Wenn ich eines mehr hasste als Stürme, dann war es die Windstille im Auge eines Hurricans. Eben drosch der Sturm noch vehement auf unsere Metereologiestation und die Natur ein. Windgeschwindigkeiten über einhundertziebzig Kilometern pro Stunde hatten die Bäume entwurzelt und Lastwagen über die Felder und in Vorgärten verteilt. Die Häuser hatten längst keine Dächer mehr. Große Teile waren weggerissen worden und waren viele hundert Meter entfernt von ihrem Herkunftsort irgendwo gelandet und zerborsten. Autos wirkten wie Spielzeuge, die der Wind mal ebenso in Mauern drückten oder umwarf. Der Regen war schon heftig, zumal er mehr oder minder horizintal durch die Luft bewegt wurde. Dennoch, es war erst das zarte Vorspiel - vor der Sintflut, die bald folgen würde.
Mit einem Blick stellte ich fest, dass der Messbaum, an dem alle Geräte befestigt waren noch fest in seiner Verankerung steckte. Sämtliche Temperaturfühler, der Luftfeuchtemesser und die Barometer arbeiteten noch, das sah ich auf dem PC. Selbst das tapfere Anemometer schien noch intakt zu sein. Es war sowieso ein Wunder, dass dieses kleine Windmessgerät bisher allen Stürmen getrotzt hatte. Erst wenn eine Dachpfanne, ein Ast oder anderes in das Gerät stürzte, würde es seine Tätigkeit einstellen oder nur noch fehlerhafte Daten liefern.
Ich merkte erst jetzt, dass sich meine Ohren an diese seltsame Stille gewöhnten. Vorher ohrenbetäubendes Stürmen und eine schrille Geräuschkulisse, die an der Wetterstation rüttelten. Dann noch die intensiven Druckstöße, wenn Starkwindböen um Hausecken pfiffen und die Gebäude und die Luft in Zonen von Überdruck und Unterdruckgebiete aufteilte. Dazu jetzt diese tonlose Stille, so als gäbe es keinen Hurrican.
Die mächtige Wolkenwand, die das Ende des Auges markierte, näherte sich vehement der Küste. Ein zweiter Kontrast würde sich ergeben. Jetzt war es noch sonnig und schon in einigen Minuten würde es wieder dunkler werden. Das Auge des Sturms war nur eine trügerische Pause im Unheil, weil es schon bald schlimme als zuvor weitergehen würde. Der Wind würde von einer zur nächsten Minute wieder zur vollen Sturmstärke anschwellen. Der Lärm würde jede Verständigung unterbinden und die Windstärke erneut mit den Trümmern rumspielen, wie ein unbedarftes Kind.
Der Unterschied bestand nur darin, dass mit dieser Seite des Sturms riesige Wasserwände vom Golf gegen die Küste gedrückt werden würden. Der Wellengang würde sich mehr als verdoppeln und dazu gesellte sich jedes Mal eine unermessliche Regenflut, die das Hinterland überschwemmte. Noch schlimmer war jedoch, der tosende Wind aus der Gegenrichtung, der die zerstörten Autos und Häuser noch einmal heftig angehen würde. Vieles, was noch stand würde endgültig zerstört werden. Sicherlich, der Sturm verlor mit der Zeit an Stärke, aber dadurch wurde nichts besser, weil jetzt auch noch die Flut kam.
Paul wagte noch einen letzten Blick zum blauen Himmel, danach zu der grauen Wolkenmass, die gigantisch um dieses Auge tanze, wie myriaden Hexen in dunklen Gewändern. Alle Wetter beschworen sie rauf, um das Land und alle Lebewesen zu verwüsten oder zu töten. Es fehlte nur noch, dass es Fische regnete, aber sowas gab es nur bei Tornados. "Schade! Ich hätte gerne einmal einen Fisch in dem Niederschlagsmesser."
Paul drehte sich ab und marschierte zu der massiven Stahltür, die die Welten voneinander trennten. In dem Metereologiebunker gab es eine Klimaanlage und viele Monitore, eine kleine Küche und einen Berg an Proviant, falls die Rettungsmanschaften ausnahmsweise länger brauchten, um die Ablösung zu der Sturmfront zu befördern und die erschöpfte Crew ind Hinterland zu geleiten. Mit einem Achselzucken verriegelte er das schwere Eisenschott und danach die Druckausgleichstür.
Nachdem beide Kontrolllämpchen aufleuchteten fühlte Paul sich wohler. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich den Praktikanten zu. "Jo, koche Kaffee, Peter schmeiße was in die Mikrowell und Gina, übermittle bitte die Daten an die Hauptstelle. Immerhin könnte es sein, dass es die letzte Übertragung ist, bevor der Sturm uns die Antennen abbricht. Wenn der Sturm weiter so tobt und die Flut auf einen neuen Rekordwert steigt, dann kann es sein, dass wir selbst in diesem Bunlker nasse Füße bekommen."
Es war nur als Scherz gedacht, aber noch ahnte er nicht, was in den nächsten Stunden kommen würde. Er ahnte auch nicht, dass sie zu einer Schlagzeile werden sollten, die sicherlich drei Tage später schon wieder vergessen war.