Ed Bad, die Heimat En Davids, war einst ein blühendes Land gewesen. Die Hochebenen des Landes waren mit vornehmlich gelben Pflanzen bedeckt, was ihnen den typisch goldenen Schimmer verlieh, wann immer die Sonne schien. Die Schneegrenze erreichte kein einziger Berg auf ganz Tauta. Ohnehin war Schnee eine Seltenheit. Die niedrigen rötlichen Obstbäume, für deren vielseitig einsetzbare Früchte die Tauta Zet so bekannt sind, säumten die großen Handelsstraßen. Vor dem Zerbruch waren diese Farbenprächtigen Obstsorten ein Hauptexportgut der Tauta Zet gewesen, doch auch danach blieb der Obstbau in weiten Teilen des Landes erhalten. Die Eyaded, die den Vorsitz des Bedeba-Rates innehatten, hatten dafür gesorgt, dass die Tauta Zet, ein handeltreibendes Volk, das nur wenig Zeit in der Heimat verbracht hatte, wenigstens diesen Wirtschaftszweig nicht verdorren ließen.
Die Jahrhunderte vor dem Zerbruch waren ein goldenes Zeitalter gewesen. Ed Bad (abgesehen davon, dass es damals diesen Namen noch nicht trug) war lediglich eine Art Heimathafen eines Volkes, das hauptsächlich auf Reisen lebte, ein zentraler Umschlagplatz für Waren, ein Land in dem Männer und Frauen am Lagerfeuer saßen und Geschichten austauschten über das Meer im Westen, die Wüsten im Süden und die Weißen Lande des Nordens und vieles mehr, ein Ort an dem junge Tauta Zet ihre Frauen kennenlernten, an den sie zurückkehrten, um Kinder zu gebären und an dem eben einmal im Jahr die Ernte der Urugu-Bäume stattfand, deren Früchte sich in allen Ländern, die die Tauta Zet erreichten, größter Beliebtheit erfreuten.
Als die Welt zerbrach war Tauta wie alle anderen Sphären auf sich alleine gestellt und bedurfte einer fundamentalen, gesellschaftlichen Neuordnung, insbesondere aber beruflicher Neuorientierung bei einer großen Mehrheit der Tauta Zet. Der Handel mit anderen Völkern war schließlich nicht mehr möglich. Selbst die Erinnerung an Allrund und die anderen Völker verblasste mit jedem Jahr mehr.
So kam es, dass Vorräte, die die Eyaded anlegen lassen hatten, sowie der Obstbau in den ersten Jahren die einzigen Garanten für die Nahrungsversorgung Tautas waren.
Der Bau von Häusern als bleibende Wohnung und ganzen Siedlungen wurde immer mehr vorangetrieben. Zusammen mit der zunehmenden Sesshaftigkeit begannen die Tauta Zet auch Ackerbau zu betreiben und mehrere Nutzpflanzen um ihre Siedlungen herum zu kultivieren.
Erst hundert Jahre später regierte die namensgebende Ed Bad über die Tauta Zet. Sie entlastete das Volk von Steuern, die ihr Vater angesetzt hatte und wurde für ihre Bescheidenheit vom Volk hoch geschätzt. Zu ihrer Ehre wurde Ed Bad noch zu ihren Lebzeiten als Hauptstadt etwa im geografischen Zentrum Tautas gegründet. Es war die erste Ansiedlung von Tauta Zet, die überhaupt die Bezeichnung Stadt erhielt. Ed Bad war auch eher eine große lose Ansammlung von Häusern, die sich über viele Quadratkilometer erstreckte - mehr ein von Wiesen, Heiden und Hainen durchzogenes blühendes Land.
Doch der Glanz jener Jahre währte nur eine Zeit lang. 135 Jahre nach der Gründung Ed Bads brach unter den Tauta Zet eine Seuche aus, eine Krankheit, die nicht tödlich aber abscheulich entstellend war. Man nannte sie Luarix, was schrecklicher Krampf bedeutet, denn jeder der sich ansteckte, verlor von Zeit zu Zeit die Kontrolle über seinen Körper, begann zu sabbern und zu stöhnen, aber auch häufig aggressiv auf angebotene Hilfe zu reagieren. Die würdelose Hilflosigkeit, in die man in diesen Phasen verfiel, war für jeden Betrachter ein schrecklicher Anblick.
Son Sedanor, Der damalige Ratsvorsitzende, setzte die Entscheidung durch, die Infizierten in den Norden zu verbannen. Jeder in Ed Bad wusste, dass dies einem Todesurteil gleichkam, denn im Norden lag das Tal, das aus gutem Grund unbewohnt war. Die Berge Ed Bads waren von angenehm kühlem Klima, doch in den Tälern herrschte eine unerträgliche Hitze, die vor allem den kräftigen Tauta Zet das Denken schwer machte und meist nach wenigen Tagen im Delirium zum Tod führte.
Sedanor begründete die Entscheidung: es sei kein Gegenmittel vorhanden und die Ansteckungsgefahr zu hoch, als dass man die Kranken in der Gesellschaft der Gesunden behalten könne. In Wahrheit hatte der Rat ein Los geworfen nachdem keiner sich auf einen Ausweg einigen konnte.
Die wenigen hundert Infizierten hätten nun auch ohne wirkungsvollen Widerstand vertrieben und von der Rückkehr abgehalten werden können, wäre Ian nicht gewesen.
Ian der Sohn einer Infizierten, ihr Name war Annaz, stimmte der Verbannung seiner Mutter verständlicherweise nicht zu und war auch von ihr zum Aufstand angestachelt worden. Gemeinsam mit seinen Brüdern und den Schwestern seiner Mutter suchte er gezielt die Verwandten anderer Infizierter auf. Es rottete sich eine kleine Armee zusammen, voller Tatendrang gegen den gemeinsamen Feind, die Eyaded-Dynastie – ohne die Erkenntnis, dass die Krankheit selbst der eigentliche Feind war. Über wenige Wochen hinweg hatten sich 12.500 kampfbereite Tauta Zet verschworen und warteten angespannt auf den Befehl Ians, ihre kranken Verwandten zu befreien. Er hatte ihnen eingeredet, sie würden sich bald von der Krankheit erholen, keiner wusste zu diesem Zeitpunkt auf welche Weise sich die Ereignisse wenden würden. Also glaubten viele den Worten Ians, die ihnen wenigstens Hoffnung gaben.
Das ganze Volk hatte Jahrhunderte lang in Frieden gelebt und war nun plötzlich bedroht. Sie sehnten sich nach einer Person, die ihnen sagte, alles sei halb so schlimm und werde bald vorüber sein.
So kam es das in der Nacht vom 17. auf den 18. Urugar (der 7. Monat in den auch die Urugu-Ernte fällt), des Jahres 235 in Tauta Zeitrechnung (TZ) die Burg von Sedanor gestürmt und eingenommen wurde. Son Sedanor allein gelang die Flucht. Er war ausgetreten und konnte sich vor den Aufrührern verbergen. Als flinker Läufer legte er noch in derselben Nacht eine Strecke von 50 km zurück, bis zu einer Höhle im Westen, in der er sich verbarg. Dort wartete er auf Hilfe, wie er es zuvor mit seinen Freunden im Netzwerk der Sonilier vereinbart hatte. Er hatte Zeiten der Not vorausgesehen und vorsorglich dieses Netzwerk aus treuen Leuten aufgebaut.
Während er noch rannte und floh, enthauptete Ian nacheinander alle zehn Mitglieder des Bedeba-Rates und zwang die Burgwache sich dem Putsch zu unterwerfen. Bevor er jedoch seinen Platz auf dem Thron einnahm, zog er selbst mit 6.000 Mann in Richtung Norden, während seine jüngeren Brüder mit dem Rest des Heeres durch die umliegenden Gegenden zogen und Ians Herrschaft ausriefen.
Damit war seine Arbeit in dieser Nacht noch lange nicht getan. Er musste den Zug der Kranken einholen, der ihm eine Tagesreise voraus und damit dem Tal nicht mehr fern war. Zwei Stunden mochten sie noch haben, ehe die ersten Kranken in die Hitze hinabsteigen mussten, die Nacht war hier auf Ians Seite, schließlich musste es auch im Tal des Nachts kälter sein. Dennoch entschied der Sohn Annaz', dass es das Beste wäre, wenn er mit einigen Kriegern vorausritt, so viele wie Sättel und Tiere in der Burg zu finden waren, um den Zug zu verfolgen und so lange aufzuhalten, bis das restliche Heer ihn überfallen und die Infizierten befreien konnte.
Die Operation gelang und die Kranken wurden zurückgeführt, nachdem man auch ihre Bewacher mit Gewalt zur Kapitulation gezwungen hatte.
Dennoch hätte die Herrschaft Ians wohl nicht lange gedauert, angesichts der Epidemie, die daraufhin losbrach. große Teile der Bevölkerung erkrankten und es war das Glück der Ianer, wie sich die Familie nun stolz nannte, dass ein ominöser Medizinmann ein Mittel fand, das wenigstens die Symptome der Krankheit lindern konnte.
Der Medizinmann Eniomad selbst war infiziert gewesen und verdankte den Ianern sein Leben. So kam es, dass er ihnen den Gefallen tat, das Elixir und die zugehörigen Beschwörungen nur bei denen anzuwenden, die Ian die Treue schworen.
Die nächsten zehn Jahre geschah nichts beunruhigendes. Die Tauta Zet vermehrten sich und lebten von den Früchten des Landes, doch die Ianer waren verschwenderische Leute und hinzu kam, dass die Infizierten den doppelten bis dreifachen Nahrungsverbrauch verglichen mit den Gesunden hatten - da dieses Symptom nicht geheilt wurde, vielleicht sogar eine Nebenwirkung der Behandlungen des Eniomad war und mit der Zeit die Mehrheit der Tauta Zet sich infizierten, wurde Ed Bad immer mehr ausgezehrt.
Ob eine Hungersnot ausbrechen würde war nur noch eine Frage der Zeit und siebzig Jahre später mehr denn je ein aktuelles Problem. En David, der Sohn Seneors und Enkel Son Sedanors, stand genau in dieser Zeit auf dem Turm seines Hauses und fragte sich, was sein Leben bedeutete, ob er sich nicht längst die Freiheit hätte nehmen sollen, aus dem Schatten seines Vaters zu treten.