Cadan und der Hund folgten dem flirrenden blauen Licht, vorbei an bedrohlich wirkenden, schwarzdunklen Tümpeln, dornigem Gestrüpp und toten Bäumen. Der Bursche verdrängte den Gedanken daran, dass es vollkommen irrwitzig war, nur im Licht des Mondes und geführt von einer Flamme, die vor seinen Augen immer wieder auf und ab schwirrte, mit unbekanntem Ziel über das Moor zu streifen. Der Glaube an die Rune auf seiner Stirn und das Versprechen des alten Mannes während des Sommergewitters, war jedoch stärker. Auch hatte er nicht wirklich eine Wahl. Käme er jemals wieder zurück ins Haus seines Stiefvaters, würde der ihn vermutlich zu Tode prügeln. Und ebenso setzte der Hund lieber auf eine ungewisse Reise mit Cadan.
„Was machen wir hier, Roro?“, wandte er sich in einer Verschnaufpause an seinen Gefährten, der ihn nur mit hängender Zunge und großen Augen anschaute, gerade so, als erhoffe er die gleiche Antwort von dem jungen Mann mit dem seltsamen Zeichen im Gesicht. Vielleicht wäre es klug, einen Platz zum Schlafen zu suchen? Vielleicht im Schutz eines Felsens oder eines Gebüschs? Aber sie waren noch nicht weit genug gekommen. Noch immer war es möglich, dass sich der brutale Farmer mit den anderen Hunden auf die Suche begab, um seinen angeblich nutzlosen Stiefsohn als Arbeitskraft zurückzuschleifen.
„Komm, wir müssen weiter.“
Das blaue Licht hatte in weniger Entfernung geschwebt und nun flog es wieder voran, um den Weg zu beleuchten. Niemals hätte Cadan für möglich gehalten, dass er sich so weit ins Moor wagen würde. Glaubte man den Geschichten, welche erzählt wurden, dann hausten dort die Geister von Toten, die man in der Vorzeit dort geopfert hatte. Auch heimtückische Nebelwesen zogen in mancher Nacht umher, um junge Männer und Frauen zu sich zu holen, wenn sie ihren Rufen folgten. Der Gedanke ließ ihn schaudern. Doch das Gesicht des alten Mannes damals war freundlich gewesen. Gewiss war er kein Geist und wenn er wirklich ein Hexer war, dann einer, der es gut mit ihm meinte.
Stundenlang folgten der Runenträger und sein Hund nun dem Leuchten, als Cadan endlich in der Ferne etwas erkennen konnte, das wie eine menschliche Behausung aussah. Die Umrisse einer Felsformation waren zu sehen und irgendwo darin schimmerte schwach der gelbe Schein eines Feuers oder einer Laterne. Und das Irrlicht begab sich direkt darauf zu.
„Es ist nicht mehr weit“, ließ er den Hund wissen, der ihm die Hand leckte, als hätte er die Worte verstanden. Dennoch sah man am Himmel bereits das erste Grauen des neuen Tages, als die beiden endlich an einem primitiven Zaun aus den Resten toter Bäume ankamen. Er wirkte zwischen hohen Gesteinsbrocken wie eine Grenze zwischen dem Moor und dem Unbekannten was dahinter lag. Dort war eine Hütte, die sich auf einer Seite an die Felswand schmiegte, an der anderen war eine Mauer aus Stein und Torfsoden, die eine Wand aus Baumstämmen und Lehm stützte. Das Dach war mit braunem Sumpfgras bewachsen und es sah aus, als wohne jemand schon seit Jahrhunderten hier. Direkt über einem Tor blieb das Licht in der Luft stehen.
Langsam wagte sich Cadan bis dorthin. An den Pfosten rechts und links hingen seltsame Dinge. Kleine Holztäfelchen mit Runen, Tonscherben eines Windspiels, Knochen und Schädel von toten Tieren, Mardern, Hasen sowie Steine und Tannenzapfen. Roro versteckte sich hinter ihm, als der junge Mann Anstalten machte, das Tor zu öffnen.
„Sei kein Angsthase. Jetzt sind wir hier und treten ein.“
Ohne weiteres Zögern ging Cadan nun hindurch und näherte sich der Hütte. Als er sich umsah, war der Hund am Tor zurückgeblieben und wirkte wie gebannt.
„Wenn du es bist, junger Hirte, ich habe dich erwartet!“, ertönte plötzlich eine Stimme, die von überall zwischen den Felswänden zu kommen schien. „Wer ist da bei dir?“
Weil Cadan glaubte, die Stimme des alten Hexers zu erkennen, gab er gleich Antwort. „Das ist nur mein Hund. Er ist mir gefolgt.“
„Dein Hund? Den soll ich wohl auch aufnehmen?“
Kaum war dies gesprochen, da öffnete sich die Tür und der Mann aus der Nacht des Sommergewitters trat heraus. Er wirkte imposanter, nicht so alt und gebrechlich, wie damals bei den Schafen.
„Ja, … Meister. Ich bin gekommen, um bei euch zu lernen. Und Roro gehört zu mir.“
Der Alte musterte den Jungen mit tiefschwarzen, unergründlichen Augen. Dann nickte er. „Also schön. Für einen Hund werden wir noch Platz genug finden.“
Mit einer gebieterischen Handbewegung in Richtung des Tores hob er auf, was immer dort die Barriere war und Roro kam gelaufen. Vor dem Hexer senkte er den Kopf, dann stellte er sich schwanzwedelnd neben seinen jungen Herrn.
„Seid willkommen. Gehen wir hinein.“