Keuchend kämpfte sich eine einsame Gestalt den Hang einer Sanddüne hinauf. Ein kleiner Punkt in der endlosen Einöde der Wüste und doch ein Lebewesen, das der tödlichen Umgebung strotzte.
Ihr ganzer Körper war in Lumpen eingehüllt, die von der Sonne geblichen und vom Sand verstaubt waren. Nur am Rand ihrer Schweißerbrille konnte man einen Fleck dunkle und wettergegerbte Haut sehen. Auf ihrem Rücken trug sie einen ramponierten Rucksack, an dem einige Töpfe und andere Metallgegenstände bei jeder Bewegung klimperten. An ihrer rechten Schulter hing der Gurt eines gefährlich aussehenden Gewehres, während links ein schlaffer Wassersack baumelte.
Ihre Bewegungen waren ungelenk und kündeten von tiefer Erschöpfung, als ihre schweren Stiefel ein fürs andere Mal in dem schlüpfrigen Sand Halt suchten. Einmal rutschte sie aus und verlor den Fortschritt der letzten fünf Schritte, doch sie knirschte unter dem sandverkrusteten Tuch vor ihrem Gesicht nur mit den Zähnen und stapfte konzentriert weiter als wäre nichts gewesen.
Nach der Hälfte ihres Anstiegs legte sie eine Pause ein und befreite ihr Gesicht von den Tüchern. Ihre dunkelbraune Haut war rau und um den Rand der Brille vernarbt von unzähligen Sandstürmen. Sie führte den Wasserschlauch an die aufgeplatzten Lippen.
Das kleine Rinnsal, das sich dabei in ihren Mund ergoss reichte nicht annähernd aus um das Brennen in ihrer Kehle zu löschen. Trotzdem unterdrückte sie den Drang, die Flüssigkeit gierig hinunterzuschlucken, sondern spülte sich damit vorher gründlich den Mund aus. So würden der Effekt und ihr Vorrat länger anhalten.
Bevor sie sich wieder auf den Weg machte zog sie noch ein vergilbtes Notizbuch und ein klobiges Gerät mit Solarzellen aus ihrem Rucksack. Auf dem Umschlag stand in krakeligen Buchstaben ihr Name: Sarah Abebe. Hier führte sie Buch über den Fortschritt ihrer Reise. Auf dem Display des Gerätes erschienen einige Zahlen. Die Wanderin notierte sie in winziger Schrift, dann verglich sie es mit den darüberstehenden Zahlen. Es waren ihre derzeitigen Koordinaten und sie hatten sich seit dem vorangegangenen Tag kaum geändert.
Bevor sie das Büchlein zuschlug blätterte Sarah wie automatisch zu der Stelle, wo sie sich vor einer gefühlten Ewigkeit notiert hatte:
Hannover (52.375°nB/9.73°öL)
Wasser!!!
Menschen? Infizierte?
Mit einem Seufzen packte sie alles wieder ein und setzte ihren beschwerlichen Anstieg fort.
Oben angekommen ließ sie den Blick über die Wüste um sich herum schweifen. wohin sie auch blickte war sie umgeben von Sand. Nur weit vor ihr am Horizont erhoben sich die mächtigen Gebäude der Stadt.
Damals, als es noch Schulen gab, hatte sie gelernt dass dieses Gebiet einst fruchtbares Land gewesen war. Hier waren Pflanzen gewachsen, die heute längst als ausgestorben galten. Doch dann hatten die Menschen den Planeten für Krieg und Profit getötet und in die trostlose Einöde verwandelt, in deren Mitte sie sich nun befand.
Unter den schützenden Tüchern verzog sich Sarahs Mund zu einem düsteren Lächeln, als sie an die Ironie denken musste. Die Menschen hatten die Vernichtung ihres Planeten überlebt, nur um dann von der kleinsten bekannten Spezies, einem tödlichen und gegen alle bekannten Heilmittel immunen Virus dahingerafft zu werden. Früher oder später holte das Karma eben jeden ein.
Ihr Blick wandte sich von ihrem Ziel ab und sie drehte sich nach Westen. Dort hatte sie eine Weile lang immer wieder eine Karawane gesehen, die parallel zu ihr gereist war. Wahrscheinlich mit dem selben Ziel. Sie hatte es vermieden mit ihnen Kontakt aufzunehmen. In der Wüste war es nicht ratsam auf die Freundlichkeit Fremder zu vertrauen.
Seit einer Woche hatte sie jedoch keine Spur der Anderen mehr gesehen. Sie malte sich besser nicht aus was ihnen widerfahren war.
Endlich zwang sie ihre Beine dazu weiter voranzuschreiten. Eine Weile folgte sie dem Rücken der Düne, doch dann wurde es Zeit nach einem letzten Blick in die unendliche Weite ins nächste Tal abzusteigen.
Die heißesten Stunden des Tages verbrachte sie im Schatten eines kleinen Felsen. Hier fand sie sogar einen Busch, dessen Blüten für sie zwar ungenießbar waren, aber eine Unzahl an Insekten angelockt hatten, die sie in einem Netz auffing und hungrig verzehrte.
Nahrung zu finden war selbst in der Wüste kein Problem. Außerdem hatte sie vor Beginn ihrer Reise viele Vorräte eingepackt. Was ihr Sorgen bereitete war der Wassersack, aus dem sie gerade die letzten Tropfen herausgepresst hatte. Zwar sammelte sie jeden Morgen mit Hilfe einer großen Plane und ihren Töpfen den Tau, doch das Ergebnis reichte kaum für wenige Stunden und sie verlor dabei wertvolle Wanderzeit.
Mit diesen grimmigen Gedanken im Kopf döste sie in der Mittagshitze langsam ein.
In ihrem Traum saß sie wieder in der Schule. Sie erinnerte sich wie sie es gehasst hatte dort zu sein und auch wenn sie heute töten würde für den Luxus dieser Zeit weckte der Anblick der geraden Sitzreihen, der weißen Tafel und ihrer Lehrerin, Frau Schlinger, ein Unbehagen in ihr. Sie fühlte sich eingesperrt, sowohl räumlich als auch sozial. Ja nicht auffallen, ja nicht zum Gespött machen. Wenn du aufgerufen wirst bist du verloren.
Zu ihrem Entsetzen zeigte Frau Schlinger mit im Traum komisch überproportioniertem Arm auf sie: "Fräulein Abebe. Haben Sie nicht aufgepasst?"
Panik machte sich in ihr breit. Sie hatte keine Ahnung worum es gerade ging. "N-nein, Frau Lehrerin", stammelte sie. Schallendes Gelächter von den gesichtslosen Schülern.
"Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, Fräulein Abebe. Können Sie mir sagen wie Sie in der Wüste Wasser finden?", wiederholte sich die Lehrerin. Ihre strengen Augen schienen immer größer zu werden, als wollten sie die Schülerin verschlingen. Wasser. Bei dem Wort spürte sie mit einem Mal wie durstig sie war. Ihr Blick wanderte gierig zu dem Waschbecken in der Ecke des Raumes.
"Warum sollte ich in die Wüste gehen?", fragte sie, doch noch während sie die Worte aussprach erinnerte sie sich wo sie sich wirklich befand. Das Waschbecken verwandelte sich zu Sand, der sich über den Boden der Klasse ergoss.
"Weil Sie vor der Krankheit fliehen, die uns alle das Leben gekostet hat. Und jetzt antworten Sie mir, Fräulein Abebe. Was tun sie um Wasser zu finden?"
"Ich habe doch schon den Tau gesammelt!", schrie Sarah verzweifelt. Was wollte diese Projektion ihres dehydrierten Unterbewusstseins nur von ihr?
"Aber das reicht nicht", antwortete die Lehrerin. Ihre Augen wuchsen weiter, schienen gleich zu zerplatzen. "Wo finden Sie Wasser, Fräulein Abebe?"
"In Hannover."
"Da schaffen Sie es nicht mehr hin wenn Sie nicht sofort Wasser finden", Die Augen schwollen zur Größe von Wassermelonen. "Denken Sie nach. Wo befindet sich noch Wasser in der Wüste?"
"I-in Kakteen?", riet Sarah. Wieso kam sie nur nicht auf die richtige Antwort? Sie war eindeutig da, versteckte sich in den Tiefen ihres Unterbewusstseins.
"Richtig, Kakteen speichern Wasser. Wieso?"
"Weil sie es zum Leben brauchen", antwortete sie. Sie war erleichtert endlich die richtige Spur gefunden zu haben.
"Pflanzen brauchen also Wasser zum Überleben. Was bedeutet es also wenn Sie auf eine Pflanze stoßen die kein Kaktus ist?"
Endlich verstand sie. Die riesigen Augen zersprangen und rotes Licht trat aus ihnen heraus, füllte ihr gesamtes Blickfeld.
Sarah erwachte ruckartig aus dem Schlaf. Die Sonne berührte schon den Horizont und tauchte die Welt in einen blutroten Schimmer. Sie ließ sich keine Zeit um den Anblick zu genießen sondern wirbelte herum. Da stand das Gestrüpp, das so üppig mit Blüten und Blättern behangen war.
Die einsame Wanderin begann sofort wie besessen zwischen den Wurzeln zu graben. Sie musste unbedingt die Quelle dieses seltenen Lebenszeichen finden.
Wenige Augenblicke später stieß sie auf Feuchtigkeit. Sie musste noch einiges an Sand zur Seite schaufeln bis sich ihre Grube langsam mit dem Lebenselixier füllte. Es war wie ein Wunder.
Mit krächzender Stimme schrie sie ihren Dank an die lang verstorbene Lehrerin in die Welt hinaus.