Er nahm ihre Hand und führte sie durch die überwältigende Stadt. Die Fassaden erinnerten an Baustile aus längst vergangenen Epochen in einer bunten Mischung aus vielen Einflüssen, Formen und einigen bedeckten Farben. In den verspielten Gassen tummelte sich rege das Leben und neben allerhand Menschen, Magiern, Gestaltwandlern und sprechenden Tieren konnte sie in der Ferne die große Kuppel aus Glas und schwarzem Stahl erkennen - der Hauptbahnhof.
"Sie sind mir auf den Schwanz getreten junge Dame", krächzte eine alte schwarze Katze von unten zu ihr hoch.
"Tut mir leid", brachte sie etwas schüchtern und verlegen heraus, während sie sich höflich verbeugte.
Sie hatte sich noch immer nicht an diese Welt gewöhnt, in die sie vor einiger Zeit gestolpert war. Wie war sie noch gleich hier her gekommen? Sie erinnerte sich nicht mehr und mit jedem Tag verlor sie auch alle Erinnerungen an ihr Leben in der Realität. Oder hatte sie bislang immer nur geträumt?
Felis lächelte sie verschmitzt an:"Träume nicht so viel, der Zug kommt doch gleich."
Sie wurde abermals rot, weil sie sein Lachen so herzlich schön fand. Es kribbelte wieder und hörte wohl auch dieses Mal nicht wieder so schnell auf. Er zog sie jetzt noch etwas zügiger an der Hand hinter sich her. Vorbei an den Händlern, die auf dem Marktplatz unglaubliche Waren anboten. Beim vorbeiziehen sah sie noch die knallgelben Singvögel in ihren kleinen Messing-Käfigen.
Noch nie hatte sie so glückliche gefangene Vögel gesehen, die ihre Bühne derart feierten. Ihr Leben war hier nur ein Theater und sie liebten es ohne die Gefangenschaft zu fürchten. Sie kannten weder die Welt, noch kannten sie einen anderen Sinn.
Der scharfe Geruch der Dampflok hing ihr in der Nase, als sie schließlich im Bahnhof eintrafen - und das sogar etwas außer Atem. Felis rannte mit ihr über den Bahnsteig und schubste sie die Treppen in den Waggon rauf.
"Warte, kommst du nicht mit?", fragte sie nervös.
"Nein, ich muss doch hier bleiben und mich um meine Mutter und meine Geschwister kümmern."
"Aber...aber wohin fährt denn dieser Zug überhaupt?"
"Das wirst du dann schon sehen."
Er lächelte wieder mit all seinen Grübchen und den dunkelblonden Locken im Gesicht. Noch immer hielt er ihre Hand, als die Dampflok begann tosende Geräusche von sich zu geben und langsam anfuhr.
Sie hatte Herzklopfen und ein bisschen Angst. Seit sie hier war, gab es nur ein Jetzt und weder Zukunft noch Vergangenheit. Sie drückte seine Hand nun immer fester.
"Geh nicht weg, lass mich nicht allein!", rief sie nun so laut wie es eben ging.
Er zog sie noch einmal an der Hand näher zu sich heran und lächelte immer noch ungetrübt, als er ihr einen zarten Kuss gab noch ehe er nicht mehr mit der Lok schritthalten konnte.
Der Wind sauste ihr um die Ohren und Felis wurde immer kleiner und kleiner und kleiner. Ganz plötzlich war es nun vorbei. Sie krallte sich im Treppenaufgang fest und wollte nicht vorausblicken, denn sie wollte bei ihm bleiben und verweilen. Würde sie Felis jemals wieder sehen?
Wir werden es nie erfahren, denn so kann die Spannung zwischen den beiden für immer bleiben.