Anfang der fünfunddreißigsten Schwangerschaftswoche hatte Elke das Gefühl, sie wäre nun nicht mehr die Gazelle, für die ihr Mann sie immer hielt, wenn sie drei Mal die Woche vor der Arbeit am Hof laufen ging, sondern eine vollkommen überfütterte, fettleibige Kuh. Ihr Rücken und ihre Füße schmerzten, aber dennoch ließ sie sich die Vorfreude, die sie erfasst hatte, nicht nehmen.
Nur noch 24 Tage, dann stand Weihnachten vor der Tür und wenn Elke eines mochte, dann war es die Weihnachtszeit. Sie liebte den Geruch von frisch Gebackenem, von Zimt und Spekulatius, von warmen Tee und dem Feuer, welches im Kamin prasselte, um die usselige, feuchte Kälte aus dem Haus zu treiben.
Dazu den kitschigen Zierat, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte und der zur Weihnachtszeit ihr Haus überflutete und Elke war im siebten Himmel. Zwar musste sie das dekorieren dieses Jahr den Männern in ihrem Leben überlassen, aber in die Küche ließ sie die beiden nicht.
Sich die Hände reibend stand sie fast jeden Tag in der Küche, mixte diesen oder jenen Teig, buk Kekse, Stollen und Pastetchen mit einem Eifer, der einem Eichhörnchen beim Nüsse für den Winter sammeln gleichkam.
Wenn in der Küche am Abend alles wieder sauber war, es herrlich duftete und sie mit hochgelegten Füßen auf dem Sofa ruhte, dann war ihr Tag perfekt. Aufgaben auf dem Hof durfte sie nicht mehr übernehmen auf Geheiß ihres Arztes und ihr Mutterschutz würde ohnehin in wenigen Tagen beginnen.
»Kannst du mir bitte mal mein Notizbuch und den Kuli geben, Jürgen?«, bat Elke ihren Mann, nachdem sie es sich gemütlich gemacht hatte.
Wortlos reichte Jürgen ihr beides, wandte sich dann wieder dem alljährlichen Basteln der Strohsterne zu, die ihren Tannenbaum dekorieren würden. Aus irgendeinem Grund verschwanden die Sterne im Laufe des Jahres in den Untiefen des Dachbodens und da sie alle die kleinen Strohgebilde am Baum liebten, waren sie inzwischen Profis beim Basteln der selbigen.
»Was schreibst du da auf, Mama?«, wollte Tim wissen, der mit einer Kanne Tee, Kluntjekandis, Tassen und dem Milchkännchen auf einem Tablett ins Wohnzimmer kam.
Elke blickte zu ihm hinüber und lächelte. Inzwischen siebzehnjährig war ihr Junge schon fast erwachsen und in ihrem Bauch wuchs ein weiteres Baby heran. Die Situation wirkte schon ein wenig surreal auf sie. Sie schüttelte leicht den Kopf und antwortete ihm dann: »Einen Einkaufszettel für Weihnachten. Damit ich auch ja alles dahabe, wenn die bucklige Verwandschaft kommt.«
Mit diesen Worten begann sie sich Notizen zu machen. Konzentriert schrieb sie all die kleinen und großen Dinge auf, die sie noch brauchen würden, auch wenn sie hin und wieder stoppte und an ihrem Tee nippend aus dem Fenster blickte vor dem Schneeflocken im Dunkel des Hofes tanzten.