Um den Segen der Götter zu erhalten – eigentlich eher, da es mittlerweile zu einem Ritual geworden war – küsste Alxis seine Dolche. Er wollte gerade an Deck gehen, sich zum Sprung bereitmachen, seinen Auftrag ausführen, als ein Läufer des Königs um die Ecke bog und keuchend neben ihm zum Stillstand kam. Seine Augen wurden groß, wanderten einen Moment über Alxis‘ tätowierten Oberkörper.
»Was?«, fragte er barsch.
»Sie… äh«, setzte der Junge an. »Es gibt einen Gefangenen. Haben ihn aus dem Wasser gefischt. Muss wohl von Bord gefallen sein. Der… der König meinte, es könnte Sie interessieren.«
»Von dem Schiff mit den roten Segeln?«
»Ja.«
Verdammt.
»Wo?«
Der Läufer deutete in Richtung Heck. »Zwischendeck. Yorick verhört ihn in seiner Kajüte.«
Alxis stieß den Jungen beiseite, eilte eine Treppe hinab. Hastete zum zweiten Mal in wenigen Minuten an rußgeschwärzten Männern vorbei, die Eisenkugeln in Kanonenrohre hoben. An dem Mädchen, das mit rotem Kopf ihr Curry löffelte.
Er zog einige Blicke an, beachtete sie jedoch nicht. Die Dolche steckte er im Lauf sorgsam in die Scheiden an seinem Gürtel zurück.
Alxis musste sich keinen Weg durch die Anwesenden bahnen, die sich vor Yoricks Kajüte versammelt hatten, die Menge wich automatisch vor ihm zurück. Vor dem Anblick, den er bot. Der Angst, die er verströmte. Er wusste genau, wie er wirkte, es stellte die Basis für seinen Ruf dar.
Hoffentlich bin ich nicht zu spät.
Nein, Alxis hörte Stimmen durch die dünnen Holzwände dringen.
»Sag mir, wo er ist. Wo habt ihr ihn versteckt?«
»Ich… nein!«
Er trat an den König heran, einen Mann, der trotz des schwülen Wetters seinen schwarzen Pelzmantel trug. Wenn man den Legenden Glauben schenkte, war er gegen Hitze und Kälte unempfindlich, egal, welche Ausmaße diese annahmen.
»Eure Majestät?«
Der Mann brummte gelangweilt.
»Darf ich?«, fragte Alxis. Von drinnen drang etwas zu ihm hinaus, das sich wie ein Schlag anhörte. Jammern. Flehen.
»Nur zu«, sagte der König.
Sofort riss Alxis die Tür auf. Yorick – ein kleiner Mann mit rattenartigem Gesicht und Hakennase – stand über den Gefangenen gebeugt, die Faust zum Schlag erhoben.
»Raus«, knurrte Alxis. Der Leutnant warf ihm einen verächtlichen Blick zu, schaute an ihm vorbei zum König, der ganz offensichtlich hinter Alxis nickte, denn Yorick ließ die Faust ein letztes Mal auf die Wange des Gefangenen hinabsausen und erhob sich dann. Er rempelte Alxis im Vorbeigehen an und verließ die Kajüte.
Alxis schloss die Tür, drehte sich zu dem Häufchen Elend um, das zusammengerollt auf dem Boden lag. Der Mann hatte die Augen fest zugepresst, in seinem Bart hingen blutige Speichelfäden. Er zitterte.
Als er vorsichtig blinzelte und Alxis erkannte, wich sämtliche Farbe aus seinem Gesicht. »Du…«
Mit einem Satz war Alxis bei ihm, presste ihm die Hand auf den Mund.
»Ich.« Er zog einen seiner Dolche und stach zu.
»Verhör beendet.«
Die Männer im Gang warteten angespannt. »Weißt du, wo er ist?«, fragte der König.
»Achterdeck. In einer ein mal ein Meter großen Truhe aus Birkenholz.«
Aus Yoricks Blick sprühten Funken, der König jedoch nickte zufrieden. »Erfülle deinen Auftrag.«
»Werde ich, Majestät.«
Alxis warf einen letzten Blick in den Raum hinein. Auf den gebrochenen Schädel des Gefangenen, das Blut, das an den Wänden klebte. Er warf dem Leutnant einen halb entschuldigenden, halb spöttischen Blick zu, und suchte sich die nächste Treppe aufs Hauptdeck.