Jayce stöhnte, lockerte die Fliege um seinen Hals. Die dunkelblaue Weste quetschte seine Brust ein, erschwerte das Atmen, und das Sakko zwang ihn dazu, mit aufrechtem Rücken zu sitzen, da der Schnitt nichts anderes zuließ. Ungeduldig tippte er mit den Absätzen seiner polierten Schuhe auf den Kutschenboden. Draußen wieherten die Pferde, Zügel schnalzten und die Räder der Kutsche quietschten, als sie sich quälend langsam vorwärtsbewegten, über einen groben Pflasterstein rumpelten und kaum einen Meter weiter erneut stehenblieben. Er schüttelte den Kopf.
»Du siehst nicht begeistert aus«, sagte Cellis, die ihm gegenübersaß. »Könntest du wenigstens so tun, als würde es dir Spaß machen?«
»Ich bin nicht der Typ für Feiern, das wissen wir beide.«
Sie rollte mit den Augen.
Jayce lehnte sich zum Fenster, zog es auf und blickte nach draußen. Kühler Herbstwind strich ihm durchs Haar, wehte den Geruch teuren Pfeifentabaks an seine Nase. Vor ihnen warteten noch mindestens zwanzig Kutschen darauf ihre Passagiere im Eingangsbereich abzusetzen. Gerade stieg eine Dame in gelbem, weitem Kleid aus ihrem Gefährt, verharrte auf dem Teppich vor den Treppen des Anwesens und ließ sich von den Männern begaffen, bevor sie gemächlich auf den Gastgeber zuschritt und ihm mit einem leichten Knicks ihre Einladung präsentierte.
Jayce schnaubte und zog seinen Kopf zurück ins Innere. Dann schob er das Fenster zu und stieß die Tür auf. »Wir gehen zu Fuß.«
»Zu Fuß?« Cellis sah ihn entgeistert an.
»Zu Fuß.«
Als er aufstand, ergriff Cellis seinen Arm. Sie trug ein dunkelrotes Kleid mit langen Ärmeln, die in spitzenbesetzten Handschuhen endeten. Um ihren Hals glitzerte eine Kette und in ihrem dunklen Haar steckten anlässlich der Feier bunte Glasblätter. Ihr Mund stand offen, als könnte sie nicht fassen, dass er das tatsächlich tat. Wie letztes Jahr. Wie jedes Jahr.
»Komm schon. Dann bist du früher bei deinem Ball. Ist es nicht das, was du willst?«
»Ich möchte den Abend genießen. Und das Warten gehört dazu.«
»Wie kann das Warten denn dazugehören?« Er sprang aus der Kutsche, kreiste die Schultern. Da, wo Sakko und Weste zu eng saßen, hingen die Anzughosen so leicht und dünn um seine Beine, dass er hinabblickte, um sich zu vergewissern, dass er sie auch tatsächlich noch trug.
Mit einem Seufzen trat Cellis hinter ihm aus der Kutsche. Er streckte ihr die Hand hin, die sie mit funkelndem Blick ergriff.
»Machen Sie sich einen schönen Abend«, sagte Jayce an den Kutscher gewandt. »Aber warten Sie dort vorne ein paar Minuten, wenn diese Kutsche an der Reihe ist, ja? Das Warten gehört dazu.«
Der Mann nickte ihm wortlos zu.
»Du bist ein Bastard, weißt du das?« Cellis raffte ihr Kleid, damit der Saum nicht über den Boden schleifte, und gemeinsam gingen sie an den wartenden Kutschen vorbei nach vorne zum Eingang. »Was hast du denn davon, früher beim Ball zu sein? Wenn du doch gar nicht hinwillst.«
»Je früher wir da sind, desto früher können wir wieder gehen.« Er atmet so tief ein, wie es Weste und Sakko zuließen. Buntes Laub bedeckte den Boden und raschelte unter ihren Schritten.
»Lass mich raten. Du willst nur früher an die Bar kommen, richtig? Wirst du wieder den gesamten Abend mit deiner Schwester rumhängen und dich betrinken?«
»Wie jedes Jahr«, murmelte er.
Cellis packte seinen Arm, hakte sich bei ihm ein. Das Kleid hielt sie nur noch mit einer Hand. »Wahre wenigstens den Anstand. Das ist peinlich.«
»Was? Nicht Warten zu wollen?«
»Die Leute schauen uns an.«
»Seit wann gefällt es dir nicht, angeschaut zu werden?«
Cellis spitzte die Lippen, entgegnete jedoch nichts.
»Tut mir leid«, murmelte Jayce. »Ich hab einfach keine Lust.«
»Versuch es wenigstens.«
Als sie den Eingang erreichten, schwang gerade eine Kutschentür auf, doch der Mann, der herauslugt, schloss sie schnell wieder, als wäre ihm klar, dass er für seinen kurzen Moment der Aufmerksamkeit noch einen Augenblick warten musste.
Cellis trat auf den Gastgeber zu, reichte ihm die Einladungen. Korrus fühlte sich in einem Anzug offensichtlich sehr viel wohler als Jayce. Er trug ein freundliches, etwas zu breites Lächeln zur Schau. »Ah, Willkommen. Sie sind doch nicht etwa den ganzen Weg gegangen, oder?«
»Nur das letzte Stück«, sagte Jayce und wedelte mit der Hand grob in Richtung ihrer Kutsche.
»Oh nein. Es tut mir aufrichtig leid, wenn es Ihnen zu lange gedauert hat. Was könnte man da tun?« Er strich über seinen Schnauzer. »Womöglich nächstes Jahr eine kleine Erfrischung für die wartenden Gäste?«
»Das wäre wundervoll. Am besten Scotch.«
Cellis kniff ihm in den Arm.
»Oder einen Ihrer Weine«, fügte Jayce hinzu. »Die Auswahl letztes Jahr war wirklich ein … Fest für meine Geschmacksnerven.«
»Nun, das freut mich zu hören. Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Abend.«
»Den werden wir haben, danke.« Cellis nahm die Einladungen wieder an sich und zog Jayce mit.
»Wie jedes Jahr«, murmelte er.
Als sie durch die Pforte schritten, den Herbstwind hinter sich ließen und außer Hörweite waren, sah Cellis ihn schief an. »Ein Fest für deine Geschmacksnerven?«
»Was weiß denn ich. Ich bin nicht gut in dieser Arschkriechersprache. Übernimm du es halt.«
»Du machst das ganz wundervoll.«
Hinter ihnen traute sich der nächste Gast erneut aus seiner Kutsche und lacht zusammen mit Korrus, als dieser ihn begrüßte.
»Wie kann der Kerl nur heute ein Fest veranstalten?«
Ein livrierter junger Mann eilte herbei, präsentierte ein Tablett mit langen Gläsern, in denen jeweils ein Schluck Flüssigkeit schwappte. Das Glas formte hierbei einen langen Stiel, der oben in ein gläsernes Ahornblatt mündete, dass sich um die Flüssigkeit schlang und nur auf einer Seite zuließ, dass man diese tatsächlich trinken konnte. Cellis drückte ihm eines davon in die Hand und stieß mit ihm an.
»Es ist Korrus‘ Herbstball. Wie jedes Jahr.«
Jayce kippte den Inhalt des Glases hinunter und stellte es zurück auf das Tablett noch bevor der Mann zu den nächsten Gästen ging. »Der Kerl steht morgen vor Gericht, weil er des Mordes verdächtigt wird.«
Cellis grinste. »Ganz genau. Und deshalb wird dieser Abend der beste, den wir je besucht haben. Ein Mann muss sein Gesicht wahren.«
Jayce suchte die Bar ab, fand seine Schwester Vellet, die ihm zuwinkte.
»Und wir auch. Wärst du so gut und würdest dich nur gerade soweit betrinken, dass du später noch mit mir tanzen kannst? Ich bitte dich.«
»Versprochen. Darf ich?«
Cellis seufzt. »Du darfst.« Sie schloss sich einer Frauengruppe an, die sich um einen kleinen Stehtisch versammelt hatten und Jayce schritt durch den Saal auf die Bar zu. Über ihm brach sich die Abendsonne in der Buntglaskuppel und tauchte den Saal in ein passendes Herbstlicht.
Seine Schwester trug braun, lehnte mit einem Ellbogen auf der Bar, grinste ihn an und nickte dem Barkeeper zu, als Jayce neben ihr auf einen Stuhl sank. »Zwei Scotch. Und ohne diese Blattgläser.«
Der Mann nickte langsam. »Ich fürchte, dass ich der Dame keine anderen bieten kann. Aufgrund des Anlasses …«
»Dann halt Blattgläser«, sagte sie und seufzte. »Hauptsache Scotch.« Dann wandte sie sich an Jayce. »Und? Bisher alles gut?«
»Wir haben lange gewartet, sind aber das letzte Stück gegangen.«
»Aber Jayce!«, rief seine Schwester in gespielter Empörung. »Das Warten gehört doch dazu.«
Sie lachten, stießen mit den unhandlichen Gläsern an, die der Barkeeper ihnen reichte und beobachteten die Menge.
»Auf einen schönen Herbstball?«
Jayce nickte. »Wie jedes Jahr.«