Zwei jugendliche Hände stießen durch den Perlenvorhang und rissen die Schnüre beiseite. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht platzte Sonja in die Hütte.
»Kai?«, rief sie. »Kai?« Auf ihrer Stirn sah er die Schweißtropfen, ihre Augen hefteten sich auf ihn. »Willst du zum Wolkenschwimmen mitkommen? Ein bisschen abkühlen? Mein Vater bringt uns hoch.«
Kai spürte die Vorfreude in ihm hochbrodeln. An diesem Tag war selbst die Luft in der Hütte heiß und schwül, ein bisschen Abkühlung würde guttun. Er nickte. »Mama?«
Sie streckte ihren Kopf aus dem angrenzenden Zimmer.
»Darf ich Wolkenschwimmen gehen?«
Die Lippen seiner Mutter pressten sich aufeinander. Sie löste sich vom Türrahmen, kam in den Wohnbereich geschlurft. »Du weißt, dass mir das nicht so recht ist. Wenn du hinausfällst, … einen solchen Sturz kann man nicht überleben.«
»Genau das ist es ja«, schaltete sich Sonja ein. »Die Wolken stehen perfekt. Sie reichen bis hinab zum Meer, da passiert gar nichts.«
Kais Augen weiteten sich vor Aufregung. Er nahm den misstrauischen Blick seiner Mutter wahr, raste jedoch an ihr vorbei und spähte durch den Vorhang nach draußen. »Wow … Mama?«
Erneut ein Seufzen, dann eine Hand auf seiner Schulter, als sie ebenfalls hinaussah. »In Ordnung. Aber pass auf, ja?«
»Ja. Ja, werde ich.« Mit einem glücklichen Quietschen schlüpfte er in seine Badehose, nahm die Flossen mit und rannte hinter Sonja aus der Hütte. Sobald er den schützenden Schatten verließ, brannten die Sonnenstrahlen auf ihn hernieder, bohrten sich in seine Haut, sodass er beinahe spüren konnte, wie sie diese langsam dunkler färbten.
Sonjas Vater wartete neben seiner Propellermaschine. Er packte Sonja, hob sie auf eine der Tragflächen, von der sie ins Innere kletterte, dann wandte er sich an Kai. »Hat deine Mutter es erlaubt, Junge?«
»Ja, hat sie«, sagte Sonja, doch ihr Vater blickte weiterhin auf Kai. Prüfend, mit zusammengekniffenen Augen.
»Ja, hat sie.«
Kai wurde hochgehoben, das Metall unter seinen Füßen glühte förmlich von der Sonne und er krabbelte schnell zu Sonja in die Sitze.
Ihr Vater warf die Maschine an, der Propeller drehte sich, erst langsam, dann immer schneller. Leicht ruckelnd setzten sie sich in Bewegung, rollten die Startbahn entlang, schneller und immer schneller, bis die Rollen den Bodenkontakt verloren und sie durch die Luft rauschten.
Fasziniert klebte Kai am Fenster und starrte hinaus. Er erkannte sein Haus, das schnell kleiner wurde, er erkannte das Meer, das ganz in der Nähe gegen den Steinstrand krachte. Er erkannte die Wolken. Riesige Wasserblasen, die in der Luft schwebten. Normalerweise befanden sie sich alle relativ weit oben, sodass das Schwimmen die Gefahr mit sich brachte, unten hinauszufallen und … naja … zu fallen. Doch dieses Mal gab es dutzende Wolken, die sich von ganz oben bis kurz über dem Meer erstreckten. Kai erkannte einige Gestalten, die sich von einer Blase in die nächste hinabfallen ließen. Neben ihm kicherte Sonja vergnügt.
»Zieht eure Flossen an, ich lass euch bei der großen da vorne raus.«
Kai gehorchte, Sonja öffnete die Tür und schwang bereits die Füße auf die Tragfläche.
»Ich hol euch dann unten wieder ab. Macht euch bereit … und los!«
Sonja verschwand aus der Tür, Kai rutschte nach. Er setzte die Flossen auf die Tragfläche, stellte sich hinaus und wurde vom Wind einfach weggerissen. Fiel. Trudelte durch die Luft. Und klatschte ins Wasser.
Prustend schlug er mit den Flossen, tauchte auf, sah sich nach Sonja um. Sie schwamm bereits auf ihn zu, in ihrem Gesicht ein breites Grinsen.
»Der Ausblick ist wundervoll, schau mal, da unten ist dein Haus.«
Kai folgte ihrem Blick, spähte durch die Wasserblase hindurch, sah unter sich die anderen Schwimmer, noch weiter unter sich schließlich das Meer. Und dort, an der Küste, konnte er eine kleine Hütte ausmachen, eine inmitten von hunderten. Die Sonnenstrahlen fielen durch die Wolken, durch die dicken Blasen und die tausenden winzigen, die dazwischen schwebten, zeichneten Regenbögen über die Landschaft.
»Wer zuerst unten ist?« Sonja grinste ihn an.
»Wollen wir nicht den Ausblick genießen?«
»Ach komm schon, mein Vater fliegt uns bestimmt noch einmal hoch.« Mit diesen Worten tauchte sie unter, streckte die Flossen in die Luft und schwamm nach unten. Durch das Wasser verzerrt beobachtete Kai, wie sie den Grund der Wolke erreichte, hinausfiel und in der nächsten landete. Ohne lange nachzudenken, folgte er ihr. Atmete tief ein, tauchte hinab. Er holte mit den Flossen aus, spähte zwischen halb zusammengekniffenen Lidern hervor. Sein Kopf durchbrach das Wasser, lugte unten aus der Wolke heraus und die Schwerkraft tat den Rest. Zog ihn aus dem Wasser, ließ ihn fallen. Kai tauchte in die nächste Wolke ein, schwamm ebenfalls durch sie hindurch und kam unten wieder heraus. Im freien Fall rauschte er auf die nächste Wolke zu, so dünn, dass er sie einfach durchschlug und in der darunter landete.
Er hörte Sonja kichern, vernahm die jubelnden Rufe der anderen Schwimmer. Sah den Boden näher und näher kommen. Schwamm, fiel, lachte.
Etwa fünfzig Meter über dem Meer, hielten Sonja und er an. Er wischte sich das Wasser aus den Augen, beobachtete das Schauspiel der Sonnenstrahlen, die Wellen auf den Boden vor seiner Hütte projizierten; Wellen, wie man sie sonst am Grund des Meeres sah.
»Wir müssen da rüber, wir müssen diese kleine Wolke nehmen, ansonsten fallen wir zu tief«, sagte Sonja und schwamm auch schon voraus. Mit Hilfe ihrer Flossen schoss sie durch die Wolke, durch eine kleine Wasserbrücke zwischen dieser und der nächsten, die bald auseinanderreißen würden. Tauchte ein Stück hinab, schoss dann nach oben, hüpfte aus der Wolke hinaus und ließ sich wieder zurückfallen.
Kai tauchte ab, schwamm nach unten, fiel erneut. Platschte mit dem Rücken voraus in die nächste Wolke. Er keuchte, hörte durch das Wasser hindurch Sonjas Lachen. Unter ihnen glitzerte das Meer, breitete sich endlos blau in die Ferne aus. Kai tauchte auf, prustete.
»Hat's wehgetan?«
»Ein bisschen.«
Sie lachte und er lachte mit ihr.
»Letzter Fall. Da unten ist das Meer.«
»Salto?«
»Salto.«
Einen Moment blickten sie sich in die Augen, dann holten sie beide gleichzeitig Luft und schwammen hinab. Fielen unten aus der Wolke heraus. Der Fall war tiefer, vielleicht zehn Meter. Kai zog die Knie an, rollte sich nach hinten, überschlug sich in der Luft. Er spürte, wie der Sommerwind die Wassertropfen von seiner Haut riss. Spürte das Adrenalin durch seine Adern schwappen.
Er streckte die Hände nach vorne – nach unten – und tauchte ins Meer ein. Salzig, noch ein wenig kühler als die Wolken. Grinsend tauchte er auf, blickte zurück nach oben, in die Wasserblasen, in denen immer noch einige Personen schwammen. Neben ihm jubelte Sonja in den Wellen.
»Nochmal?«, fragte sie.
»Nochmal.«