"Du, Marv?"
Ich habe die Augen bereits geschlossen, als ich das blaue Licht hinter mir ins Zimmer kommen spürte. Nun versuche ich, Lyssa überzeugend nicht zu hören.
Leider hat das mein Krea-Ich noch nie aufgehalten. Die kreative Lichtkugel schwebt langsam um mich herum - ich sehe durch die Lider, wie das blaue Strahlen immer heller wird - und bleibt auf meiner Nasenspitze schweben.
"Maaa-haaarv?"
Ich blinzele widerstrebend und öffne ein Auge. "Oh, Lys. Du hier?"
"Morgen ist Valentinstag."
"Wiiirklich? Aber die Luftschiffreise startet dieses Jahr doch etwas später." Ich setze meine beste Unschuldsmiene auf.
Lyssas ohnehin nicht vorhandener Geduldsfaden scheint nun zu reißen. "Du weißt genau, dass es ums Wichteln geht!"
"Ach ja! Da haben sich ja doch noch eine Handvoll Leute gefunden."
Ich spüre Lyssas strengen Blick. Obwohl sie gar keine Augen hat. "Dachtest du, bei so wenigen Teilnehmern kannst du dir die Arbeit sparen?"
"Nun ... also ..."
"Ach, ich bin Marv, ich habe nicht so viele Teilnehmer, dann bin ich halt faul", interpretiert Lyssa ihre Sicht meiner Haltung.
"So klinge ich nicht! Und es ist nicht die Zahl, die mich stört - sondern die Tatsache, dass ich zuerst nur zwei Teilnehmer hatte und einer von denen dann von Belletristica verbannt wurde, und es kurz ganz schön finster für die Runde aussah."
"Zum Glück findet man auf Belle immer Aushilfswichtel", wirft Lyssa ein.
"Ja, ja!" Ich zucke mit dem Schwanz. "Ich glaube, wenn ich mehr Aushilfswichtel habe als eigentliche Teilnehmer, läuft irgendwas schief."
"Jedenfalls heißt eine geringe Teilnehmerzahl, dass du dir mehr Mühe geben kannst!", zischt Lyssa. "Nichts mit Pralinenschachteln oder Lämpchen - du kannst jedem der vier etwas Personalisiertes basteln."
"Ich weiß nicht, ob ich ..."
"Na los, keine Müdigkeit vorschützen!"
"Lyssa, da sind Romantik-Prompts zwischen."
"Dann lass dir besser mal etwas einfallen." Meine Fantasie hat auch keinen Mund, aber ich kann ihr fieses Grinsen trotzdem sehen.
Zweifelnd wende ich mich den Prompts zu, die unsere vier Wichtel abgegeben haben.
Ich schlucke. "Also ... Grendelins Vorgaben liegen bei P16 oder sogar 18!"
"Bist du etwa prüde?", neckt Lyssa mich.
"Eher im Gegenteil." Ich merke, wie mir eine Idee kommt. "Also gut, Lys, ich hab was. Aber dafür werden wir etwas Hilfe brauchen. Ich kann nämlich nicht malen." Zum Beweis hebe ich eine Pfote.
"Das erledigt eines der Pseudonyme", entscheidet Lyssa und nickt. "Sonst noch was?"
Ich betrachte die verschiedenen Prompts und nicke langsam. Kein Wunder. Lyssa schwebt neben mir und hat sich sicher schon was überlegt. Ich muss nur noch aussortieren, welche Ideen machbar sind.
"Xenon muss mir für Alans Geschenk was basteln. Und für Felix brauche ich Mobus Hilfe, der Elb ist doch gut mit Handarbeiten. Und wer von denen kann am besten kochen?"
Lyssa überlegt kurz. "Wenn es Lachskuchen ist, den du kochen willst, Xenon."
"Der ist ja zum Glück beschäftigt."
"Dann Cyb."
Ich nicke. "Cyb, und als Maler nehmen wir Timo. Na los, rufen wir sie her. Wir haben nicht mehr viel Zeit!"
Am nächsten Tag erwarte ich die Wichtel in einem der vielen Wohnzimmer der Grauen Festung. Dies ist eines der kleineren Zimmer, das hinter einer Geheimtür in der Bibliothek verborgen ist. Ein Erkerfenster bietet einen schönen Ausblick auf den Burghof und die blühenden Wiesen dort. Ein Vogelhäuschen neben dem Fenster lockt ein paar bunte, hungrige Farbkleckse an. Der Himmel ist hellblau. Auch wenn die Zweige noch kahl sind, spürt man den Frühling heute in der Luft.
Eigentlich ist das hier ein Zimmerchen, um zurückgezogen etwas lesen zu können. Für einen Wolf und vier Autoren ist es hier beinahe etwas eng, aber dann muss man eben zusammenrücken.
"Ich freue mich, dass ihr alle hergefunden habt. Nun - Überraschung! Wir hatten dieses Jahr eine sehr kleine Runde, aber das sollte auch kein Problem sein. Ich habe so das Gefühl, wir machen die Quantität mit Qualität wett."
Ich mache einen Schritt zurück. "Nun, es wird Zeit für die Wichtelkinder, ihren Link zu erhalten. Zuerst: Grendelin!"
Etwas umständlich ziehe ich ein großes, flaches, rechteckiges Paket hervor und bedeute Grendelin, das beige Packpapier abzuziehen.
Darunter kommt ein Gemälde zum Vorschein. Es wirkt ein bisschen altertümlich, bis man das Auto darauf bemerkt. Allerdings handelt es sich trotzdem um einen Oldtimer, der inmitten von Büschen steht und rostige Flecken aufweist. Auf dem Dach des Autos, auf einer pinken Decke, sitzen zwei junge Männer, die in einem sinnlichen Kuss versunken sind. Der Himmel über ihnen ist ebenfalls zartrosa, vom Sonnenaufgang vielleicht. Die Büsche und Bäume umrahmen die friedliche Szene und verbergen einige Details. So sieht man beispielsweise erst nach einigem Betrachten (vielleicht abgelenkt von den doch eher leicht bekleideten Herren), dass im Gebüsch ein Kater sitzt, der aussieht, als würde er Valentin heißen.
Zusammen mit dem Gemälde gebe ich Grendelin auch den Link zu Alans Wichteltext: https://belletristica.com/de/books/52086/chapter/291991
Danach wende ich mich Alan zu. "Dein Link kommt mit einer eigenen Nachttischlampe, damit du ihn jederzeit lesen kannst." Ich grinse.
Die Lampe hat die Form eines kleinen Leuchtturms. Er ist schön detailliert gearbeitet und blau bemalt, die wichtigste Funktion ist aber sicherlich die kleine Lampe oben, die sich dreht und einen Lichtstrahl durch das Zimmer wirft.
"Und dann gibt es noch diese Klappe", sage ich und öffne eine unauffällige Tür. Darin befinden sich mehrere Fotostreifen, wie an alte Dia-Shows erinnern, aber flacher und länglicher sind. Man kann sie in das doppelte Glas schieben, das das Obergeschoss des Leuchtturms und die Lampe umfasst. Dann ist es nicht einfach nur eine Lampe, sondern ein Projektor, der Szenen der Erinnerung und Abbilder von Träumen an die umliegenden Wände malt.
Ich ziehe die Vorhänge zu, damit wir uns im Anblick einer der Szenen verlieren können, die den Ausblick von einem hohen Gipfel auf das umliegende Land zeigt. Dabei scheibe ich Alan direkt den Link von Leegween zu: https://belletristica.com/de/books/51680/chapter/287778
Wir wechseln durch ein paar Leuchtturm-Szenen, während ich Leegweens Paket hole. Dieses ist kleiner und entpuppt sich, nachdem Schleife und Papier ab sind, als eine Pralinenschachtel, die vom Valentinstag 2021 noch übrig war. Ich habe ganze Stapel von den Dingern im Haus!
Diese Schachtel ist etwas Besonderes, denn ich habe sie mit Drachenschuppen bekleben lassen, und etwas Feenstaub ist auch darübergestreut. Öffnet man die Packung, befinden sich drinnen kleine Pralinen - die sind nicht vom letzten Jahr, sondern ganz frisch zubereitet. In den Geschmacksrichtungen Fantasy, Märchen und Romantik.
"Was sind merkwürdige Geschmäcker", meint Leegween grinsend.
"Du musst sie essen. Wenn du die Augen schließt, siehst du eine kleine Szene vor dir. Vielleicht eine Drachenreiterin oder eine erste Begegnung zwischen zwei Personen, oder einen Topf voll Gold ... Es sind Prompts und Ideen für das jeweilige Genre." Ich schnippe mit einem Ohr auf Lyssa. "Sie hat die ausgesucht. Da ist bestimmt etwas zwischen, das dich inspiriert."
Dazu gibt es dann noch einen Link, als Sahnehäubchen, der diesmal von Felix kommt: https://belletristica.com/de/books/52024/chapter/291462
Ich drehe mich zum Bellologen um, der als einziger noch auf seinen Text wartet. Den Link dazu hält Grendelin bereits in den Händen.
Also reiche ich Felix das letzte Paket, das recht rund und sehr weich ist. Es handelt sich nämlich um ein Kissen, das mit detaillierten, kleinen Tieren bestickt ist.
"Gren hatte dieses Jahr ein wenig Pech, denn ihr ursprünglicher Wichtel wurde verbannt. Sicher nicht ohne Grund, aber es ist natürlich immer doof, wenn man mitten im Wichteln die Vorgaben ändern muss. So gesehen war das auch eine witzige Erfahrung ... Aber das macht das Ergebnis nur umso wertvoller, finde ich."
Grendelin überreicht den Link:
https://belletristica.com/de/books/52041/chapter/291591
Felix starrt noch immer auf das Kissen und blinzelt.
"Ach ja, du hattest auch Magie als Stichwort", murmele ich. "Also ja, die Tiere auf dem Bezug bewegen sich wirklich."
Nachdem nun alle ihr Geschenk haben und mit dem Lesen beginnen, ziehe ich mich leise zurück und überlasse die vier dem versteckten Lesezimmer.
"Fröhlichen Traumtag!"