Sie saß auf ihrem Thron, die Hände ruhten auf den samtenen Armpolstern. Zu ihren kristallenen Schuhen weilte ein Tiger, feuerrot und von edlem Geblüt. Er würde sie schützen, sollte der Angeklagte ihr gegenüber das Schwert erheben.
"Ihr gesteht also die Tötung des hoheitlichen Schlossdrachens und könnt keinen Grund für Euer missliches Verhalten vorbringen?", sagte sie und erteilte dem Übeltäter, welcher in haargenau 1,5 Metern Abstand vor ihr kniete, mit einer Handbewegung das Wort.
"Wenn Ihr gestattet, Eure Hoheit, möchte ich Euch die Umstände meiner Tat erläutern", sprach der Ritter und senkte sein Haupt. "Zum Zeitpunkt des Unglücks war ich der festen Überzeugung, Euch aus den Fängen des Ungeheuers zu erretten. Nichts läge mir ferner, als Euer Eigentum zu beschädigen ..."
"Ihr nennt ihn Eigentum? Goro-28 war mein treuester Freund, eine Kreatur, die mich auf all meinen Herbstpromenaden begleitet hat ..."
"Mit Verlaub, meine Prinzessin, aber trug Goro-28 nicht seinen Namen, weil er der achtundzwanzigste ..."
"Schweigt, falscher Krieger!", mahnte sie und erhob sich von ihrem edlen Stuhle. "Ihr habt dem Königreich Unrecht getan und sollt für Euer Verbrechen sühnen. Siegismund, erhebe dich."
Sie nickte der Großkatze zu, woraufhin diese die Glieder streckte und ihre Zähne fletschte. Ihre bloße Erscheinung schien den Ritter einzuschüchtern, doch er wich nicht von der Stelle.
"Ich bitte Euch, Mylady, hört mich an. Die Kunde über mein Werk breitet sich bereits über die Lande aus. Wenn Ihr mich über den Schlossgraben jagt, werde ich nirgendwo sicher sein. Bitte, habt Erbarmen. Meine Gunst wird auf ewig Euch gebühren ..."
Die Prinzessin zögerte. Der Unmut des jungen Kriegers stand ihm ins Gesicht geschrieben, sein schlechtes Gewissen hatte seine Gestalt in sich zusammensinken lassen. Der einst tapferste Kämpfer der Nation war kaum wiederzuerkennen. Sie allein entschied über sein Schicksal, sie, die mächtigste Herrscherin ihrer Blutlinie. Würde sie wirklich so herzlos sein, ihn für seine kurzsichtige Schandtat zu verurteilen? Sollte sie, die Gütigste aller Gütigen, nicht vielmehr Gnade vor Recht walten lassen und die Zwietracht in ihrem Herzen zu seinem Wohle zerstreuen?
Ganz ehrlich? Nö.
"Hinfort, elender Scherge", fauchte sie und gab dem Tiger mit einem Fingerzeig die Erlaubnis zum Walten seines Amtes. "Lauf davon, bringe die Landesgrenzen hinter dich und kehre nie wieder zu -..."
Das Knarren der Tür unterbrach ihren Schuldspruch, und sie wandte sich erschrocken der Pforte zu.
"Elli, Basti, kommt ihr Mittagessen? Und mal der Katze bitte nicht immer Streifen auf den Pelz, Schatz, das geht ganz schwer wieder raus."
Daraufhin verließ der Störenfried das Kinderzimmer. Auf dem Gesicht des Ritters breitete sich ein Grinsen aus.
"Freispruch?"
"Vorübergehend", seufzte sie. "Aber nur, wenn du meinen Blumenkohl isst."