Meine Erinnerungen sind mein Schatz. Nicht alle. Aber einige von ihnen bewahre ich sehr gründlich, hole sie regelmäßig hervor, damit ich sie bloß nicht vergesse. Gehe sie durch wie ein Mantra. Immer und immer und immer....
Da ist Silvester 2017 und ein verstohlenes Lächeln. Der Gedanke daran lässt mich selbst lächeln. Eine Erinnerung für schlechte Tage.
Da ist die kleine, neun Jahre alte, Schwester die sich Sonntag auf mich wirft und mir ins Ohr krakelt "Aufstehen! Schule gehen!" Auch das lässt mich grinsen. Heute. Damals eher nicht.
Da sind all die Gespräche, die ganze Nacht durch bis früh um sieben. Und das Gefühl das es ewig so weiter gehen könnte. Und das es doch jemanden gibt der mich versteht, auf meiner verschrobenen Wellenlänge ist. Jemand der zuhört und tatsächlich darüber nachdenkt. Minutenlang, so das ich mich erschrecke, wenn er wieder anfängt zu sprechen und es sich immer noch auf das gleiche Thema bezieht. Wo gibt es denn noch sowas?
Und die Tränen, die es aber nie aus dem Augenwinkel hinaus schaffen.
Männertag. An dem ich nicht teilnehmen wollte aber Nachts um zehn angerufen wurde, weil mein Freund und mein Kumpel eine Meinungsverschiedenheit hatten über die sich jeder ausschweigt. Und die meinen Kumpel derart aufregt das er mit der Faust gegen eine Laterne schlägt. Und von einer Erhöhung springt und hinknallt. Anschließend kotzt er unter einen Baum.
Mein Freund hingegen hat die ganze Sache am nächsten Tag tatsächlich vergessen. Diese Idioten.
Die Geburt meines Kindes und wie er mich anschaut. Die Nächte im Krankenhaus und mein anstarren des kleinen Menschleins, warum macht es so merkwürdige Geräusche? Muss das so? Die erste volle Windel die mich in meinem Hormonrausch total überfordert. Denn es ist überall, du meine Güte!
Seine ersten Laute. Tatsächliche Laute, kein Geheule. Wir haben uns beide erschrocken. Die Stunden auf der Couch. Die Monate in denen dieses kleine Wesen an und auf mir lebte. Das anfängliche Drama mit dem Stillen. Die ersten Schritte, der erste Wutanfall. Das lächeln wenn er schläft. Das fröhliche gegluckse, wie es nur Babys können.
Die absurden Äußerungen die so ein Kleinkind von sich gibt und die noch absurderen Sätze die man selbst sagt.
"Im Kühlschrank wird nicht Auto gefahren!" ist nur einer davon.
Die endlos Gespräche, wenn das Kind eigentlich schlafen soll. Denn wenn Kinder schlafen sollen, werden sie zu Philosophen.
Da ist der Geburtstag an dem ich unschöne Familienangelegenheiten mit anhören musste. Die nicht meiner Familie betrafen und mich daher eigentlich nichts angehen, aber im Endeffekt zu einem tieferen Verständnis geführt haben.
Und da ist der Geburtstag der halben Socke. Was war das für eine Nacht!
Da sind all die gemeinsam verbrachten Stadtfeste. mit Feuerwerk und wilden Karusselfahrten. Und Auto-Scouter fahren bis die Betreiber dicht machen und man fast erstickt vor lachen.
Da ist die Art und Weise, wie er mich manchmal ansieht.
Ich weiß nie was dieser Blick bedeuten soll.
Da sind meine Knie, butterweich, in der elften Klasse. Weil ich weiß das er auch da ist. Zweimal in der Woche ist mein ganzes System außer Kontrolle.
Und ein Kuss, betrunken und einmalig und ausversehen. Und die wundervollsten, braunen Augen die mir je unter gekommen sind. Ein Blick hatte gereicht. Was für ein Klischee.
Da ist der verbeulte, halb zerschmolzene Messbecher, der abgekocht wurde und auf ewig für Gelächter sorgen wird. Allein die Vorstellung. Wie kommt man auf die Idee Plaste ab zu kochen?
Riesenlasagnen die auf dem Boden landen, verzuckerte Kartoffelsuppen und endlose Fahrten ins Nichts, weil es damals nicht üblich war, das jeder ein Navi oder ein Handy hat.
Die Sonnenfinsternis in der wir eine Katze verfolgen um ihre Jungen zu finden. Letztendlich finden wir sie auf dem Komposthaufen unter einem Futtertrog.
Da sind die Fahrten im alten, umgebauten Krankenwagen, zur Müllkippe. Der Geruch von Holz und Rauch und...
Und ich merke gerade, je mehr ich aufschreibe umso mehr fällt mir ein, ich könnte ewig weiter machen. Erinnerungen, seien sie auch manchmal verschüttet, sind mein größter Schatz.