Erschöpft ließ sich Peter im Schatten des provisorischen Zeltes, das sie aus seiner Plane und zwei langen, vertrockneten Holzstücken errichtet hatten, zu Boden fallen.
Seit dem Aufeinandertreffen mit der kleinen Karawane zwischen den Felsen waren sie den Rest der Nacht und die frühen Tagesstunden hindurch im Höchsttempo nach Westen gewandert, wo sich einer der weit über die Wüste verstreuten Handelsposten befand.
Die ganze Zeit schien die Luft zu knistern aufgrund der Spannung die sich nach den Ereignissen aufgebaut hatte.
Nur Ruben schien davon nichts mitbekommen zu haben. Wenn sie untertags durch die trockene Einöde wanderten schwärmte er ständig über die Figur der Räuberin und machte Theas Schießwut dafür verantwortlich dass er nicht mit ihr das Bett hatte wälzen können. Den Rest der Zeit verbrachte er mit seinen neuen Messern spielend, wobei er sich lautstark über deren früheren Besitzer lustig machte, der doch einfach Peter als Geisel hätte nehmen können. Wer solche Freunde hat...
Thea besaß wenigstens das Feingefühl dieses Kapitel komplett zu ignorieren. Stattdessen hatte sie die beiden Männer noch strenger als sonst dazu angetrieben weiter zu wandern. Die verrottenden Leichen, die sie auf Peters drängen hin notdürftig unter ein paar Steinen begraben hatten, könnten andere Räuberbanden auf ihre Fährte locken.
Peter war es recht so. Er wusste nicht wie er seine Gedanken zu diesem Thema zum Ausdruck bringen sollte. Vielleicht hatte Thea recht und das Morden gehörte einfach zum Alltag der Wüste dazu.
Es war ja nicht so als hätten sie zum ersten Mal jemanden getötet. Die drei hatten von Anfang an nur dadurch überlebt dass sie andere Wüstenbewohner ausraubten. Aber während sie in den ersten Monaten noch darauf geachtet hatten niemandem etwas zuleide zu tun, der keine Gefahr für sie darstellte, waren seine Freunde mit der Zeit immer abgebrühter geworden und hatten aggressiver auf Widerstand reagiert. Er selbst hatte getötet, wenn ihm keine andere Wahl blieb. Doch diese Art von sinnlosem Töten, obwohl sie ihre Gegner ohne weiteres zur Kapitulation hätten zwingen können, war neu.
Allerdings konnte er sich kaum vorstellen dass alle Menschen der Wüste so grausam waren wie Thea es darstellte. Bei ihren gelegentlichen Besuchen in Handelsposten und Oasen war er auf Überlebende mit Alten, Kranken und Kindern getroffen, die sich um einander kümmerten. Es konnten doch sicherlich nicht alle davon so zerstörerisch leben wie sie.
Theas Stimme weckte ihn aus seinen düsteren Gedanken. Sie hatte die erste Wache übernommen und rief jetzt von draußen ins Zelt hinein: "Jungs kommt raus. Ihr solltet euch das ansehen!"
Die Reflexe, die ihm die Jahre in der Wüste antrainiert hatten, ließen ihn sofort hellwach werden. Mit einem Satz stand er auf den Beinen, die Machete in der einen Hand und Adams Gewehr in der Anderen. Zwar hatte sich herausgestellt dass der dümmliche Räuber nicht einmal Munition für das Teil gehabt hatte, aber wie er nur allzu gut wusste wirkte es trotzdem äußerst bedrohlich.
Ruben kam etwas schwerfälliger auf die Beine und stolperte ihm hinterher aus dem Zelt. Die beiden mussten sich trotz der eilig aufgesetzten Sonnenbrillen die Hand vors Gesicht halten, so grell schien das Sonnenlicht auf sie herab.
Sie befanden sich auf dem Hang eines kleinen Berges. Zwischen den Felsbrocken, hinter denen sie ihr Zelt getarnt hatten, konnten sie hinausschauen auf die endlose Dünenlandschaft, aus der sie hier hinauf gestiegen waren. Viele Kilometer in der Ferne lagen jene Schicksalshaften Felsen, über denen schon die Aasgeier kreisten, erfreut über die üppige Mahlzeit.
Ein paar Meter weiter oben hielt Thea vom Gipfel des Berges Ausschau über die umgebenden Gebiete. Als die Männer keuchend neben ihr ankamen öffnete sich ihnen der Blick auf ein weites Tal, in dem wohl früher einmal ein Fluss seine Bahnen gezogen hatte. Inzwischen war das Flussbett jedoch ausgetrocknet und nur noch eine spärliche Vegetation war von der einstigen Fruchtbarkeit übrig geblieben.
Vor einigen Jahren hatte eine kleine Gruppe Überlebender jedoch entdeckt dass der Fluss noch nicht gänzlich ausgetrocknet war. Er floss einfach nur wenige Meter unter der Erde. Also hatten sie einen Brunnen gegraben und einen florierenden Handelsposten inmitten der Wüste errichtet, der bald zu einem beliebten Anlaufpunkt für die umgebenden Banden wurde.
Offensichtlich hatte sie dieser Status nicht im Geringsten vor den Räubern der Wüste geschützt, denn wo einst die windschiefe Hütte inmitten einer kleinen Oase voll Sträucher und junger Bäume gestanden hatte stiegen jetzt dicke Rauchschwaden auf. Peter wurde übel als ihm der Wind neben Rauch und Asche den verstörend appetitlichen Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase wehte.
Neben sich hörte er ein klicken, als Thea den Munitionsstand ihres Gewehres überprüfte. "Geht wieder schlafen. Heute Nacht campieren wir hier oben, ohne Feuer. Morgen Früh steigen wir ab und sehen nach was uns die Angreifer übriggelassen haben."
Müde nickten die Beiden. Mit einem letzten Blick über die Zerstörung begab sich Peter wieder hinab zum Zelt und versuchte einzuschlafen. Doch die Beobachtung ließ ihn nicht los. Sie erinnerte ihn wieder an die gnadenlose Natur seiner Welt.
Ob unter den Räubern des Handelspostens ebenfalls einer war der jedes Mal vor dem Einschlafen die Gesichter derer vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sah, deren Tode er zu verantworten hatte? Egal, ob er selbst sie ermordet, oder nur für seine Freunde den Lockvogel gespielt hatte? Vermutlich nicht. Thea und Ruben schien es ja auch nicht im Geringsten zu bekümmern.
Schließlich nahm die Erschöpfung doch Überhand und er fiel in einen unruhigen Schlaf. Seine Träume waren erfüllt von den Schreien sterbender Menschen, die von der Asche des brennenden Handelsposten begraben wurden.