Bereits am Abend hatte ich die E-Mail in meinem Postfach. Zu müde, um den Vertrag aufmerksam zu lesen, warf ich nur flüchtig einen Blick darauf, aber am nächsten Tag gönnte ich mir ein paar ruhige Minuten, um ihn ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Ich wollte nicht, dass ich etwas übersah, das sich im Kleingedruckten versteckte. Nach zweimaligem Durchlesen nickte ich zufrieden. Das, was Mister Davis-Taylor angesprochen hatte, stand auch darin. Ich fand nichts Verborgenes oder Unverständliches.
Ich nahm mir dennoch vor, mir mit der Entscheidung Zeit zu lassen. Die wollte ich auf keinen Fall überstürzen.
Zudem hatte ich einiges zu tun. Nach der Arbeit klapperte ich einige Läden ab, um mich zu erkundigen, ob Aushilfen gesucht wurden. Die Antworten waren allerdings niederschmetternd und ernüchternd.
Abgekämpft und mit dampfenden Füßen kam ich abends nach Hause und öffnete sofort das Fenster. Die stehende, heiße Luft raubte mir den Atem. Seufzend schnappte ich nach frischer Luft und sah in den dunkler werdenden Himmel. Von unten nahm ich Geschrei und Gehupe wahr und ich verdrehte die Augen. Nicht einmal abends fand ich hier oben Ruhe. Als mein Smartphone einen Ton von sich gab, bemerkte ich eine E-Mail von Mister Davis-Taylor. Was wollte er jetzt schon wieder?
Anstatt die Nachricht zu öffnen, beschloss ich, duschen zu gehen. Durchgeschwitzt klebte mir die Kleidung am Leib und alles, was ich wollte, war eine erfrischende Dusche. Diese wurde mir jedoch verwehrt. Mein Vermieter hatte bisher scheinbar keine Zeit gefunden, sich um das Problem zu kümmern.
Missmutig schnappte ich mir eine Cola aus dem Kühlschrank und ließ mich auf die Couch plumpsen. Erneut gaben die Sprungfedern quietschende Geräusche von sich, was mich gereizt werden ließ.
Nach einem Schluck des koffeinhaltigen Getränks öffnete ich schließlich die E-Mail. In dieser wollte Mister Davis-Taylor wissen, ob ich den Vertrag gelesen hatte. Scheinbar hatte er es eilig. Ich hingegen jedoch nicht, weshalb ich erst einmal auf eine Antwort verzichtete.
Eine fatale Entscheidung: Nicht einmal zehn Minuten später erschien seine Nummer auf dem Display. Seufzend nagte ich an meiner Unterlippe und nahm den Anruf entgegen.
„Jadelyn Miller", meldete ich mich.
„Guten Abend, Miss Miller. Warum antworten Sie mir nicht?", fragte er ohne Umschweife. „Ich sehe, Sie haben meine E-Mails gelesen, aber es kommt keine Antwort."
Aha, er war also ein Stalker. Oder ein Wachhund, der akribisch darauf achtete, dass man ihn beachtete. Ich versuchte jedoch freundlich zu klingen, als ich meinte, dass ich im Moment beschäftigt war und Zeit brauchte, um den Vertrag zu lesen. Eine kleine Notlüge, um mir Zeit zu verschaffen, damit ich letztendlich sicher war, ob ich den Vertrag einging oder nicht.
„Eine kurze Mitteilung wäre mir trotzdem recht, Miss Miller."
Jetzt konnte ich das Seufzen nicht mehr unterdrücken. „Hören Sie, Mister Davis-Taylor, ich werde Ihnen Bescheid geben. Ich habe erst angefangen, den Vertrag zu lesen. Es war viel zu tun und ..."
Er räusperte sich und ich wurde augenblicklich still. „Sie sollen sich nicht erklären, sondern einfach den Vertrag lesen. Bis morgen haben Sie Zeit und ich erwarte eine Antwort innerhalb von 24 Stunden. Ist das klar?"
„Ja", brachte ich, trotz der Entfernung eingeschüchtert, heiser hervor. Er erinnerte mich an meinen Stiefvater, der absoluten Gehorsam und keine Widerrede verlangte. Und nicht nur er. Unangenehme Gedanken an Damon, die ich stets wegschob, schlichen sich in meinen Kopf und setzten sich fest.
„Dann wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Nachtruhe, Miss Miller."
Er wartete erst gar nicht meine Verabschiedung ab, sondern legte auf. Sekundenlang hielt ich das Smartphone an mein Ohr gedrückt und starrte die Wand an. Wie sollte ich jetzt noch eine angenehme Nachtruhe finden? Der Typ war gnadenlos und eindeutig nicht geduldig. Was hatte ich nur angestellt, dass ich an solche Leute geriet?
Erneut versuchte ich, meinen leiblichen Vater anzurufen. Er würde meine Zweifel sicher verstehen. Mit klopfendem Herzen wartete ich auf das Klingelzeichen. Vergeblich. Erneut die Stimme, die mir zum x-ten Mal verklickerte, dass die Nummer nicht mehr vergeben war.
Mit Tränen in den Augen ging ich zu Bett und versuchte, die Einsamkeit und Traurigkeit nicht überhandnehmen zu lassen.
Wie Mister Davis-Taylor gewünscht hatte, bekam er am nächsten Tag meine E-Mail mit der Bestätigung, dass ich mit dem Vertrag einverstanden war. Nach dem Absenden fühlte ich mich erleichtert und hoffte, dass er mich nicht ständig kontaktieren würde.
In den darauffolgenden Tagen bekam ich allerdings immer wieder Kurznachrichten oder Anrufe von ihm. In diesen erkundigte er sich um mein Wohlergehen. Das fand ich überraschend angenehm. Außer von Tatjana und meinen Arbeitgebern war ich es nicht gewohnt, dass jemand wissen wollte, wie es mir ging.
Was mich ebenfalls überraschte, war, dass er mir seine Hilfe anbot. Diese lehnte ich jedoch ab. Hilfe von anderen anzunehmen, fiel mir immens schwer. Dabei brauchte ich sie wirklich. Mein Vermieter hatte die Dusche immer noch nicht repariert. Er meinte, dass er die Ersatzteile bestellt hätte, diese aber noch nicht geliefert worden wären.
Das hieß, ich würde noch einige Zeit öffentliche Duschen oder die im Restaurant in Anspruch nehmen müssen.
Ich überlegte sogar, ob ich den überzogenen Mietpreis durch die kaputte Dusche senken konnte, doch Danny machte mir einen Strich durch die Rechnung. Er war zu keinem Kompromiss bereit.
Zu Hause nicht duschen zu können, war ein Übel, mit dem ich mich arrangieren musste. Was mir mehr zusetzte, war der Verdacht, dass Danny in meiner Abwesenheit in meinen Sachen herumgewühlt hatte, als er sich um die Dusche kümmern sollte. Mir war aufgefallen, dass zwei Kleidungsstücke nicht am selben Platz wie am Morgen gelegen hatten. Nachweisen konnte ich ihm nichts, da ich es in meiner Schlaftrunkenheit selbst verlegt haben konnte.
Leider konnte ich meine Habseligkeiten nicht wegsperren. Dazu gab es keinen geeigneten Schrank oder Schublade.
Am Mittwochnachmittag ging ich nach der Arbeit zum Joggen in den Park. Mit Amber hatte ich ausgemacht, danach noch einmal im Restaurant zu duschen. Sie war so nett und hatte mir angeboten, sogar in ihrer Wohnung oberhalb des Restaurants zu duschen. Das hatte ich jedoch abgelehnt. Die Dusche im Restaurant reichte aus.
Ich fühlte mich angespannt und musste mich nach den stressigen Tagen abreagieren. Da kam der Sport gerade recht. Jedoch brachte er nicht den gewünschten Erfolg.
Völlig aus der Puste und mit Seitenstechen ließ ich mich schließlich auf einer Parkbank nieder. Obwohl die Sonne nicht schien, war es drückend warm. Am Horizont stiegen bereits dunkle Wolken auf, aber selbst die brachten mich nicht dazu, mich zu erheben und weiterzugehen. Ich musste dringend wieder mehr Sport treiben. Wenigstens fühlte ich mich ein wenig besser, als ich den Enten dabei zusah, wie sie gemütlich ihre Runden auf dem See drehten.
Mein Smartphone vibrierte und ich ging ran, ohne nachzusehen, wer anrief. Unter anderem, weil mir der Schweiß in die Augen lief und brannte. „Jadelyn Miller."
Einen Moment lang herrschte am anderen Ende der Leitung Stille, bevor ich Mister Davis-Taylors Stimme vernahm. „Geht es Ihnen nicht gut? Sie hören sich erschöpft an."
Hastig versicherte ich, dass ich nur gejoggt war. „Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Wie kann ich Ihnen helfen?", wollte ich freundlich wissen.
„Ich möchte, dass Sie Samstag zu mir kommen. Dort können Sie den Vertrag unterschreiben. Gleichzeitig können Sie sich mein Haus ansehen und ein wenig Zeit mit mir verbringen", sagte er.
Das kam unerwartet und Verzweiflung stieg in mir auf. Wieso musste denn alles so schnell gehen? „Natürlich. Nennen Sie mir eine Uhrzeit. Ich werde pünktlich sein", antwortete ich, dabei an den Vertrag denkend. Zwar war er noch nicht in Kraft getreten, doch ich ging davon aus, dass er selbst ohne ihn auf Pünktlichkeit achtete.
„Nennen Sie mir Ihre Adresse, Miss Miller. Ich werde jemanden schicken, der Sie abholt", sagte er mit einer auffordernden Tonlage.
Verdammter Mist! Ich konnte ihm doch nicht meine Adresse zur Nuttenbude geben! Meine Verzweiflung stieg. Mir musste dringend etwas einfallen. Stotternd begann ich, über das Wetter zu reden, um Zeit zu schinden.
Ein Fehler, wie sich schnell herausstellte. Mister Davis-Taylors verärgert klingendes Schnalzen ließ mich überreagieren. „Es tut mir leid, ich werde sie Ihnen morgen zukommen lassen! Mein Akku ist fast leer und ...", sagte ich und legte hastig auf.
Mit klopfendem Herzen sah ich auf mein Smartphone, dessen Akku noch bei 80 Prozent lag. Eilig schaltete ich es aus, weil ich befürchtete, er würde wieder anrufen. Es war eine Kurzschlussreaktion, von der ich hoffte, sie würde keine Konsequenzen mit sich bringen.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich zur Stelle. Ihn anzulügen, war gewiss kein kluger Schachzug, aber ich wollte ihm meine Adresse nicht nennen. Vielleicht konnte ich Tatjana überreden, ihre angeben zu dürfen. Dann würde ich mir wenigstens die Blamage ersparen, von einer heruntergekommenen Wohnung abgeholt zu werden.
Ich stand auf und verließ den Park. Vergessen war der Vorsatz, im Restaurant zu duschen. Mein Weg führte zu Tatjana. Ich würde sie auf meinen Plan vorbereiten und hoffte, dass sie nichts dagegen hatte.