Es war einer dieser Tage, an denen sich Joshua nicht gegen das quälende Gefühl der Unruhe wehren konnte. Draußen war nicht eine Wolke am Himmel und die Sonne hatte bereits jetzt im Frühling eine enorme Kraft. Doch das machte es nicht besser, sondern schlimmer. An so einem Tag vor sechs Jahren geschah es. Seine Hand auf der Computer-Maus zuckte. Es wären nur ein paar Klicks bis zu den letzten Fotos von ihr …
„Was machst du?“, riss ihn die Stimme seines Freundes aus der relativen Starre.
„Ach, nichts Besonderes.“
„Du döst vor deinem Bildschirmschoner.“ Rockys Blick verriet, dass er genau wusste was los war. Also gab Joshua auf. Lieber wäre ihm gewesen, er wäre nicht dabei erwischt worden, wie er mal wieder darüber ins Grübeln kam, ob er irgendetwas übersehen hatte oder ob alles anders verlaufen wäre, wenn er etwas anders gemacht hätte. Sechs Jahre. Ob er noch immer mit Melissa verheiratet wäre?
„Komm da weg, ich mache uns einen Tee“, schlug sein Schatz vor und lächelte aufmunternd.
„Tee bei dem Wetter?“
„Okay, dann einen Eistee, aber mach das Ding aus.“
Joshua seufzte, auch wenn er Rocky unendlich dankbar für seine Beharrlichkeit war. Es war wirklich kein Zustand. Also ließ er den Rechner runterfahren und folgte seinem Freund in Richtung Küche. Als er an der Terrassentür vorbeikam, stand die sperrangelweit offen. Sicher war das Absicht und Rocky deutete an, dass sie sich draußen hinsetzen wollten. Draußen, wo es geschah …
Joshua fiel in seinen Gartenstuhl und in Gedanken, aus denen er sich gerade rechtzeitig riss, als Rocky mit dem Eistee kam. Er hatte auch Kekse mitgebracht. Das war so lieb und darum gab sich Josh größte Mühe mit seinem Lächeln.
„Du bist großartig.“
Sein Freund nickte, gab ihm ein Glas Tee mit einem Kuss und setzte sich ihm gegenüber.
„Sag mir was, was ich noch nicht weiß“, forderte er Joshua mit einem Augenzwinkern heraus.
„Du … an manchen Tagen kann ich es nicht glauben, dass du mich liebst …“
„Papperlapapp. Du bist einfach der heißeste Trauerkloß, der mir je begegnet ist. Und wenn es dich mal wieder packt, dann bin ich da. Ist doch voll logisch, wenn man sich liebt.“
„Ich fühle mich so dumm.“
„Das bist du garantiert nicht. Was dir passiert ist, das hinterlässt Narben, ganze Mondkrater. Das heilt nicht so schnell. Setz dich nicht unter Druck und trink deinen Eistee.“
Joshua lächelte etwas. Mehr Rocky zuliebe, aber immerhin.
„Sie wäre jetzt … nein, sie ist jetzt zwölf. Schon fast eine junge Dame. Und ich weiß, dass sie noch lebt“, brach es plötzlich aus ihm heraus.
„Das tut sie sicher …“
„ … und manchmal, da stelle ich mir vor, dass sie plötzlich wieder da ist. Oder das alles ist nur ein ewig langer Alptraum und sie war nie fort. Oder sie schickt eine Postkarte von irgendwo, wo draufsteht: Es geht mir gut, Daddy, ich lebe …“ Hier kam er nicht weiter. Tränen erstickten seine Stimme und ein Zittern schüttelte seinen ganzen Körper. Er kam sich so entsetzlich hilflos vor. In dem Moment war Rocky schon bei ihm, nahm ihm behutsam das Glas ab, stellte es auf den Boden und schloss seinen Freund in die Arme.
„Alles wird gut, Jojo, lass es raus. Schrei, wenn es dir hilft. Ich bin da …“
Und Joshua schrie. Er schrie so laut, dass es sicherlich die Nachbarn hörten, aber das kümmerte ihn nicht. Sein kleines Mädchen war fort. Mit aller Kraft klammerte er sich an Rocky, was nur ein Spitzname war, aber der passte. Sein Freund war wie ein Fels, der ihm Halt gab.