Knackiger Frost war Wochen über das Land gezogen und danach war sehr viel Schnee gefallen. Einen halben Meter hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Torben schaute über das Land und suchte nach einem Funken Hoffnung. Der hohe Schnee würde die Jagd nach Wild deutlich erschweren. Aus dem fernen Hintergrund drang das Geplärre der Kinder. Torben wusste besser als jeder andere in dieser Gruppe, dass es knapp werden würde. Kleinwild, wie Hasen, Karnickel und die paar Fische reichten nicht, und täglich zwanzig Mäuler zu stopfen.
Die Augen wanderten immer wieder über die tristen Schneefelder und die glänzenden Eisflächen jenseits des Wasserlaufes. Die dürren Gebüsche und kleinen Ansammlungen an Gehölzen verdeckten keine Gruppen von streichenden Rotwild, Wildschweinen oder Rentieren. Wild in dieser weiten Landschaft zu finden würde Tage dauern. Der Schnee erschwerte das Vorankommen und die Jagd extrem. Und die fast vollkommene Winterstille erschwerte das Anpirschen zusätzlich. "Nerthus - weise mir den Weg. Lasse meine Sippe nicht verhungern und schenke uns Glück in diesem Land. Skadi führe uns bei der Jagd und schenke uns reiche Beute. Lege deine Hand schützend über uns und rufe die anderen Götter zu unserer Hilfe. "
Entschlossen drehte Torben sich um. "Hergen, du begleitest mich. Wir gehen zum Waldpass. Jan und Gis ihr geht zum Moorweg. Versucht euer Glück dort. Wir brauchen zwei Stück Rotwild oder vier Rentiere. Sonst sehen wir den nächsten Vollmond nicht mehr. Wir müssen Schlitten und Bänder mitnehmen. Ulf, du leitest die Jagd der Jünglinge. Okke, du unterstützt die Frauen bei der Jagd. Packt Nahrung für vier Tage ein. Wir brechen auf, sobald jeder seine Ausrüstung gepackt hat."
Nach vielen Stunden Marsch erreichten sie den Waldrand. Torben und Hergen deckten sich mit Fellen zu. Ein Feuer entzündeten sie nicht, denn das Wild würde sie dadurch nur wittern und scheuen. Am Morgen beschworen sie zusammen die Götter. Jeder seinen Gott, den er für den richtigen hielt. Danach stiegen sie den Berg hinauf um sich den besten Platz für die Jagd zu suchen. Der Frost würde das Wild in den Wald ziehen, weil dort weniger Schnee als an den Berghängen lag. Auf diese Chance mussten sie hoffen, denn in den weiten Ebenen war es aussichtslos dem Wild nachzustellen. Sie teilten sich auf, um Wild von beiden Seiten angreifen zu können. Über Stunden warteten sie, aber nichts durchbrach die Winterstille. Langsam schlich sich die Kälte durch die Lederkleidung in die Glieder. Die Sonne begann zu sinken und der Frost zog an. Die Hoffnung begann zu sinken und selbst stille Gebete wollten nicht helfen.
Erst tief in der Nacht wollte er die Jagd abbrechen. Dann kurz vor dem Ablauf der Zeit hörten sie das erlösende Geräusch. Eine riesige Herde von Rentiere näherte sich dem Pass. Die Bergsteppe war verschneit, dort gab es keine Möglichkeit für die Tiere Futter zu finden. Jetzt trieb sie der Hunger gen Süden - in die Region südlich der Berge. Mit ein wenig Geduld konnten sie genügend Fleisch erbeuten. Immer dichter drängten sich die Tiere durch die Engstelle. Mit klammen Fingern schleuderte Torben den ersten Speer. Der Zweite folgte und danach die wenigen Pfeile. Ungestüm rannten die Tiere immer noch an ihnen vorbei. Dann endete der Strom der Tiere. Vor ihnen lagen viele verwundete und tote Tier. Mit der Klinge in der Hand erlösten sie die verwundeten Tiere. Ungläubig schaute sich Torben um. Über zehn noch warme Rentierkörper langen um sie herum.
Demütig kniete er sich nieder und dankte Skadi. "So reiche Beute hast du uns geschenkt - Skadi. Danke, dass du deine Brüder und Schwestern riefst und uns diese Beute beschert hast. Helfe uns nun auch noch die Beute zu unserer Sippe zu bringen. Nur so überstehen wir die nächsten Zyklen bis zum Vollmond." Hergen barg gerade die Waffen und schien zu grübeln, wie sie diese Masse an Fleisch zum Lager schaffen konnten. Hergen deutete auf die Haselnusssträucher. "Lass uns lange Stangen abschneiden, auf jeden Schlitten können wir zwei Rentiere legen. Wenn wir ihnen die Geweihe nehmen passen vielleicht sogar drei Tiere darauf. Die langen Stangen binden wir an die Schlitten und darauf können wir weitere Tiere legen. Über die weite Ebene können wir nicht alle Tiere mitnehmen, aber zwischen zwei Bäumen könnten wir die Stangen stecken, um die Tierkörper darauf zu Lagern. Bei dem Frost werden sie nicht schlecht." Torben nickte und gemeinsam begaben sie sich an die Arbeit. Schwer beladen zogen sie die Kadaver bis zu einer günstigen Stelle zwischen zwei Bäumen. Zuerst banden sie die Stangen zwischen zwei starken Ästen fest. Im Anschluss folgten die bereits gefrorenen Tierkadaver.
Am nächsten Morgen zog jeder von ihnen einen Schlitten hinter sich er, der mit zwei Rentieren beladen war. Stunde um Stunde zogen sie die Schlitten über das verschneite Land. Die Müdigkeit wollte sie übermannen, aber wacker schritten sie voran. Schon aus großer Entfernung sahen sie vier Jünglinge, die ihnen entgegen strebten. Winkend nahmen die Jünglinge die beiden Jäger in Empfang. Torben war dankbar, den noch viel mehr Meilen hätten sie kaum mit dieser Last geschafft. Dankbar nahmen sie die Hilfe der Jungen an. Erst im Lager erfuhren sie, dass auch die zweite Jagdgruppe Erfolg gehabt hatten.
Torben schaute gen Süden und betrachtete die Sonne über dem Horizont. Schatten schienen über die Scheefelder zu tanten, so als würden große Leute, die nicht zu sehen waren, über den Schneefeldern entlang gleiten. Torben verstand die Botschaft und ließ große Figuren aus Holz errichten, die die vier Personen, oder waren es Götter, zeigten. Seither wurden Nerthis und Skadi mehr als zuvor bei ihnen verehrt. Immer im Winter brachten sie den Holzfiguren seither ihre Opfer.