"Jack?" flüsterte Mouna leise.
"Ja, was ist?" sagte er, so verständnisvoll wie es ihm möglich war.
"Wie kann so etwas sein?"
"Ich kann es dir nicht sagen."
"Was machen wir nun?"
"Ich schätze wir sollten ausnutzen, dass wir einmal alles machen können. Was meinst du?" Er legte dabei sein verschmitztes Grinsen auf.
Mouna sah ihn mit ihren großen Augen an, seine Miene veränderte sich nicht.
In Mounas Kopf war eine Flut an Gedanken und Emotionen, die sie überwältigte. Und doch war alles in ihr still. Als wäre sie in diesen Moment nicht der Mensch, der am Rande des Ufers stand und das Unheil hereinbrechen sah, sondern ein Teil des Wassers, das alles zu überschwemmen drohte. Und Wasser war auch das, was Jack in ihr sah, als er ihren festen Blick standhielt.
"Warum sind du und ich noch da?"
"Vielleicht Schicksal" sagte Jack gelassen während er sich die nächste Zigarette ansteckte. Es war nur schon die dritte in der kurzen Zeit, in der sie auf der Bank vor Mounas Haus saßen. So cool, wie Jack sich nach außen hin auch gab, Mouna war sich sicher, dass dies das einzige Zeichen war, das seine Unsicherheit zum Ausdruck brachte. Und er versuchte es nicht zu verstecken.
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der sie dort saßen ohne der leisesten Anschein von Leben. Würde sie nicht selbst den Atem durch ihren Brustkorb, ihre Lungen und ihre Luftröhre spüren, hätte sie wohl gänzlich an der Existenz von Leben auf dieser ehemals so lauten Welt gezweifelt.
"Nun, ich schätze dann fällt die Schule heute aus." war alles, was sie herausbekam. Ihre Gedanken wie Versteinert, war es ihr völlig unmöglich geworden, eine normale Diskussion zu führen.
"So ist es." war die einzige Antwort, die sie bekam und auch die einzige, die sie erwarten konnte. Wie musste ihm wohl Zumute sein. Sicherlich nicht ganz anders als ihr selbst. Etwas verwirrt, leicht verängstigt, ein kleines bisschen befreit und im Großen und Ganzen noch nicht bereit, eine richtige Reaktion zu zeigen.
Jack bließ den Rauch aus seiner Lunge auf die leere Straße und richtete den Blick auf seine völlig verdreckten Schuhe, die nun die Zigarette unter ihrer Sohle zum Erlöschen brachten.
"Da hast nicht gefragt, warum ich ausgerechnet zu dir gegangen bin." mehr eine Feststellung als eine Aufforderung, diese unausweichliche Frage zu stellen.
Mouna blieb still, sie hatte sich zwar gefragt, warum sie und Jack noch dort waren, aber ihr war nicht in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, warum er bei ihr war.
"Ich ging die Straße hinunter, um zu sehen, ob jemand aus der Nachbarschaft zuhause war, nachdem mir alles ungewöhnlich ruhig vorkam. Doch als ich niemanden finden konnte, setzte ich mich wieder vor meine Haustür, um durchzuatmen, um einen klaren Kopf zu bekommen und zu denken. Ich zündete mir eine Zigarette an, das habe ich noch nie getan vor dem Haus meiner Eltern."
"Bekommst du Ärger von ihnen, wenn sie dich dabei erwischen?"
"Ich mache das aus Respekt nicht. Sie würden es nicht gutheißen."
"Achso."
"Ich dachte, dass es vielleicht eine Stadtversammlung gibt. Eine Krisensitzung oder einen Notfall. Aber auch als ich in die Stadthalle ging, war weder dort noch auf dem Weg dorthin jemand zu sehen. Auch in der Schule sah nichts als Dunkelheit und Stille. Ich fühlte mich ziemlich leer, setzte mich auf den Bordstein und starrte nur geradeaus auf die Straße. Und als ich Rauch ausbließ, wurde er vom Wind Richtung Sonnenaufgang, Richtung Osten geweht. Aber ich konnte keinen Wind spüren, auch die Blätter an der Bäumen bewegten sich nicht. Und ich wusste nicht wohin ich gehen sollte, also ging ich einfach in diese Richtung. Der Rauch aus meinen Mund änderte seine Richtung, auch wenn ich ihn immer gleich ausbließ. Und ich folgte ihm oder den Wind oder was auch immer das war und landete bei dir. Oder vielleicht war es einfach Intuition."
"Du hast also heute schon fünf Zigaretten geraucht?"
"Acht. Ich bin schon deutlich länger auf den Beinen, als du denkst. Und ich habe dir auch nicht jedes kleinste Detail erzählt."
"Wenn du mir schonmal was erzählst, was meiner Einschätzung nach nicht allzu häufig vorkommt, warum erzählst du dann nicht gleich die ganze Wahrheit?"
"Ich bin einfach nicht gern das offene Buch."
"Was ist so schlimm daran, dass andere wissen was du denkst und was in deinem Leben passiert?"
"Wenn sie das beides wüssten, wüssten sie auch wer ich bin."
"Und warum dürfen sie das nicht?"
"Es macht mich uninteressant und weniger mysteriös."
"Was ist so gut an Mysterien?"
Jack hob ein kleines bisschen seinen rechten Mundwinkel: " Es bringt genau solche Situationen."