Nachdenklich sehe ich dem Frühlingsregen zu, der über die Scheibe eilt. Tropfen wimmeln umeinander, ziehen dem Boden zu wie Besucher einem Fest.
Was mich daran erinnert, dass wir bald Gäste erwarten. Nervös sehe ich über die Schulter zu dem blauen Leuchten, das Lyssa verrät. Mein Kreaich studiert gerade mal wieder unsere Schreibpläne und nimmt Änderungen vor.
"Du, Lys?"
Sie schwebt ein bisschen höher. "Ja?"
"Wir müssen auch noch die Valentinstexte verpacken."
"Ach, ja, die. Die Pralinenschachteln müssten neben dem Ofen liegen."
Ich räuspere mich. "Die haben wir bereits in Vitrinen verräumt. Wir wollten doch dieses Jahr etwas Neues machen."
"Wollten wir das?"
"Du sagtest: 'Immer das gleiche Symbol zu nehmen ist doch langweilig! Wir machen jedes Jahr etwas anderes.' Entgegen meiner Einwände, dass uns irgendwann die Ideen ausgehen werden."
Lyssa flackert, als sie überlegt. Wäre sie ein Mensch, würde sie den Kopf schieflegen. "Ich glaube, ich erinnere mich."
"Also, was machen wir?"
"Hm? Ach, die Wichtel. Du, lass mich noch kurz diesen Roman zu Ende ..."
"Lyssa!"
"Okay, okay." Die blaue Lichtkugel schwebt zu mir. "Dann nehmen wir ..."
Eine Pergamentrolle erscheint aus dem Nichts und rollt zu Boden, während ein von unsichtbarer Hand bewegter Stift wild darauf kritzelt. Das Pergament rollt bis vor und durch meine Pfoten - es ist nämlich nur eine Illusion. Zum Glück, denn ansonsten wäre ich innerhalb kürzester Zeit in dem kleinen Zimmer begraben worden. Das fiktive Papier stapelt sich bis zur Decke.
"Ich hab's", verkündet Lyssa stolz. "Rosen."
"Rosen?"
"Rosen! Weiße Rosen für den Traumtag, rote Rosen für Romantik, Rosa Rosen für die Texte dazwischen. Die Anzahl der Dornen steht für das Rating. Ihr Duft für die Stichworte. Und jede Rose hat ein oder mehrere Seidenbänder für das vom Wichtelkind gewünschte Genre."
"Klingt gut", murmele ich. "Und die machen wir jetzt?"
Lyssa schwebt nickend auf und ab. "Zuerst brauchen wir die ewigblühenden Rosen aus deiner Sturmwind-Welt. Ich rufe ein paar menschliche Pseudonyme, die die Bänder knoten können. Und die Bänder selbst kriegen wir von ... hmm ..."
"Xenon und Cyb sind doch Bastler", schlage ich vor. "Die könnten die Bänder selbst weben."
"Sehr gut mitgedacht. Dann holst du die Rosen und danach den Otter und den Robo-Wolf. Wir treffen uns in zwei Sekunden wieder hier."
Lyssa rauscht los. Ich aktiviere rasch einen Zeitsprung, um es ebenfalls rechtzeitig zu schaffen.
"Das waren fast fünf Sekunden", schimpft Lyssa einen Absatz später.
Ich stelle den Korb mit duftenden Rosen ab und seufze lautlos. "Schneller ging es nicht."
Lyssa hat den Weltenwanderer, den Weltenreisenden, Kitsune und Mobu geholt - die einzigen Pseudonyme mit Daumen. Neben mir scannt cyber_doggo die Promptlisten und errechnet, wie viele Bänder er mit dem Otter Xenon weben muss. Mit so viel Gruppenpower werden unsere kleinen Gastgeschenke rasch fertig, sodass jeder der Wichtelteilnehmer am Ende eine Rose überreichen kann:
Felix' wird eine rosa Rose kriegen, die er Gaydöns geben darf. Die Rose hat viele und lange Dornen für das höchste Rating und ein weißes Band, da das Genre egal ist. Allerdings auch ein Band in Regenbogenfarben, für queere Themen. Auch, wenn die eigentlich zu den Stichpunkten gehören. Lyssa verleiht der Rose einen Duft nach Wein und Nachbarschaft.
https://belletristica.com/de/books/41984/chapter/221541
Feyra S. Moon erhält eine rosa Rose für Leegween. Auch diese Rose hat viele lange Dornen. Sie hat gleich fünf Seidenbänder: Grün für Fantasy, Silber für Märchen, Schwarz für Thriller, Rot für Romantik und Blau für Slice of Life. Welches Genre Moon wohl übernommen hat? Ein Duft nach Kühlschrankmagneten, Kopfhörern und besonders einem alten, zerfledderten Notizbuch steigt auf.
https://belletristica.com/de/books/41837
Maine erhält eine rosa Rose, die für Grendelin bestimmt ist. Ein Fantasy-grünes und ein Märchen-silbernes Band zieren die Blume, die ebenfalls lange Stacheln hat. Es steigt ein Duft nach Locken, nach Schwingen und nach Katze auf.
https://belletristica.com/de/books/41511/chapter/218396
Grendelin erhält eine weiße Rose für Feyra S. Moon. Diese hat ein blaues und ein silbernes Band, dazwischen blitzt das Gold von Historik auf. Ihre Dornen sind klein und stumpf, zwölf an der Zahl. Es riecht nach Sternen und Wanderungen, nach Runen, Regenplätschern, Wald, Ewigkeit und Federn. Welche Stichworte es am Ende in die Geschichte geschafft haben?
https://belletristica.com/de/books/41671/chapter/219806
Leegweens rosa Rose war für einen Wichtel gedacht, der abgesprungen ist. Diese hübsche Rose hat lange Dornen und ein grünes Band. Sie riecht nach Apokalypsen, Liebe und Vampiren. Vielleicht finden sich ja ein paar Leute, die diesem Duft folgen wollen, wo das eigentliche Wichtelkind fehlt.
https://belletristica.com/de/books/41059/chapter/215115
Netterweise ist Leegween dann für das Wichtelkind ihres Wichtelkinds eingesprungen:
Die Rose für Felix ist rosa, mit einem grünen und einem blauen Band, und etwa 14 Dornen - genau zwischen P12 und P16. Sie duftet nach Winter, nach Natur und Tieren ...
https://belletristica.com/de/books/41703/chapter/219956
Gaydöns schließlich erhält eine rosa Rose für Maine. Umwickelt ist diese blau, grün und mit einem Regenbogen-Band. Und auch sie hat lange, spitze Dornen! Sie riecht nach Katzen, nach Träumen und Musik ...
https://belletristica.com/de/books/41185/chapter/216082
Drei etwas kürzere Rosen entspringen der spontanen zweiten Wichtelrunde, die am 02.02. gestartet ist und deren Autoren damit auch nicht ganz so viel Zeit hatten:
Grummel Max kriegt eine rote Rose, die für WitheredRose gedacht ist. Die Rose hat lange Dornen und ist mit einem blauen Band umwickelt, für Slice of Life. Sie riecht nach Drama, nach Tod und Trauer.
https://belletristica.com/de/books/41953/chapter/221304
WitheredRose hat eine weiße Rose für Haru Rainbow Skye. Diese Rose hat wenige, kurze Dornen und ist mit einem blauen Seidenband verziert. Sie riecht nach Tieren und Malerei.
https://belletristica.com/de/books/41678/chapter/221467
Harus Rose für Max ist rosa und besitzt lange Dornen. Sie ist blau und grün umwickelt und duftet nach Freundschaft und Zusammenhalt, nach Selbstzweifel und Melancholie, nach Höhen und Tiefen und Aufmunterung.
https://belletristica.com/de/books/41886/chapter/220851
Zufrieden betrachte ich die vielen Rosen, die in kleinen Vasen auf Wichtel und Wichtelkinder warten. Nach und nach gehen die fleißigen Helfer. Aus der Küche duftet es nach Keksen, Kakao und Kuchen, im Nebenzimmer erklingt Musik. Alles ist bereit für eine weitere kleine Valentinstagsfeier.
"Was ist eigentlich mit mir?", fragt Lyssa herausfordernd. "Kriege ich heute nichts?"
Ich ziehe eine weiße Rose hervor. Sie ist umständlich mit Grün umwickelt und riecht nach Drama. Und natürlich hat sie Dornen.
"Wie bitte? Ich meinte doch keine Rose! Sonst hast du zum Valentinstag immer Bücher veröffentlicht."
"Ich kriege das nun mal nicht jedes Jahr hin. Jetzt nimm schon." Ich funkele Lyssa böse an.
"Hmm. Aber nur ein grünes Band? Ich schreibe doch auch viel Horror und Sci-Fi. Und Science-Fantasy!"
"Lyssa ..."
"Ist das Band da angesabbert? Ihh ..."
"Lys!"
"Und ganz ehrlich, Romantik klappt inzwischen auch manchmal." Mein Kreaich rauscht davon. "Ich glaube, ich habe da eine Idee ..."
"Das ist die Rose für die Linksammlung!", rufe ich ihr nach. "Ich hatte nur kein orangenes Band für Belletristica als Genre."
Lyssa kehrt zurück. "Na gut. Für einen einzelnen Text bin ich damit ganz zufrieden. Ich finde trotzdem, dass du dir ruhig mehr Mühe geben könntest, statt deine Zeit mit Wichteln zu vergeuden."
Ich denke einen Moment ernsthaft über den Vorschlag nach. Dieses Jahr war das Wichteln schon sehr stressig ... Es gab einige kleinere Katastrophe und eine Vollkatastrophe mit dem Wichtel, der sich nicht mehr gemeldet hat. Einiges an Magengeschwüren.
"Sieh es mal so, Lyssa: Beim Wichteln verteile ich ganz viel Inspiration und hier und da noch eine Prise Motivation. Und am Ende kommen ganz viele, ganz unterschiedliche Texte dabei heraus. Die sind zwar nicht von dir, aber es sind wunderbare, kleine Werke. Ich finde, das ist ebenso wichtig wie selbst zu schreiben."
"Vielleicht hast du recht." Die Rose schwebt ins Licht und Lyssa mit der Blume hinaus.
Ich grinse. Natürlich habe ich recht! Das ist ja der Grundgedanke des Wichtelns.
"Ich werde diese Idee jetzt trotzdem notieren", ruft sie mir zu. "Mach heute nicht zu lang, du hast noch was zu tun!"