Cadan lief über das Moor so schnell er nur konnte. Er hatte es oft genug durchquert, um auch jetzt auf sicherem Pfad hindurch zu gelangen. Trotz seiner Wut und seiner Angst kannten seine Füße jeden Schritt und Tritt. In seinen Ohren hallten die Worte seines Stiefvaters wider, der ihn anbrüllte, er sei ein nichtsnutziger Bastard und solle es nur nie mehr wagen, sein Haus zu betreten. Wie der Halbwüchsige es überhaupt so lange ausgehalten hatte, ohne dass ihm dort ernsthaft ein Leid geschah, konnte er sich nicht erklären. Es war sicherlich seiner Mutter geschuldet. Zumindest in der ersten Zeit war es ihr gelungen, den Farmer davon abzuhalten, zu brutal auf ihren Sohn loszugehen.
Er habe nicht in böser Absicht gehandelt, seine Pflichten seien noch zu schwer für einen Luftikus wie ihn. Mit solchen oder ähnlichen Worten hatte sie den Mann damals noch besänftigen können. Cadan war ihr dankbar dafür, auch wenn sie ihn, um ihn zu schützen, als einen leichtsinnigen Trottel darstellte, der er ganz gewiss nicht war. Wie oft hatte er sie angefleht, diesen Kerl zu verlassen! Doch es half nichts. Ein Leben bei ihm auf der Farm sei besser als eines auf der Straße oder in einem der Arbeitshäuser. Sie musste dies immer noch glauben, sonst wäre sie jetzt gemeinsam mit ihm auf der Flucht.
War es eine Flucht? Im Grunde hoffte Cadan, dass es eine Chance war. Er hatte die Gewitternacht oben am Felsen-Tor nicht vergessen und auch nicht den alten Mann mit der magischen Rune auf der Stirn. Mit geschlossenen Augen könnte er dieses Zeichen malen, so sehr hatte es sich ihm in die Seele gebrannt.
Es ergab keinen Sinn, einfach weiter zu laufen, ohne ein Ziel. Also setzte er sich für einige Augenblicke nieder und pflückte ein paar von den Blaubeeren, die um ihn herum wuchsen. Sie schmeckten köstlich und waren das Beste seit langem, worüber ihm Tränen der Erleichterung in die Augen schossen. Nie wieder sollte ihn dieser Farmer quälen, und wenn er den Rest seines Lebens als Vagabund im Moor leben müsste. Wie er so dasaß, spürte er plötzlich eine Berührung von hinten an der Schulter.
Er wandte sich um und da war einer der Hütehunde seines Stiefvaters. Der musste ihm gefolgt sein. Im ersten Moment fuhr Cadan nun auf, um sich umzusehen. Folgte ihm der Farmer etwa mit den Hunden? Sie kannten Cadan und würden ihn sicher schnell aufspüren, so wie dieser hier es getan hatte. Doch da war niemand.
„Na, Roro, willst du dein Glück mit mir versuchen?“, begüßte er den Hund nun freudig und hockte sich zu ihm. Das treue Tier musste ihm gefolgt sein und der Bursche klopfte ihm nun lobend auf die Seite und kraulte ihn hinter den Ohren.
Inzwischen ging die Sonne unter und für Cadan blieben zwei Dinge zu tun. Entweder er suchte Schutz für die Nacht irgendwo bei einem Felsen oder einem Gestrüpp. Oder er versuchte es mit der Rune.
„Was sagst du dazu, Roro? Hältst du mich für einen Hexen-Lehrling?“
Der Hund schaute neugierig, dann leckte er Cadan über die Stirn.
„Braver Junge. So machen wir es!“, fand der Bursche nun.
Er pflückte noch ein paar Beeren, die er in seiner Hand zerdrückte, um mit dem Saft das zauberkräftige Zeichen des Alten auf seine Stirn zu malen. Mit zitterndem kleinen Finger zog er die Linien, ganz so, wie er sie erinnerte. Als es getan war, blickte er sich um. Der Mond ging inzwischen über den sanften Hügeln des Moores auf. Er war fast voll und schien silbern bleich am Abendhimmel. Und da war noch etwas, was Cadan mit einem Mal bemerkte. Es war gar nicht weit und leuchtete freundlich tanzend ein Stück voraus auf dem Pfad. Ein helles, blaues Licht.
„Komm“, sagte Cadan. „Unser Weg führt uns dort entlang.“