Die Frage bohrte, wie ein Meißel auf Phonolit. "Wer ist der Mistkerl, der diese Expedition sabotiert? Dr. Thompson war angeblich durch Zufall abgestürzt, also ein Mann, der Steinböcken noch das Klettern beibringen könnte. Das Verpflegungszelt war tragischer weise ein Raub von Flammen geworden und ein Teil der Ausrüstung ging auf mysteriöse Weise verloren, also die Steigausrüstung, Seile und sämtliche Klemmgeräte und Eisschrauben. Zufälle mag es geben, aber Zufälle in so einer Häufung gab es nicht. Wie sollte ich Leuten trauen, die ich erst kurz oder gar nicht kannte. Wie sollte ich Bergkameraden vertrauen, auf die ich mich in der Wand absolut verlassen musste."
Gefangen in dem gleichmäßigen Trott schob ich die Gedanken hin und her. "Mit blieb keine Wahl, ich musste mich absetzen und die Flucht ergreifen, bevor mein Leben möglicherweise an einem seidenen Faden hing." Mit den Augen erfasste ich, dass ich bald den Gletscherrand erreichen würde. Nervös blickte ich mich um. Noch hatte keiner der vier anderen Bergsteiger meine Flucht erkannt oder war mir gefolgt. Stetig zügiger würde ich den Boca Diabolo hinter mir lassen und dann über die Schneefelder zur Quelle des Azufral gelangen, der etwa 200 Höhenmeter tiefer lag. Von dort aus musste ich über die Schotterfläche des ehemaligen Gletschers ohne Namen (Sin Nombre) marschieren und erreichte von dort aus den Abstieg durch die Puna der toten Mönche. Ortskenntnisse waren also von Vorteil, wenn man einen Ausweg suchte, den keiner kannte. Den Moränenwällen des Gletschers wich ich aus, denn der unstete Boden der Moränen forderte zu viel Energie nach dem langen Abstieg.
"Erst wenn ich mit den mannshohen Mönchshaupt Gewächsen (Freilichones) verschmolz - war ich in Sicherheit." Dann hörte ich einen Knall hinter mit, der kalt und unangenehm realistisch klang. Ich hörte das Surren und den Einschlag keine fünfzig Meter neben mir. "Scheiße, da hat es einer auf dich abgesehen. Nur wer?" Gehetzt und so schnell wie möglich rannte ich um die Endmoräne und stolperte dann die Teufelstreppe hinab. Noch fünfzig Meter, dann waren diese wunderschönen mannshohen Gewächse erreicht und das hohe Grass, das selbst ein Pferd verbergen würde. Rasch tauchte ich in die Vegetation ein. Mehrfach legte ich falsche Spuren. Stetig wich ich mehr nach Westen aus, um nun eine größere Strecke durch die feuchte Puna zu stolpern. Geräusche waren hinter mir nicht zu vernehmen, denn die anderen würden diesen Weg nicht einschlagen. Die Dunkelheit setzte ein, also war es etwa halb sechs. Schon bald würde es finster werden, denn der Übergang fiel hier in den Anden wie ein schwarzes Tuch binnen Minuten über die Landschaft. "Zweihundert Meter muss ich noch schaffen, um zum Wasserfall des Guali zu gelangen. Keiner würde erwarten, dass ich diese Stelle passieren könnte und daher hieß es noch einmal die Kräfte zu mobilisieren. Rasch spürte ich den Übergang zwischen dem Punaboden und dem glatt polierten Fels. Natürlich wuchs dort Moos, aber mit etwas Glück würde ich auch diese Stelle meistern. Dann spürte ich schon die Dornengräser, die auf der anderen Seite wuchsen. Jetzt hieß es nur noch die Geländesenke zu finden, um von dort in das Guali Tal zu gelangen. In größerer Entfernung sah ich Fahrzeugscheinwerfer die dem mit Schlaglöchern gespickten Mulitrail folgten. In einer Stunde könnte der Wagen hier sein, aber bis dahin war ich schon längst, in das Guali Tal abgetaucht. Zudem gab es dort viele kleine Höhlen, in denen man sich bestens verstecken konnte.
Erst jetzt kam mir der Gedanke, wieso mir die anderen Bergsteiger folgen konnten. Langsam ging ich meine Ausrüstung durch. Ich hatte nur ein Messgerät dabei, einen Laser. Ja, dass war möglicherweise der Verräter. Rasch streifte ich den Rucksack ab und zerrte das Gerät aus dem Rucksack. Tatsächlich ein kleiner Sender steckte in dem Koffer. Das Teil war rasch entfernt und mit einem Stein zerschlagen. Aber mit Sicherheit gab es noch mehr Verräter. Langsam tastete ich alles ab. Sogar das Funkgerät war verwanzt. Die Funkgeräte von Hitachi waren robust, aber ihre glatte Oberfläche ließ nur eine Versteckmöglichkeit zu. Unten im Fach für das Aufladekabels. Auch diese miese Zecke brachte ich zum Schweigen. Rasch griff ich die Stirnlampe und untersuchte auch dieses Objekt mit den Fingern. Zu offensichtlich hing ein kleines Teil daran. Auch dieses Teil wurde ein Opfer der brachialen Gewalt, es blieb nur noch das Batteriefach, denn jeder Sender braucht Strom. Blind öffnete ich das Batteriefach und war nicht überrascht, als ich auch hier noch ein kleinen Fremdkörper fand.
Mit einem Stein wurde auch dieses Teil in kleinste Fragmente zerlegt. Ein Schluck Wasser musste reichen und zwei Energieriegel. Rasch war der Rucksack geschultert und ich passierte endlich den Mulitrail und rannte über die Lamaweiden, um die ersten Wendungen ins Tal zu finden. Aus der Erinnerung heraus wusste ich, dass dort ein alter Rosenbaum stand. Viehtreiber lagerten dort gelegentlich. Aber an diesem Abend sah ich kein Feuerschein von einem Lagerfeuer. Lamas standen auch nicht an dem Ort. Zügig wich ich nach links zum Guali Tal aus und rutschte einfach in das Tal herab. Im Flussbett war derzeit kaum Wasser, denn die Schneeschmelze lag lange zurück. Krampfhaft versuchte ich mir die wesentlichen Details des Geländes ins Hirn zu rufen. Irgendwann kam ein kleiner Wasserfall, der an seiner Geräuschkulisse zu erkennen sein sollte. Von dort gab es zwei Wege. Einer führte nach Pinchincha und der zweite nach Torre del Piranja. Genau dorthin musste ich, wenn ich wissen wollte, was an dieser Expedition so besonders war. Fabio Colmenares war ein alter Freund und keiner wusste, dass es diesen Freund an diesem Ort gab.
Dann, sah ich das Drama. Neben der Lavawand stand ein hell erleuchtetes Lager von der FARC einer miesen Rebellengruppe. Es war nicht schwer zu erraten, welches der Grund hierfür war. Ein Drogenlabor war aufgebaut worden und damit stand fest, dass dieser Weg verbaut war. Zudem ergab jetzt alles einen Sinn. "Dr. Thompson war mit dem Hubschrauber zum Basislager geflogen. Hatte er etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt war? Fabio hatte erzählt, dass die Rebellen für die Drogenbarone arbeiteten und mit Kokain ihr Geld verdienten. Der einzige, der das wissen konnte war Jose Pereira vom staatlichen geologischen Dienst." Jetzt galt es also den verfluchten Madenweg zu gehen, der mich aus dieser Zwickmühle herausführte. Ich musste nach Tunja latschen, einem Dorf der Bauern, die hier oben in der obersten Waldstufe Viehwirtschaft betrieben. Nur von dort kam ich weg aus dieser Gegend. Von dort würde mir hoffentlich die Flucht über Honde nach Fusagasugar gelingen, wo Dr. Müller lebte. Tief in der Nacht erreichte ich das Dorf und sämtliche Campesinos samt ihrer Familien lagen erschossen vor den zehn Häusern. Die Gefühle sanken auf einen eisigen Tiefpunkt, denn die FARC und die Kartelle töteten gnadenlos. Aber eine Chance bestand noch. Mit Glück standen dort noch die kleinen Motorräder, die jeder Campesino nutzte um die abgelegenen Weiden zu kontrollieren.
In einem Stall fand ich eine klapprige Susuki, die mit ein wenig gutem Zureden ansprang. Mir wurde klar! Ich musste zur Brückenbaustelle, denn dort baute Hochtief eine Brücke. Einen Ingenieur kannte ich aus dem Unicentro, wo alle Ausländer Brot einkauften. Zufällig war ich auf ihn gestoßen, als ich zu wenig Brot bekam. Nett, wie der Schweizer Bauingenieur Rössler war lud er mich zu einem Essen bei seiner Landsmannschaft ein. Er stand in meiner Schuld, weil ich sein Brückenbauprojekt recht schnell retten konnte. Naja, woher sollte ein Ingenieur auch wissen, dass Grünton der mieseste Untergrund für ein Brückenfundament war. Mit der Susuki gelangte ich recht schnell über die Viehweg durch den Wald und zur Baustelle. Das Licht machte ich rechtzeitig aus, um die Lage rund um das Containerdorf zu peilen. Die Baustelle war hell erleuchtet, aber die Hubschrauber daneben störten. Also musste ich noch einen weiteren Umweg fahren um nach Honda zu gelangen. Müde lagerte ich neben der alten Eisstraße, die früher dazu diente Eis von den Gletschern für die Kühlhäuser zu beschaffen. In einer halb verrotteten Stationshütte legte ich mich zum Schlafen. In der Morgendämmerung hörte ich zwei laut knatternde Hubschrauber, die offenbar die Umgebung absuchten. Nochmals durchforstete ich meine gesamte Ausrüstung, fand aber keine Minisender mehr. Auch sämtliche Taschen und Kleidung waren frei von Fremdkörpern. Teile meiner Ausrüstung ließ ich dennoch zurück, die Steigeisen, den Eispickel und das persönliche Gurtzeug. Zwei Energierigel mussten reichen, bis ich in Honda ankam. Dort gab es genügend Tiendas (Ladenlokale), um sich einen Happen in den Mund zu schieben. In Honda erfuhr ich, das der Weg nach Westen durch Militärposten versperrt war.
Mir blieb nichts übrig, ich musste einen Weg nach Westen finden. Dann hörte ich es. Das Militär feuerte mit Geschützen in den Wald südlich der Ortschaft. Gab es hier einen Kampf mit den Rebellen. Ich erfuhr es nie, denn zufällig sah ich mehrere Fahrzeuge von Hochtief, die in einer Kolonne gen Westen fuhren. Ohne zu überlegen winkte ich den Leuten zu, unter denen sich zufälligerweise auch der Schweizer Ingenieur befand. Erst jetzt realisierte ich, dass dies ein Fehler war. Mehrere Männer zückten Pistolen und eröffneten sofort das Feuer auf mich.
Während meiner Zeit in Kolumbien wurden vier Kollegen von den Drogenbaronen und den Rebellen ermordet. Drei weitere Kollegen verschwanden einfach und wurden nie wieder gefunden. Ich nahm folglich an vielen Trauerfeiern teil. Dort hörten wir immer diese Musik: https://www.youtube.com/watch?v=3t_h-Zjqdfg Die Gänsehaut war unbeschreiblich, denn ich habe es bis heute nicht Verstanden, warum so viel gemordet wurde.