Unsicher zog Hermine ihre Schultern hoch. Es war leer im Eberkopf, obwohl geöffnet war. Außer ihr und Tom war nur ihr vorgeblicher Vater anwesend, der gerade mit erstaunlich flinken Schritten durch den Schankraum ging, um die Stühle und Bänke ordentlich an die Tische zu schieben. Sie selbst saß gegenüber von Tom an einem Tisch am Fenster und beobachtete Aberforth Dumbledore bei seiner Arbeit.
„Ich sollte vermutlich Angst haben, oder?“
Toms leise Worte rissen sie aus ihrem Starren. Mit erhobenen Augenbrauen schaute sie zu ihm. „Angst?“
Er schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Soweit ich meine männlichen Freunde verstehe, ist es stets eine schweißtreibende Angelegenheit, das erste Mal dem Vater seiner Auserwählten gegenüber zu treten.“
Sie schüttelte den Kopf. „Er ist nicht mein Vater.“
Tom legte den Kopf schief und spähte zu dem hochgewachsenen Mann hinüber. „Aber das weiß er nicht, oder? Er und Dumbledore glauben noch immer, dass du das Ergebnis seiner kurzen Affäre warst?“
Seufzend schaute Hermine auf ihre Hände. Natürlich wussten beide Dumbledores, dass sie nicht die echte Tochter war, doch sie kannten im Gegensatz zu Tom die ganze Wahrheit. Obwohl also beide Seiten wussten, dass sie gar nicht wirklich die Tochter von Aberforth war, musste sie das Schauspiel weiterführen. „Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn ich es ihm sage. Ich brauche seine Unterstützung.“
Tom langte über den Tisch und ergriff eine Hand von ihr. „Du meinst, du brauchst sein Geld. Unterstützung brauchst du von niemandem, mein Herz. Ich habe dir gesagt, dass du mir gehörst. Ich stehe hinter dir. Du brauchst von niemandem sonst Unterstützung.“
Sie kam nicht dazu, etwas darauf zu erwidern, denn in dem Moment trat Dumbledore an ihren Tisch und setzte zwei Krüge mit Butterbier vor ihnen ab, ehe er sich mit einem Glas Wasser in der Hand auf einen Stuhl neben Hermine setzte.
„Also“, eröffnete Aberforth ohne Umschweife das Gespräch. „Sie haben sich reichlich Zeit gelassen, sich mir offiziell vorzustellen, Mr. Riddle. Was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung zu sagen?“
Hermine musste sich ein Grinsen verkneifen, als das leichteste Zucken eines Nackenmuskels verriet, dass Tom überrascht und überfordert von diesen Worten war. Sein Gesicht zeigte hingegen keinerlei Emotionen, als er höflich erwiderte: „Verzeihen Sie mir meine Zurückhaltung, Mr. Dumbledore. Ich pflege Dinge ein wenig anders anzugehen als meine Altersgenossen. Man sagt mir bisweilen nach, dass ich wichtige Traditionen ignorieren würde. Es war mir wichtig, dass ich mir der Zuneigung Ihrer Tochter sicher sein konnte, ehe ich den nächsten Schritt gehe. Ich wollte unsere Liebe sicher wissen und ihr volles Einverständnis haben, bevor ich diesen ernsten Pfad einschlage.“
Dieses Mal konnte Hermine ein Zucken ihres Mundwinkels nicht verhindern. Tom wusste, wie man eine Lüge in so wohlklingende Worte verpacken konnte, dass alle Anwesenden keine andere Wahl hatten, als sie zu glauben. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Aberforth sich ein wenig gerader hinsetzt. Ihr angeblicher Vater hatte wenig übrig für hochtrabende Worte und sie war gespannt, ob er es schaffen würde, Tom aus der Ruhe zu bringen.
„Wenn ich zwischen den Zeilen Ihrer hübschen Wörter lese, dann klingt es für mich sehr danach, als hätten Sie aus einer Laune heraus meiner Tochter den Hof gemacht. Sie sollten wissen, wie gravierend es für den Ruf einer jungen Dame sein kann, wenn sie von einem Mann verlassen wird, nachdem sie öffentlich auf seine Zuneigungsbekundungen eingegangen ist. Spielen Sie gerne mit der Tugend von Frauen?“
Hermine bohrte ihre Fingernägel in ihre Oberschenkel, um sich vom Lachen abzuhalten. Jeder andere Mann wäre an dieser Stelle vermutlich ins Schwitzen gekommen, doch erneut ließ Tom sich äußerlich nichts anmerken. Nur an der Art, wie er begann, mit seiner rechten Hand den Daumen seiner linken zu kneten, verriet seine Anspannung. Seine Stimme klang weiterhin gelassen. „Vor Hermine war noch nie eine Frau für mich interessant. Ich wusste schon immer, dass ich lieber Junggeselle bleibe, als einer Dame den Hof zu machen, nur weil es erwartet wird. Wenn meine Absichten nicht ernsthafter Natur gewesen wären, hätte ich mich Ihrer Tochter nie auf diese Weise genähert.“
Hermine verspürte eine merkwürdige Art von Stolz. Kein anderer Mann hätte sich so gut geschlagen in dieser Situation. Obwohl alle Anwesenden nur eine Rolle spielten, klangen sowohl Dumbledore als auch Tom mehr als ernst und aufrichtig. Sie wusste, dass Tom es nie ernst mit ihr gemeint hatte, doch er schaffte es, ihrem Vater glaubwürdig das Gegenteil zu verkaufen.
„Also haben Sie vor, mich um Hermines Hand zu bitten?“
Überrascht klappte ihr Mund auf und sie beugte sich vor, um zu intervenieren, doch Tom kam ihr zuvor. „Ja.“
„Was?“, entfuhr es Hermine unwillkürlich. Mit riesigen Augen starrte sie zu Tom, der sie wiederum anschaute, als wären seine Worte das natürlichste der Welt.
„Habe ich dich missverstanden, mein Herz?“, richtete er nun seine Worte an sie, ohne auf den schockierten Aberforth einzugehen. „Du hast mir gesagt, dass du mich heute offiziell deinem Vater vorstellen willst. Üblicherweise bedeutet dies stets nur eine Sache. War es anmaßend von mir zu hoffen, dass diese Intention dahintersteckte?“
Mit rasendem Herzen rang Hermine nach Worten. Zu keinem Zeitpunkt hatte sie irgendetwas in diese Richtung gesagt, und sie wusste, dass Tom ebenfalls sehr wenig auf Tradition gab. Trieb er gerade ein Spiel mit ihr, das sie nicht durchschaute? Was war seine wirkliche Absicht?
Mit einem Seitenblick auf Aberforth, der inzwischen wieder halbwegs seine Fassung erlangt hatte, beugte sie sich vor und ergriff mit beiden Händen Toms Hände. „Bitte fühle dich nicht gezwungen, Tom. Ich fühle mich geschmeichelt, aber dies war nicht der Grund, warum ich dich heute hergebracht habe. Ich wollte einfach nur mit dir und meinem Vater Weihnachten feiern.“
„Nun“, riss Dumbledore das Wort wieder an sich, „Ich sehe, Ihre Absichten sind aufrichtig, Mr. Riddle. Sie stehen für Ihre Haltung ein, lassen sich nicht einmal von einem alten Miesepeter wie mir einschüchtern, und meine Tochter fühlt sich in Ihrer Gegenwart offensichtlich so wohl, dass sie ehrliche Antworten gibt. Was mehr kann ein Vater von seinem Schwiegersohn verlangen?“
Tom drückte kurz ihre Hände, dann ließ er sie los und faltete sie sorgfältig vor sich auf dem Tisch. Er machte den Mund auf, um zu antworten, doch Hermine hörte die Worte schon nicht mehr. Wie waren sie an diesem Punkt gelandet? Meinte Tom es wirklich ernst? Wenn er ihrem angeblichen Vater sagte, dass er sie heiraten wollte, dann musste er es ernst meinen, oder nicht? Oder war es nur eine Lüge, um einen guten Eindruck zu hinterlassen?
Erschlagen ließ sie sich in ihrem Stuhl zurücksinken, während die Männer sich gegenseitig weiter unter die Lupe nahmen. Ihr Herz tat plötzlich weh. Es schmerzte, als habe sich ein heißer Schürhaken hindurch gebohrt. Sie konnte Tom nicht heiraten. Mit dem letzten Tag des Schuljahres würde sie verschwinden. Sie würde aus Toms Leben verschwinden und all seine Pläne für eine Zukunft mit ihr würden am Boden zerbersten.
Mühsam schluckte sie. Was empfand Tom inzwischen für sie? Die Art, wie er sie gerettet hatte, wie er sich danach um sie gekümmert hatte, die Worte, die er zu ihr gesagt hatte – alles hatte von echter Zuneigung und Fürsorge gesprochen. Fühlte er etwas für sie? Ihr Verstand sagte ihr, dass das unmöglich war, doch ihr Herz zweifelte.
Ein Ruck ging durch ihren Körper. Ihr war, als täte sich der Boden unter ihr auf und ließe sie in die Unendlichkeit fallen. Würde sie Tom zerstören? Hatte sie ihm unwillentlich gezeigt, was es hieß, echte Empathie zu haben, für einen anderen Menschen etwas zu empfinden, und wenn sie verschwand, dann würde er jegliche Menschlichkeit verlieren?
Sie biss sich auf die Unterlippe. Nein. Das war unmöglich. Sie war zu sehr von sich selbst eingenommen. Nie im Leben hatte sie so einen Einfluss auf Tom Riddle. Auch wenn er erst siebzehn Jahre alt war, er war trotzdem bereits dabei, Voldemort zu werden. Und wer war sie schon? Nur eine Hexe, die viel zu mitfühlend und gutgläubig war.
Entschlossen schob sie den Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch der beiden Männer. Offensichtlich hatte Tom genug Rede und Antwort gestanden, denn ihr Vater war gerade dabei, das Menü für den Abend aufzulisten, um zu erfahren, was sie beide essen wollten.
„Seit ich in Hogwarts bin, habe ich jedes Jahr Truthahn gegessen“, erklärte Tom und warf ihr dabei einen kurzen Blick zu. „Diese Tradition halte ich gerne ein.“
Hermine lächelte schwach. „Ja, ganz klassisch Truthahn mit Rosenkohl und Kartoffeln, das klingt gut.“
Aberforth stand auf und klatschte in die Hände. „Wunderbar. Ich habe später auch noch Yorkshire Pudding. Gebt mir einen Moment, die Speisen in der Küche fertig zu machen.“
Als die große Gestalte ihres Vaters im Durchgang zur Küche verschwunden war, richtete Hermine einen ernsten Blick auf Tom. „Meinst du das ernst? Mit dem Heiraten?“
Tom zuckte mit den Schultern, als wäre es eine kleine Nebensache. „Es macht nur Sinn, Hermine. Du gehörst sowieso mir, aber andere scheinen das nicht zu verstehen. Als meine Verlobte und spätere Frau genießt du einen Schutz, den du als meine Freundin nicht hast.“ Sein Blick wurde kalt. „Oder willst du mich nicht heiraten?“
Ihr schauderte. Natürlich. Für Tom ging es nur darum, sie als seinen Besitz zu markieren und ihre ewige Treue verlangen zu können. Wie hatte sie auch nur eine Sekunde denken können, dass es echte Gefühle waren, die aus ihm sprachen?
Tom schien ihren Stimmungsumschwung bemerkt zu haben, denn plötzlich legte er eine Hand auf ihre Wange. „Mein Herz. Eine Eheschließung würde doch an unserer Beziehung nichts ändern. Es würde nur einen anderen Namen für etwas geben, das sowieso schon zwischen uns ist.“
Für einen Moment schloss sie die Augen und lehnte sich in die Berührung. Dieser sanfte Tom gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, wie kein anderer Mensch es in ihrem Leben mehr tun konnte, seit sie ihre Eltern alles hatte vergessen lassen. Sie mochte diese Seite von Tom. Sie mochte sie sogar sehr, auch wenn sie nicht wusste, wie ehrlich sie war.
Vielleicht sollte sie einfach Ja sagen. Was spielte es schon für eine Rolle? Die Hochzeit würde nie stattfinden, und Tom würde auch so unter ihrem Verlust leiden. Er hatte recht. Ehe war nur ein anderer Name für ihre Beziehung, es würde nichts ändern. Obwohl Tom nicht wusste, was Liebe ist, waren sie sich bereits so nahe, wie es zwischen vielen Ehepaaren üblich war. Wozu sollte sie unnötigen Konflikt provozieren und sich dagegen wehren?
Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf Hermines Lippen. „Falls du es ernst meinst, beweise es mir.“
Tom zeigte seine Überraschung ohne jede Scheu. „Oh? Und wie?“
Sie stützte den Ellbogen auf dem Tisch ab und legte ihr Kinn auf ihre Hand. Ohne den Blickkontakt abbrechen zu lassen, erwiderte sie: „Halte um meine Hand an.“