Lange hatte ich darauf gewartet - Weihnachten und ich wünschte mir Schlittschuhe. Es war mein größter und einziger Wunsch. Ja, im letzten Jahrhundert wünschten sich Kinder tatsächlich noch solche banalen Dinge. Kurz vor Weihnachten rief mich ein Klassenkamerad an, ob ich mich nicht um seine Urgroßtante kümmern könnte. Gerne sagte ich zu der Dame zu helfen, da er versprach, dass ich Geld für die Arbeiten bekommen würde. Entschlossen ging ich zu der uralten Dame, die immer noch recht fit wirkte. Man stelle sich nur vor, dass die Dame in China geboren wurde, also in dem ehemaligen Kolonialgebiet des Kaiserreiches - namens Tsingtau. Damals war Mia erst wenige Jahre über fünfundsiebzig Jahre alt.
Nun ich radelte hin und ich stellte mich der Dame vor, die sich freute, dass ihr fauler Großneffe nicht anwesend war, weil er alles nur sehr halbherzig tat. Meine Aufgabe war eigentlich recht überschaubar. Den Weg zwischen Garage und Gartentor von Schnee zu befreien und das Stück Stichstraße bis zu ihrem Grundstück räumen. Ich hatte gegen zehn Uhr angefangen und gegen zwölf waren die dreißig Meter zwischen Gartenzaun und Garage vom Schnee bestens befreit und auch der Weg zum Hauseingang. (Damals gab es noch dieses weiße und kalte Zeug, welches in jedem Winter massenhaft vom Himmel fiel.) Es war kalt und ich musste mich erst einmal aufwärmen. Dabei wurde mir heiter erklärt, dass ich jetzt das Schneeräumfahrzeug der Firma Hako benutzen könne, um noch ein wenig mehr zu machen. Aber zuerst sollte ich ihren Wagen vorsichtig aus der Garage fahren. Eine echte Powermaschine, einen nagelneuen BMW 633 cis. Gesagt getan und mit aller Vorsicht das Nobelmobil aus der Garage herausgefahren. Okay, ich besaß als Schüler noch keinen Führerschein und es war trotz allem Affengeil, so eine teure Schleuder zu bewegen. Trotz allem, der Schweiß lief, weil ich zuvor nur Fahrzeuge mit 50 PS gefahren hatte.
In der Garage entfernte ich die Verpackung von dem neuen Hako Gartentrecker, den Anbauteilen und dem Räumschild. Noch ahnte ich nicht, dass ich erst das Gerät zusammenbauen musste. Es war ein weniger schwerer, als ein LEGO Bausatz, zusammenzubauen. Also ran an diese fremdartige Materie, aber eine Nuss und einen Maulschlüssel konnte ich schon bedienen, wozu hatte man sonst schon - an einem alten Käfer herumgeschraubt, den wir bei Freunden über die Wiese hinter dem Bauernhof über die halbwegs gesicherte Piste peitschten. Werkzeug für diese Arbeit hatte die Dame, also Mia nicht und sie wusste auch nicht, wo ich möglicherweise derlei Geräte in ihrem Haus finden könne. Ich holte also das Werkzeug von meinem Vater, um die etwas komplexere Bastelarbeit durchzuführen. Nach zwei Stunden war auch diese Arbeit erledigt. Freudestrahlend wollte ich den wunderbaren Kleintraktor starten. Es tuckerte nicht. Nach einer Prüfung stellte ich den Mangel fest.Leider hatte sich noch keiner die Mühe gemacht und dem Fahrzeug den notwendigen Lebenssaft zugeführt. Freundlich erkundigte ich mich bei Mia, um ihr diesen Sachverhalt zu erklären. Konsterniert schaute sie mich an und übergab mir den nächsten Arbeitsauftrag. Ihr Lebensgefährte Jan, ein Ingenieur hatte leider auch kein Idee, schließlich beaufsichtigen Ingenieure nur die Arbeiten. Vorsichtig erkundigte ich mich nach einem Kanister, der ebenso wenig in dem Haushalt zu finden war. Daher formulierte ich meine Idee. "Ich brauche Geld und kaufe Sprit und einen Kanister."
Ausgestattet mit Moneten radelte ich zur nächsten Tanke, um die Einkäufe zu tätigen. Zügig füllte ich das Zeug in den Motor und startete das Gerät gemäß der beiliegenden Betriebsanleitung. Es funktionierte und mutig steuerte ich das Gerät durch das Gartentor und räumte die Stichstraße. Waren ja nur vierzig oder fünfzig Meter. Nun gut - ich musste großzügig räumen, denn so ein Auto ist ein wenig breiter, als ein Gehweg. Ich gebe sogar zu, es hat Spaß gemacht. Stolz kehrte ich nach diesem Arbeitseinsatz zu der Dame zurück. Ich dachte ja, ich hätte es geschafft und könnte mich jetzt erholen und nach Hause absetzen. In der Villa wurde mir erklärt, dass ich doch bitte noch Streusalz auf den geräumten Flächen verteilen sollte. Nach einer Stunde war auch diese Arbeit getan und zum Schluss durfte ich noch den Wagen in die Garage fahren, nachdem ich den Traktor dort eingeparkt hatte. Geschafft packte ich das Werkzeug ein und ging zu der netten älteren Dame. Sie drückte mir leger achtzig Mark in die Hand und entließ mich für diesen Tag.
Erledigt radelte ich nach Hause, zog mich um, da ich noch dringend nach Vegesack radeln musste. Schließlich warteten ja noch die Schlittschuhe im Laden, die ich unbedingt besitzen wollte. Die Enttäuschung kam, als mir ein Verkäufer eloquent mitteilte, dass die Schlittschuhe nicht mehr vorrätig sein. Geschockt radelte ich zurück. Also musste ich auf die Schlittschuhe warten. Die Tage bis Weihnachten vergingen und keine Lieferung an Schlittschuhen traf in dem Laden ein, da Schneefälle die Lieferung vereitelte. Noch zwei Mal durfte ich für Mia kleinere Arbeiten verrichten. Also Schnee räumen und im Wintergarten ersetzte ich marode Dielen und ich schloss ihr einen Videorekorder an den Fernseher an. Ivan Rebroff musste auf das Magnetband gebannt werden. Dabei übergab sie mir ein Geschenk, das nett verpackt war und die Entlohnung für die Arbeiten, die ich jetzt stetig für sie verrichten durfte.
Mit dem Geld für die Arbeiten kaufte ich am Weihnachtstag Geschenke für meine Eltern. Meine Mutter bekam eine Vase aus Kristall und für den Vater ein Rasierwasser. Verzeiht, aber ich muss bei der Wahrheit bleiben, mein Vater hätte was besseres verdient. Ich habe einen behinderten Bruder und für ihn kaufte ich einen Satz Buntstifte und ein Malbuch. Nun, Weihnachten kam und ich packte meine Geschenke aus und ich bekam viele nützliche Dinge, aber keine Schlittschuhe. Zuletzt folgte das Geschenk von Mia. Ich bekam von ihr Schlittschuhe und die Karte zeigte, dass sie mich oder meinen Arbeitseinsatz sehr schätzte. Auf der Karte stand: Für meinen Eisprinzen, der mir alle Wünsche erfüllt. Fortan konnte ich endlich wieder Schlittschuhe laufen. Tage Später fuhr ich zum Schloss Schönebeck und die Schlittschuhe zu testen. Sie waren und sind eine Wucht, da ich damit viele meiner Schulkameraden ausstechen konnte.
Über Jahrzehnte zog ich damit meine Kreise auf vielen Eisflächen zauberte. Dazu gehörten auch der Maschsee in Hannover oder die Fulda in der Nähe von Kassel.