„Heia, Walpurgisnacht,
heia, heia, ho!
Heia, der Vollmond lacht,
heia, heia, ho!“
Ihr törichten Menschen in eurer modernen Welt, was lässt euch glauben, dass ihr sicher seid?
Sind es die immer wiederkehrenden Wiederholungen alter Horrorfilme, die euch inzwischen nur noch langweilen?
Sind es die vielen, harmlosen Kinderbücher von kleinen Hexen und Zauberlehrlingen mit Nickelbrille, die sich irgendwelche Gutmenschen ausgedacht haben, weil sie es nicht besser wissen?
Sind es die gähnend leeren Gotteshäuser, die bezeugen, dass ihr nicht an das Gute glaubt und euch somit bestätigen, dass es auch das Böse nicht gibt?
Was, wenn ich euch sagte, dass ihr damit völlig falsch liegt?
Für das Gute kann ich nicht sprechen, denn es ist mir nie begegnet, aber ich kenne das Böse und sehe es überall, seit meiner frühen Kindheit.
Es begann mit dem Tod meines Großvaters. Am ehesten war er der Mensch, zu dem ich Liebe empfand. Er lehrte mich Dinge. Wenn ich ihm bei der Obsternte im Garten half, dann hielt er mich davon ab, die Früchte aus den obersten Spitzen der Bäume zu holen. Er sagte, man solle sie dort hängen lassen, für Wotans wilde Jagd. In Gewitternächten würden seine Walkürentöchter mit beladenen Pferden nach Walhalla jagen. Auf den Rücken ihrer fliegenden Pferde würden sie die gefallenen Einherier in die Burg ihres Vaters bringen. Ich weiß noch, dass ich so manche Nacht bei Sturm und Blitz und Donner nach oben in die Bäume schaute, um einen Blick auf diese herrlichen Geschöpfe zu erhaschen, doch es geschah nicht. Im Ort erzählte man sich, mein Großvater sei die Ausgeburt einer Hexe und ein alter Heide. Beides verstand ich nicht, also vereinfachten es die Leute mir mit den Worten, er sei nicht ganz dicht. Als Urenkel einer Hexe, was bin da ich?
Man hatte mir verboten, die Leiche meines Großvaters noch einmal zu sehen. Doch er lag, nur von einem Leichentuch bedeckt, noch immer in seinem Bett, wo er gestorben war und eine Tante hatte darauf bestanden, dass alle Spiegel im Haus verhängt würden. Dies sei notwendig, damit nicht der Teufel kam, um die Seele des alten Ungläubigen zu holen. Ich fragte mich, ob sie vielleicht eine Hexe war, doch mehr noch machten mich ihre Worte neugierig. Also wartete ich ab, bis die Erwachsenen mit dem Pfaffen beim Schnaps saßen und auf den Bestatter warteten. Dann schlich ich mich ins Schlafzimmer. Doch als ich dort am Bett stand, wagte ich nicht, das Laken zu heben, um meinen Großvater noch einmal zu sehen. Etwas hielt mich zurück. Und noch bevor ich realisierte was geschah, ging ich hinüber zum großen, verhüllten Standspiegel. Ich dachte nicht darüber nach und zog plötzlich an einem Zipfel des Tuches. Kaum war es hinuntergefallen, da starrte mich eine abscheuliche Fratze des Bösen an. Die Augen waren schwarz und hohl, gelbe Zähen in einem schief verzogenen Maul schienen mich anzugrinsen. Riesige Nasenlöcher bebten in der widerlichen Visage und es sah aus, als ragten tatsächlich Hörner oder Schlangen aus dem Ding hervor. Entsetzt schlug ich mit meiner Kinderfaust so gewaltig an das Glas, dass der Spiegel zerbrach. Damit verschwand das grausige Gesicht und ich kauerte mich blutend in die Ecke, bis man mich schreiend aus dem Zimmer holte. Ich hätte schwören können, ein Schatten war über den Körper meines Großvaters gebeugt, doch niemand außer mir sah ihn.
Von da an, sah ich diesen Schatten immer wieder. Manchmal hockte er des Nachts am Fußende meines Bettes und starrte mich mit seinen schwarzen Augen an. Als ich meiner Tante davon erzählte, ging sie mit mir zum Arzt. Der ließ mich einweisen. Das hätte er besser nicht getan, denn schon am nächsten Tag hatte er einen mysteriösen Autounfall. Sekundenschlaf. Mitten vor den Brückenpfeiler an der Autobahn. Der Schatten und ich, wir fanden das urkomisch. Dennoch nahm ich mir vor, ihm nicht alles zu erlauben.
Wenn ihr mich also fragt, ob es diese Dinge gibt, die man gemeinhin das Böse, Hexe, Belzebub, den Herrn der Fliegen nennt, dann lautet meine Antwort ja. Und man kann Spaß mit ihm haben.