Seufzend riss ich spätabends das Fenster der Dachwohnung auf, um die stickige Luft so weit loszuwerden, um in der Nacht überhaupt ein Auge zumachen zu können. Trotz des Vorhangs war es so heiß, dass mir schon beim Betreten der Schweiß aus allen Poren gelaufen war.
In den Sommermonaten war es hier nicht auszuhalten. Ich hasste es, morgens schweißgebadet aufzuwachen und mich selbst nach der Dusche noch eklig und klebrig zu fühlen. Für eine bessere Unterkunft reichte es dank Geldproblemen zurzeit nicht. Zudem hatte ich für einen weiteren Umzug weder Nerven noch Zeit. Ich hatte mir schon überlegt, für einige Zeit in ein Obdachlosenheim zu ziehen. Dort war es wenigstens kühler als hier. Dafür war ich jedoch zu stolz.
Tief atmete ich die Stadtluft von New York ein, die trotz der Abgase weitaus besser war als der Gestank nach ungewaschenen, schwitzenden Leibern und verzweifeltem Sex hier unter dem Dach. Schon beim Einzug war mir der merkwürdige, penetrante Gestank aufgefallen, den ich bisher jedoch nicht losgeworden war. Eine Mischung aus Alkohol, widerlichen Parfüms und – wenn ich mich nicht täuschte – etwas mit Drogen. Wahrscheinlich hatte der Vermieter die Einzimmerwohnung zuvor für zwielichtige Orgien benutzt. Das wollte ich allerdings nicht so genau wissen. Mir war wichtig gewesen, ein Dach über dem Kopf zu haben. Alles andere war nebensächlich geworden.
Ich warf mich auf die Couch, die bereits wesentlich bessere Tage gesehen hatte, und unterdrückte ein Knurren, als die Sprungfedern protestierten. Manchmal piekten sie sogar durch den abgewetzten Stoff. Meine Wohnung war spärlich eingerichtet. Außer einer winzigen Küche, die aus einer Herdplatte und einem Spülbecken – das oft verstopft war – bestand, hatte ich nur eine Matratze, die Couch und ein Badezimmer, in dem sich Zwerge wohlfühlen würden.
„Ich muss definitiv einen besseren Job finden", murrte ich und stand noch einmal auf, um mir aus meinem Mini-Kühlschrank eine Cola zu holen. Vielleicht nicht die beste Wahl, wenn ich bald ins Bett gehen wollte, aber wenigstens würde sie meine Lebensgeister für die letzten Minuten des Tages wiederbeleben. Es sollte ausreichen, um die Internetseiten für Stellenangebote zu durchforsten. Hunger hatte ich auch, aber da es schon so spät war, verzichtete ich darauf, noch etwas zu essen. Angesichts des Gestanks verging er mir sowieso. Selten brachte ich es fertig, hier ein anständiges Mahl hinunterzubringen. Der jämmerliche Inhalt meines Kühlschranks bot auch nicht viel an. Außer ein paar Getränken und zwei abgelaufenen Jogurts, die sicher noch gut waren, war er mager bestückt.
Mit dem Laptop machte ich es mir auf der Couch gemütlich und begann, diverse Seiten durchzuklicken. Kopfschüttelnd gab ich nach einiger Zeit auf und starrte in den Nachthimmel, der durch die Lichter der Stadt keineswegs dunkel war. Dennoch sah ich den ein oder anderen Stern blinken. Der Blick nach draußen war das einzige, was mir an der Dachwohnung gefiel.
„Es ist so schwer, einen passenden Job zu finden", seufzte ich niedergeschlagen. Es gab zwar massenweise Angebote, aber nichts, wo ich mich bewerben konnte. Dank meines Ex-Freundes, der mir bisher mehrere Jobs versaut hatte und gerne verhinderte, dass ich eine gute Arbeit bekam.
In einem Restaurant auszuhelfen, war zwar schön, aber durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten nicht unbedingt das, was ich bevorzugte. Ich mochte einen klaren Tagesablauf, nach dem ich mich richten konnte. Selbst meine derzeitige Anstellung im Restaurant war nur noch eine Frage der Zeit, da Amber und Liam lediglich eine Aushilfe für die Sommermonate gesucht hatten.
Nervig und am Anstrengendsten in diesem Job waren die Reservierungen von widerlichen Geschäftsmännern, die nach hübschen Bedienungen lechzten und sie angrabschten. Nicht wenige davon ließen gerne anzügliche Kommentare los, vor denen ich meine Ohren verschloss, doch sie blieben trotzdem hängen.
Nachdem meine Cola leer war, widmete ich mich wieder den Inseraten. Bei einem blieb ich hängen. Mehrmals musste ich es durchlesen, um zu verstehen, was gefordert wurde.
Sugar Daddy sucht Frau für gemütliche Stunden, nette Ausflüge und als Begleitung für Events. Gute Bezahlung und Unterstützung, wenn gewünscht.
Die Bezeichnung Sugar Daddy hatte ich schon öfter gehört, doch großartig etwas damit anfangen konnte ich nicht. Darunter stellte ich mir alte, fette Kerle vor, die entweder sexhungrig waren oder sich wirklich einfach nur ein wenig Gesellschaft wünschten. Hier stand kein Alter dabei, weshalb ich darüber nachdachte, ob ich anrufen sollte. Immerhin verhieß es gutes Geld. Vielleicht konnte ich mir dann nächstes Jahr eine bessere Wohnung leisten, wenn ich gut verdiente und das zusätzliche Geld sparte.
Ich starrte auf das Inserat und haderte mit mir. Was sollte ich tun? Ich sollte mir einen Ruck geben. Wenn der Typ alt und sexhungrig war, konnte ich immer noch „Nein" sagen. Ja, so war es. Ich feuerte mich in Gedanken an, Neues auszuprobieren.
Durch meinen Ex-Freund war ich vorsichtiger und zurückgezogener geworden. Oft traute ich mich nicht, bei einigen Stellen anzurufen, weil ich wusste, dass er die Besitzer kannte. In dem Inserat stand nichts von einer Firma. Stirnrunzelnd las ich die kurze Anzeige noch einmal durch und schrieb mir letztendlich die Nummer auf. Ich würde mein Glück am nächsten Tag versuchen, sobald mein Kopf wieder voll funktionstüchtig war. Sollte dies bei der grässlichen Hitze je der Fall sein.
Durch eine unruhige Nacht in dieser Sauna unter dem Dach war ich am Morgen nicht sonderlich gut gelaunt. Viel Schlaf hatte ich nicht bekommen, was unter anderem auch an dem Inserat lag. Ich haderte einfach zu viel und überlegte zu lange.
Das Schlimmste jedoch war, dass ich nicht duschen konnte. Wütend brummte ich und verließ ungeduscht die kleine Wohnung, um den Vermieter zu bitten, sich darum zu kümmern. Ich musste zur Arbeit. Vorher trommelte ich ungeduldig gegen die Tür des Vermieters, der mit schleppenden Schritten und sichtlich unausgeschlafen diese öffnete und wissen wollte, was ich brauchte. Sein Bart sah so ungepflegt und schmutzig aus, dass ich das Gesicht verzog. Möglichst knapp schilderte ich, dass die Dusche nicht funktionierte und hoffte, dass sie am Abend wieder ging.
„Ich kümmere mich drum."
Zack, war die Tür vor meiner Nase zugeknallt. Danke auch für das Gespräch. So ein Arsch. Noch missmutiger als zuvor machte ich mich auf den Weg zum Coffeeshop. Ich brauchte erst einmal eine Ladung Kaffee, um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen.
Es war kurz vor acht und ich überlegte, ob ich bereits jetzt mein Glück versuchen und anrufen sollte. Wenn es ein Rentner war, war er sicherlich schon wach. Die meisten Senioren standen früh auf, das hatte ich bereits mitbekommen. Daher witterte ich meine Chance und tippte die Nummer ein. In dem Moment verließ mich der Mut und ich senkte meine Hand. Was tat ich da nur? Konnte ich nicht irgendetwas anderes finden?
Meine beste Freundin Tatjana hatte es bereits mit einem Sugar Daddy versucht. Von ihr wusste ich, dass es ganz schnell ausarten konnte. Das wollte ich nicht. Schon gar nicht abhängig von jemandem zu werden. Es war ein Graus, wenn man keine freien Entscheidungen mehr treffen konnte. Davon hatte ich genug.
Ich steckte mein Smartphone ein und bestellte mir einen Espresso, den ich, trotz der Hitze, in Nullkommanichts zu mir genommen hatte. Dann bat ich um einen Café Latte. Den würde ich mitnehmen.
Ich drängelte mich durch die Straßen und um die Menschen herum, da es um diese Uhrzeit aussichtslos war, ein Taxi zu finden. Wie gut, dass ich mich beeilt hatte, um noch genügend Zeit für ein kleines Frühstück zu haben.
Kaum kam ich an, grüßte ich die Inhaber, die genau über dem Restaurant wohnten, und warf ihnen ein Lächeln entgegen, bevor ich duschen ging.
Zum Glück gab es im Restaurant einen abgetrennten Bereich für die Mitarbeiter. Dort gab es auch eine kleine Dusche, sowie Shampoo und Duschgel. Das fand ich prima, denn manchmal war das ganz hilfreich, wenn ein kleines Missgeschick passierte.
Mit meinen verständnisvollen Arbeitgebern hatte ich einen großen Fang gemacht. Nur konnten sie mich leider nicht fest einstellen. Ich war lediglich eine Aushilfe, die gerade in den Sommermonaten gebraucht wurde. Danach musste ich zusehen, wie es weiterging.
Nach der kurzen, aber ausgiebigen Dusche schnappte ich mir meinen Kaffee und stellte mich nach draußen, um diesen noch zu genießen. Mein Magen knurrte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich noch ein wenig Zeit hatte, bevor meine Schicht begann. Das Restaurant bot auch Frühstück an, weshalb ich mich bediente, das Geld in die Kasse legte und mich an einen freien Tisch setzte.
Sobald ich fertig war, nahm ich wieder mein Smartphone und überlegte. Minutenlang starrte ich auf den Bildschirm, bevor ich schließlich auf „Wählen" drückte. Mein Herz raste, als das Freizeichen erklang, und ich begann, nervös mit dem Finger auf der Tischplatte zu klopfen.
Mehrmals klingelte es und ich wollte gerade auflegen, als sich eine dunkle, tiefe Stimme am Ende der Leitung meldete. „Thrilling Festive, Brian Davis-Taylor am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Mein Mund wurde vor Angst so trocken, dass ich blitzschnell wieder auflegte und das Smartphone auf den Tisch warf. Um Himmels Willen! Hatte ich mich gerade eben verhört? Thrilling Festive war eine angesehene Firma, die Mega-Events und Feste auf die Beine stellte! Erlaubte sich einer einen Scherz, indem er die falsche Nummer angegeben hatte, oder war ich zu blöd, sie richtig abzuschreiben?
Ich wollte gerade nach dem Inserat suchen, als ein Anruf einging und eine Nummer auf dem Bildschirm erschien, die mich regelrecht lähmte. ‚Er ruft zurück! Scheiße!' Ich wappnete mich mit einer Entschuldigung, bevor ich nach mehreren Sekunden den Anruf entgegennahm.
„Warum haben Sie aufgelegt?", erklang sofort die erste Frage ohne jegliche Begrüßung.
Was für eine Frage! Weil ich dumm war? „I-Ich ... habe mich verwählt, entschuldigen Sie bitte die Störung!", stotterte ich und spürte, wie meine Wangen brannten. Oh, wie ich es hasste, in der Öffentlichkeit zu telefonieren! „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag", sagte ich und wollte bereits auflegen, als seine Stimme mich zum Innehalten trieb.
„Ich denke nicht, dass Sie sich verwählt haben. Entweder planen Sie eine große Fete oder Sie haben mein Inserat gelesen", kam es fast schon amüsiert vom anderen Ende der Leitung.
Mein Smartphone fiel mir aus der Hand und plumpste mit einem dumpfen Geräusch auf die Tischplatte. Sein Inserat? Oh Gott, wie sehr wünschte ich mir, dass die Erde aufgehen und mich in die Hölle wandern lassen würde! Das leichte Knistern am Telefon machte mich nervös!
„Hallo? Sind Sie noch dran?"
Nein, war ich nicht! Ich nahm das Smartphone mit zitternden Händen auf und schluckte. „Entschuldigen Sie, ich habe gerade eine Mücke vertreiben müssen. Was haben Sie gesagt?", log ich und betete im Geheimen, er würde das Ganze für einen Scherz halten. Leider schien das nicht der Fall zu sein, als er seine Worte wortwörtlich wiederholte.
„Ich dachte, es handelt sich um einen Scherz", murmelte ich ins Telefon und räusperte mich.
„Denken Sie, ich bin zu Scherzen aufgelegt?", erklang die Frage, die mich schlucken ließ. Himmel, war der Mann kalt. Kein Sinn für Humor, wie ich feststellte. Mit so jemandem wollte ich nicht unbedingt etwas zu tun haben. Mir reichte mein narzisstischer Ex.
„Nein. Hören Sie, es tut mir leid. Ich habe Ihre Anzeige gelesen, aber ich denke, das ist doch nichts für mich", erklärte ich. Allein seine Stimmung schlug mir auf den Magen. Dieser wollte ich mich auf keinen Fall aussetzen. Überhaupt war mir die Lust gründlich vergangen, mit diesem kalten Klotz auch nur eine Minute zu verbringen.
Plötzlich erklang ein dröhnendes, fast schon ansteckendes Lachen. „Sie haben mich doch noch gar nicht kennengelernt, gnädige Frau. Wie heißen Sie überhaupt?", fragte er sachlich und ich schluckte.
„Jadelyn Miller."
„Also gut, hören Sie zu, Miss Miller. Ich hätte heute Nachmittag Zeit für einen Kaffee. Dann können wir uns ein wenig beschnuppern und Sie können mir danach mitteilen, ob Sie sich sicher sind", schlug er vor.
Überfuhr er mich etwa gerade und entschied, was ich tun sollte? Das gefiel mir nicht, doch wenn er wirklich ein Geschäftsmann war, war das wohl typisch. Sie waren es gewohnt, Dinge zu entscheiden. „In Ordnung. Um welche Uhrzeit und wo?", fragte ich heiser und musste mich beherrschen, nicht einfach aufzulegen.
Er nannte mir Ort und Uhrzeit. „Ich bin zu der Zeit leider noch bei der Arbeit. Kann es etwas später sein?", fragte ich hoffnungsvoll, da mein Terminkalender mit der angegebenen Uhrzeit kollidierte.
„Nein. Entweder Sie sind da oder nicht. Ich werde nicht kommen, sollten Sie jetzt nein sagen. Wenn Sie ja sagen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie pünktlich erscheinen. Haben wir uns verstanden?"
Wow, der Typ hatte einen Knall. Wahrscheinlich war er einer von denen, um die sich die ganze Welt drehte. Dennoch sagte mein Kopf, dass ich es zumindest versuchen sollte. Nur deshalb willigte ich ein.
„Also, bis dann, Miss Miller", sagte er und legte auf, ohne meinen Gruß abzuwarten.
Fassungslos starrte ich auf mein Smartphone und brauchte einige Sekunden, um zu registrieren, was gerade eben geschehen war. Blinzelnd sah ich, dass der Anruf über drei Minuten gegangen war. Drei Minuten, in denen ich mir sicher war, dass ich mich nicht für die Stelle eignete. Seufzend schob ich mein Smartphone von mir und nagte an meiner Unterlippe. Mein Blick in den gleißenden Himmel sorgte für Tränen in meinen Augen.
Ich war am Arsch. Warum hatte ich nur angerufen? Was, wenn dieser Mann genauso wie mein Ex war?