreich natürlich auch ein sehr flauschiges Land, und wenn dort jemand den Kopf hängen ließ und einen großen, traurigen Seufzer ausstieß, so fiel das auf. Also dauerte es nicht lange, und jemand tippte dem Koala auf die Schulter. Er drehte sich um, und da standen zwei Teddys vor ihm.
"Was hast du denn?", fragte der eine besorgt, dessen Fell golden war. "Alles in Ordnung?"
"Ach", sagte Puschel nur. "Ich fürchte, ich werde niemals ein richtiger Teddy sein!"
Der goldene Teddy sah ihn mitleidig an. Aber der braune Teddy neben ihm musterte Puschel. "Na ja, vielleicht hast du keine so guten Noten in Kuscheligkeit. Ich kann mir vorstellen, dass ein paar Kinder erschrecken, wenn du plötzlich vor ihnen stehst. Das ist natürlich schwierig, wenn du sie eigentlich beruhigen sollst." Dann bemerkte die braune Bärin die Blicke ihres goldenen Freundes und schlug die Tatzen vor den Mund. "Verzeihung, ich meinte das nicht so! Ich wollte nur sagen, wenn du dich in anderen Fächern stark anstrengst, müsstest du es ja doch schaffen." Sie ließ die Pfoten hängen. "Ich bin zum Beispiel nicht so gut im Trösten. Da habe ich immer schlechte Noten. Aber dafür kann ich super beschützen!" Sie nahm eine kriegerische Pose ein und fletschte die Zähne gegen einen imaginären Albtraum, um ihn abzuwehren.
"Ich bin Brummy", sagte der goldene Teddy und reichte Puschel die Hand.
"Und ich bin Flauschohr!"
Puschel stellte sich ebenfalls vor.
"Dann sag mal", sagte Brummy. "Woran hapert es denn?"
Puschel überlegte. "Ich muss den Teddys einfach beweisen, dass ich es schaffen kann." Dann würden sie ihn sicher aufnehmen! Aber ... Er seufzte. "Das ist unmöglich. Solange man kein Traumwächter ist, darf man nicht zu den Menschen." Er hatte alle Regeln gelernt, und diese eine war sehr wichtig.
Brummy und Flauschohr tauschten jedoch einen langen Blick. Brummy runzelte die goldene Stirn, aber auf Flauschohrs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.
"Was ist denn?", fragte Puschel.
Brummy sah Flauschohr streng an und schüttelte den Kopf.
"Vielleicht müssen wir nicht zu den Menschen!", sagte sie trotzdem.
"Was meint ihr?"
"Flauschohr!", zischte Brummy. "Das ist gefährlich!"
Flauschohr ließ sich davon aber nicht beirren. "Wusstest du nicht, dass auch Teddybären Albträume kriegen?"
Staunend schüttelte Puschel den Kopf. Er hatte so vieles über die Teddys gelernt, aber das hatte er nicht gewusst!
"Kein Wunder, das ist ja auch super geheim. Und sehr selten." Flauschohr hüpfte ein bisschen vor Aufregung. "Aber das ist meiner Schwester passiert. Bei einem besonders fiesen Albtraum hat sie furchtbare Angst bekommen. Sie hat ihr Kind zwar beschützt, aber danach wollte sie kein Traumwächter mehr sein. Und jetzt hat sie immer noch ein paar Albträume. Wir könnten heute Nacht einen von denen vertreiben!"
"Das ist gefährlich. Und wir kriegen schlimmen Ärger!", gab Brummy zu bedenken.
"Genau das ist der Grund, warum du im Beschützen so oft durchfällst!", warf Flauschohr ihm vor.
"Machen wir es", sagte Puschel. Was hatte er schon zu verlieren?
Beide Bärchen sahen ihn an. Flauschohr war sofort begeistert und Brummy stimmte zögerlich zu, mitzukommen - wenn auch nur, um auf sie aufzupassen.
"Er hatte es erst einmal mit einem Albtraum zu tun", verriet Flauschohr Puschel flüsternd. "Im Training. Und da ist er weggerannt. Seitdem traut er sich nicht mehr."
Puschel schluckte. Albträume waren wirklich beängstigend. Aber genau davor wollte er kleine Menschenkinder ja beschützen!
Sie planten den ganzen restlichen Tag, wie sie ihre gefährliche Mission angehen sollten. Währenddessen tagte der Teddybärenrat noch immer, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Die alten Teddybären saßen alle in einem großen Kreis in ihrem geheimen Tal und Puschel wurde immer nervöser.
Was dauerte da bloß so lang? Aber wenn die alten Bären sich nicht entscheiden konnten, musste er sich eben selbst beweisen!
Dann war es schließlich Abend und sie folgten Flauschohr zu dem gemütlichen, kleinen Häuschen, das Flauschohrs Schwester bewohnte. Es lag etwas außerhalb der Teddystadt, am Rande eines Teichs.
Sie hockten sich hinter das Fenster beim Schlafzimmer und ergriffen die Teddywaffen, die sie aus dem Lager geholt hatten. Einen großen Stock, ein Schwert aus Pappe und einen großen Schild aus einem Kissen - den hatte Brummy gewählt.
Puschel wog den Stock in den Händen und warf Flauschohr einen vorsichtigen Blick zu. Sie wirkte sehr entschlossen - aber flackerte da ein bisschen Angst in ihrem Blick auf?
"Wir tun etwas Gutes", sagte sie, als sie Puschels Blick bemerkte. "Wir helfen meiner Schwester, besser zu schlafen. Das ist doch gut, oder?"
"Es ist totaler Wahnsinn!", zischte Brummy. "Wir stecken bis zum Halsschleifchen in der Patsche, wenn das jemand rauskriegt!"
"Sie müssen es aber doch rauskriegen!", wimmerte Puschel. "Sonst lassen sie mich nie in die Teddyschule!"
Seine Begleiter sahen ihn überrascht an. "Du bist noch gar nicht in der Schule aufgenommen?", entfuhr es ihnen.
"Ich dachte, du brauchst nur etwas Nachhilfe!", fiepte Brummy ängstlich.
"Kennst du überhaupt die Grundlagen?", fragte Flauschohr.
"So schwer kann das doch nicht sein ...", murmelte Puschel.
"Doch!", rief Brummy ärgerlich. "Das ist sehr schwer! Warum hast du uns das nicht gesagt? Du bist doch noch nicht bereit, dich einem Albtraum zu stellen! Wir hätten das hier niemals tun dürfen!"
"Da muss ich zustimmen."
Puschel sah seine Freunde traurig an. "Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass das so einen großen Unterschied macht. Gehen wir besser."
Ehe er sich weiter entschuldigen konnte, hörten sie plötzlich ein tiefes Knurren.
Mit drei leisen Schreien wirbelten die Bärchen herum, denn da kam ein großer Albtraum auf sie zu!
Ein wirklich furchtbarer Albtraum war es, mit Klauen und Hörnern und Zähnen und rotglühenden Augen. Die drei Freunde drängten sich dicht zusammen. Brummys Schild bebte in seinem Griff. Flauschohr dagegen sprang nach vorne und brüllte den Albtraum an, während sie das Schwert schüttelte.
Der Albtraum schlug nach ihr. Brummy schrie auf und hielt sich die Tatzen vor die Augen; den Schild ließ er dazu fallen. Flauschohr wich aber aus. Atemlos schlug sie auf den Albtraum ein, ohne innezuhalten. Lange würde sie so nicht durchhalten!
"Warte!", rief Puschel sie zurück. "Flauschohr, komm hierhin!"
Er stellte sich an ihre Seite. Dann stupste er Brummy an. "Du musst den Schild halten, Brummy! Wir müssen das gemeinsam machen!"
Vorsichtig öffnete Brummy ein Auge. "E-es geht euch gut?"
"Natürlich geht es uns gut. Halte den Schild hoch, ja?"
Brummy nahm tapfer den Schild auf.
"Blockier' die Angriffe. Flauschohr? Du und ich, wir greifen von den Seiten an. Immer abwechselnd, damit er uns nicht angreift. Er muss sich auf Brummy konzentrieren."
"Auf mich?", piepste der goldene Bär.
"Du hast ja den Schild!"
Also hob Brummy den leicht bebenden Schild. Genau wie Puschel es gesagt hatten, setzten Flauschohr und der Koala dem Albtraum zu. Dieser wurde immer kleiner und kleiner, bis er jaulend die Flucht ergriff.
Keuchend standen die drei Seite an Seite. Brummy regte sich als erster. Er blinzelte ungläubig. "Niemand wurde verletzt!"
"Aber da kommt der Ärger", murmelte Flauschohr. "Das war vielleicht doch kein so guter Plan ..."
Den Hügel herauf kamen nämlich ein Haufen großer Teddys gerannt. Puschel schluckte, als er sie erkannte: Der Teddybärenrat!
"Was ist hier passiert?", donnerte ein ergrauter Teddy, der ganz vorne marschierte, auf einen großen Stock gestützt. "Hat ein Albtraum angegriffen? Seid ihr verletzt?" Dann bemerkte er die Waffen der drei Freunde, und ihre kläglichen Blicke. "Habt ihr etwa auf eigene Faust Albträume gejagt?"
Sehr zerknirscht gestanden die drei alles, was geschehen war. Dann sahen sie ängstlich zu dem großen Teddy und all den anderen, die sie umringten, auf. Besonders Puschel bebte. Der kleine Koala war sich sicher, dass er jetzt nach Hause geschickt werden würde. Brummy und Flauschohr drückten jeder eine seiner Tatzen.
"Nun, nun", murmelte der große Teddy. "Ihr habt das gut gemacht, das kann man nicht leugnen. Gegen so einen großen, fiesen Albtraum hätten sich nicht viele behauptet. Und wie ich das sehe, hat die übermütige Flauschohr etwas Zurückhaltung und der ängstliche Brummy etwas Mut gelernt. Keine schlechte Sache. Natürlich werdet ihr eine Strafe kriegen müssen." Er strich sich durch den Bart. "Mal überlegen, ihr müsst ... die Kissen in der ganzen Teddybärenschule aufschütteln, und zwar einen Monat lang! Damit eure Mitschüler gut schlafen und keine Albträume haben."
Schweigend sah er die drei an.
"Moment mal", wagte Puschel zu fragen, "Mitschüler? Heißt das ...?" Er traute sich gar nicht, es auszusprechen.
"Nun, das ist natürlich das Ärgerlichste an der ganzen Sache." Der alte Teddy schmunzelte. "Es wäre gar nicht nötig gewesen, dass ihr drei euch in Gefahr bringt. Natürlich nehmen wir dich an der Schule an, Puschel!"
Er schnappte nach Luft. "Ehrlich?"
"Aber sicher doch. Du möchtest es offenbar unbedingt, du scheinst sehr fleißig und mutig zu sein, und heute hast du uns bewiesen, dass du uns nicht enttäuschen wirst."
"Aber ... die Beratung dauerte so lange und ..." Puschel schüttelte verwirrt den Kopf.
"Stimmt, wir hätten dir direkt Bescheid geben sollen. Aber es ist nun mal so - wir bieten eine Ausbildung zum Traumwächterbären. Und das ist irreführend, wenn man kein Bär, sondern ein Beutelsäuger ist." Der alte Teddybär nickte bedächtig. "Wir haben lange überlegt, was wir da machen. Wir könnten es nämlich Traumwächterkoala nennen. Aber wenn die Leute jetzt denken, dass du deswegen kein so guter Traumwächter wie alle Teddys bist ..."
Puschels Beine gaben vor Erleichterung nach. Er hörte gar nicht mehr zu, was die alten Teddys beredeten. Seine Freunde hockten sich mit ihm auf dem Boden.
"Ich werde ein Traumwächter!", stieß er ungläubig hervor.
Flauschohr grinste ihn an. "Wir sind ein gutes Team."
"Ganz genau! Wir halten zusammen", versprach auch Brummy.
Und so wurde Puschel als Teddykoala an der Schule der Teddybären aufgenommen. Als erster - aber sicherlich nicht letzter - Nicht-Bär der Schule.