Die Graue Feste ist mit bunten Wimpeln geschmückt. Im Innenhof wuseln Pseudonyme und Buchfiguren wild durcheinander. Brotchips werden von vorwitzigen Wolfsschnauzen unter die Tischtücher der Buffet-Tafeln gezogen, Kreaichs würzen die bereitgestellten Getränke mit Inspiration, irgendwo wird panisch ein Feuer gelöscht und woanders saust Xenon auf seinem Fluggerät - wir sind noch bei Aonyx 4, glaube ich - vor einem ziemlich wütenden Drachen davon, während der kleine Otter mit der Pfote irgendeine Goldkette in die Höhe reckt.
Ist der Drache eine von meinen Figuren? Ich bin mir nicht einmal sicher. Jedenfalls ist jetzt klar, warum Marvin Grauwolf nirgendwo auszutreiben ist. Mein AU-Zwilling sollte eigentlich alles organisieren, aber ich hätte wissen müssen, dass Drachen auftauchen. Und vor denen hat er nun einmal Angst.
Entmutigt seufze ich.
"Warum das lange Gesicht, Grauer?"
Ich sehe zur Seite auf ein schwebendes Buch. Ein ziemlich dicker Wälzer, der violett schimmert und verlockend mit den in enger, verschnörkelter Schrift beschriebenen herumwedelt. Wo ist wohl sein Hüter mit der magischen Kette? Ich sollte wohl aufpassen, dass das Hyphurion keine nichtsahnenden Besucher verflucht, aber momentan habe ich andere Probleme. Ganz, ganz dramatische Probleme!
"Es war eine dumme Idee, zwei Feste am gleichen Tag zu haben", murre ich. "Wie soll ich die Wichtelteilnehmer in diesem Chaos finden?" Marvin sollte sie abholen und nach drinnen bringen, damit die vier von diesem Trubel nicht verwirrt werden. Jetzt wurden sie vermutlich von irgendwelchen Pseudonymen in Nebenquests verwickelt. Das Chaos auf dem Grauen Berg hat einen ganz besonderen Sog, gegen den man sich immer nur schwer wehren kann.
Dieses Intro zum Beispiel sollte viel kürzer werden!
"Soll ich dir helfen?", fragt das Hyphurion.
Ich mustere es misstrauisch. "Wenn die Teilnehmer am Ende körperlich, geistig und seelisch unversehrt bei mir ankommen, darfst du gerne helfen."
"Oooch. Du Spielverderber!" Das fliegende Buch rauscht davon. Will es jetzt helfen oder nicht? Das werde ich wohl herausfinden müssen.
Ich begebe mich daran, die Teilnehmer einzufangen. Beim Wichteln machen immer ganz unterschiedliche Personen mit. Manche hat man noch nie getroffen, andere ... kennt man.
"He, du fliegender Ofen!", brülle ich zu dem Drachen, der immer noch rachsüchtig hinter Xenon herfegt. "Komm mal runter, du Frosch!"
"Also, eigentlich sind Drachen ja Reptilien", plappert es neben mir los. "Oder, um genauer zu sein, reptiloide Mischwesen, die wenigstens noch Elemente eines anderen Tieres oder von zwei Reptilien enthalten. Oder von Reptil und Vogel - Vögel stammen zwar von den Reptilien ab ..."
Die Person, die so oft hintereinander 'Reptilien' sagen kann, ohne sich zu verheddern, ist natürlich Felix. Erleichtert bemerke ich Leegween hinter dem Bellologen. Das sind schon mal zwei!
"Da seid ihr ja. Kommt mit!" Ich flüchte in die Burg und Leegween zieht ihren immer noch dozierenden Freund hinterher. Knapp vor dem Drachenfeuer erreichen wir den Torbogen und werfen uns in den Seitengang. Draußen donnert Flügelschlag, als das große reptiloide Mischwesen wendet und schwerfällig wieder aufsteigt. Ein wütendes Brüllen verklingt, als sich der Drache trollt.
"Puh." Ich drücke mit der Schnauze meine Schwanzspitze aus, in der sich ein paar Funken festgesetzt hatten.
"Du lebst gefährlich, Marv", stellt Leegween fest.
"Aber es hat funktioniert!"
Felix reißt sich aus seinem Vortrag. "Was hat funktioniert?"
"Nichts." Ich ignoriere Felix' hochgezogene Augenbraue und lenke lieber schnell ab. "Habt ihr eure Werke dabei? Dann könnt ihr schon mal ins Wohnzimmer vorgehen!"
Ich weise beide in die richtige Richtung und spähe wieder durch das Tor. Der Drache hat sich offenbar wirklich verzogen. Diesen Wesen ist es meist zu doof, hinter Wölfen herzujagen, die sich in steinernen Burgen verstecken.
Apropos Wölfe - bei einigen meiner Wolfspseudonyme entdecke ich Alicia. Sie versucht gerade, ein paar gestohlene Brotchips für die anderen Gäste zurückzugewinnen. Urdoggo, Knochenknurpsler und cyber_doggo stellen sich allerdings stur.
"Gib es auf. Wenn die drei sich zusammentun, kommt man nicht dagegen an." Ich grinse. "Außerdem, wenn es hier eines im Überfluss gibt, dann Brotchips!"
"Wenn du meinst?" Alicia wirkt eher skeptisch. "Dass du noch welche übrig lässt!"
"Ich teile immer!", stelle ich klar. "Wenn die anderen schnell genug sind."
Als ich mit dem dritten Wichtel zur Burg zurückkehre, treffen wir auf Hyph. Dem Buch folgt Victoria, die sich ein wenig verschreckt umsieht. Hinter ihr kommt noch eine junge Frau herein, Leonie, ihr Pseudonym. Stimmt, die wollte ja mitkommen ...
"Gefunden!", prahlt das Hyphurion. "Das geht richtig fix, wenn man fliegen ... Moment, du hast auch schon jemanden?"
"Ja, aber Felix und Gwi kannst du noch suchen", lüge ich rasch. Das sollte das Buch eine Weile beschäftigt halten. "Dann kommt mal mit, ihr beiden!"
Ich bringe auch Victoria und Alicia in das kleine, etwas abgelegene Wohnzimmer. Hier ist es schon deutlich ruhiger, denn die Party begrenzt sich auf den Innenhof der Burg. Jedenfalls noch ...
"Sehr schön, dann zeigt mal her!" Ich räume noch ein paar Kissen um, damit wir ein Sofa als Präsentationsfläche frei haben. "Zuerst Alicia, mit einem Wichtelgeschenk füüür ..." Mannomann, manchmal wünscht man sich echt Finger, um trommeln zu können! "Leegween!"
Neugierig sieht Felix' Freundin auf. Sie erhält ein flaches Paket von Alicia - alle vier Teilnehmer haben diesmal ähnliche Pakete dabei, und das erste entpuppt sich als ein Bild im Rahmen.
Zu sehen ist ein Heckenlabyrinth im Nebel unter einem Nachthimmel, an dem gerade mehrere bunte Feuerwerksblumen erblühen. Gemalt wurde in einem Mix aus Aquarell und Ölfarben - die stehen für die unterschiedlichen Modi, Traumtag oder Valentinstag. Der Rahmen ist besonders hübsch, denn er besteht den Genre-Vorgaben nach aus romantischem Rosenbaumholz, fantastischer Eiche, Slice-of-Life-Nussbaum und Märchen-Weide. Die verschiedenen Holztypen bilden Verzierungen und Schnörkel auf der riesigen Leinwand. Es ist die größte Größe, denn das Rating stand auf 'egal'.
[https://belletristica.com/de/books/61286/chapter/353500]
"Ist das hübsch!", haucht Leegween und versinkt in der Betrachtung des Bildes, das aus ihren Vorgaben entstanden ist. Dann reicht sie Alicia ihr Paket. "Ich habe übrigens für dich geschrieben!"
"Das wollte ich doch ankündigen", maule ich unbeachtet, denn Alicia öffnet bereits ihr Geschenk und der Rest streckt die Hälse.
Zum Vorschein kommt ein etwas kleinere Bild - Größe 12+ - in einem hübschen Fantasy-Rahmen. Es wurde ebenfalls mit einem Misch aus beiden Modus-Farben gemalt. Zu sehen ist ein junges Mädchen, das ein großes, offenbar oft gelesenes Buch unter dem Arm trägt. Hüpfend eilt sie zu einem Umzugswagen, der auf der Auffahrt eines Einfamilienhauses steht. Die Perspektive ist die eines kleineren Wesens, das aus der Tür des Hauses sieht, sodass man vor allem den Wagen erkennt, aber auch Teile der idyllischen Nachbarschaft auf der Straße. Mehrere Tiere wuseln durch das Bild: Hunde auf der Straße, eine Katze, die neben dem Mädchen läuft, Eichhörnchen und Vögel in den zahlreichen Bäumen und Büschen.
[https://belletristica.com/de/books/61059/chapter/352215]
"Wow", murmelt Alicia.
"Als nächstes wäre dann Felix dran", ergreife ich das Wort. "Der, wie ihr vielleicht erraten habt, für Victoria geschrieben habt, und sie natürlich für Felix."
Der Bellologe hat ebenfalls eine 12+-Größe. Manchmal muss man den Kerl eben etwas bremsen! Gemalt wurde mit Aquarell, der Traumtag-Modus-Farbe. Der Rahmen besteht aus Slice-of-Life- und Roman-Holz. Wieso habe ich das noch gleich als Genre zugelassen? Außerdem gibt es dunkle Hölzer aus Akademie-Fassaden und ... riecht das nach Frankreich?
Auf dem Bild ist eine Seitengasse zu sehen, an deren Ende sich in der Ferne der Eiffelturm erhebt. In der Gasse tummeln sich einige bunte Straßenkatzen, während man etwas weiter hinten die Stühle eines Cafés sieht, wo sich Pärchen an den fragilen Metalltischen gegenübersitzen und anhimmeln. Geschenke, Pralinen und rote, herzförmige Luftballons füllen das Bild mit Leben.
[https://belletristica.com/de/books/61752/chapter/356548]
"Das ist echt toll geworden!" Victoria grinst.
Zuletzt darf Felix dann sein Wichtelgeschenk auspacken, das Victorias Pseudonym Leonie für sie hergestellt hat. Eine mittlere Größe, P16. Der Rahmen bietet einen soliden Mix aus Fantasy- und Slice-of-Life-Holz. Eiche und Nussbaum komplementieren einander um eine Leinwand mit Aquarell- und Ölfarben. Darauf sieht man neun Wölfe und neun Tannen auf einer verschneiten Tundra unter bunten Polarlichtern. Ein ruhiges Bild, das irgendwie erfrischende Kälte auszuströmen scheint.
[https://belletristica.com/de/books/61841/chapter/357531]
"Das ist wunderbar, Victoria, danke!"
"Und ich danke euch für die Teilnahme." Glücklich verteile ich kleine Buttons. ('Ich habe bei Marvs Wichtelprojekt 2024 mitgemacht und (fast) alles, was ich bekommen habe, ist dieser Anstecker!') Dann gibt es natürlich noch Tee und Kekse. In der Küche nebenan wird es allerdings bereits unruhig. Laut Mobus Schimpfen - da steckt er also, kein Wunder, dass das Hyphurion wild herumfliegt! - hat Lyssa zu viel Motivationsstaub in die Torte geschüttet.
"Man kann gar nicht zu viel Motivation haben!"
"Das ist ein einfacher Marmorkuchen, da soll überhaupt keine Motivation rein! So steht das nicht im Rezept."
"Rezepte sind dazu da, dass man sie ignoriert."
"Lyssa Ira Furor, gib sofort den Inspirationsstreuer her!"
Während im Nebenzimmer also eifrig um den Verstand der Gäste gefochten wird, wende ich mich an die fünf Gäste. "Ihr seid natürlich herzlich eingeladen, auch an der Feier teilzunehmen. Es ist ein Traumtag-Fest. Feiern wir heute die Träume, ob sie sich auf den Beruf, die Familie oder etwas anderes beziehen!"