S.O.A. Stützpunkt
Rove & Rayya
(Ziemlich der Beginn der Geschichte, die Protas lernen sich gerade erst kennen.)
Sie schickte sie in die Mensa. Einem Ort voller Leute. Und sie, ganz alleine.
In Rayyas Brust hatte sich alles so fest zusammengezogen, dass es fast schmerzte. Gleichzeitig fühlte sie sich taub. Ihre Augen wussten nicht, wo sie zuerst hinblicken sollten. Auf diese Person? Oder diese Gruppe? Auf ihn vielleicht? Oder sie? Essen sollte sie holen. Dringend was zu trinken. Hatte sie überhaupt Durst? Hunger? In ihrer Brust begann es zu vibrieren. So heftig, dass sie kaum die Finger still halten konnte.
Wie konnten sie sie nur allein lassen? Hier?
“Rayya, richtig?”
Das Herz hüpfte ihr fast hoch in die Kehle, so sehr hatte sie sich erschreckt. Und dennoch fühlte sie sich wie erstarrt. Nur langsam bewegte sich ihr Kopf, der Blick über die Schulter. Ein weißer Schopf tauchte neben ihr auf, trat langsam um sie herum. Die Tänzerin aus dem Club. Oder Soldatin?
“Darf ich dir Gesellschaft leisten?”, fragte sie ohne Rayyas Antwort abzuwarten.
Die Frau, die ihr das Leben gerettet hatte. Obwohl sie die Situation gar nicht kannte. Obwohl sie Rayya nicht kannte. Oder die anderen Soldaten, die sie gesucht hatten.
“Komm, ich zeig dir, wo und wie du etwas zu Essen bekommst”, entschied die Frau und nickte Rayya ihr zu folgen. Und Rayya folgte ihr. Es fühlte sich einfach richtig an, in dem Moment. Vielleicht, weil sie sich mit ihr nicht mehr ganz so verloren fühlte, in diesem Meer aus Personen. Dabei war der Raum doch nicht einmal halb voll.
“Du bist… Soldatin?”, fragte Rayya vorsichtig, während sie sich hinter Rove in die Schlange für die Essensausgabe einreihte. Sie hatte sich von der jungen Frau ein Tablett in die Hand drücken lassen, und ein paar Servietten.
Die junge Frau wandte sich kurz zu ihr um, nickte. So helle Augen! Das Grün verlor sich beinahe im fast-weiß. Fast weiß, wie ihre Haut. Wie ihr Haar. Ein nahezu vollkommener Gegensatz zu Rayya selbst. Mit ihrer fast schwarzen Haut, dem schwarzen verdeckten Haar und den ebenso schwarzen Augen. Rayya mit ihrer Zurückhaltung. Und die Soldatin mit ihrer Gewalt. Wobei… so furchteinflößend wirkte sie hier gar nicht. Da war keine Wildheit in ihren hellen Augen, keine Aggression oder Provokation in ihrer Haltung. Anspannung vielleicht, ähnlich wie Rayyas. In den Schultern und Armen, dem geraden Rücken und dem wachsamen Blick. Wachsam! Das war es gewesen! Als diese Frau sie im Club angesehen hatte, da war es keine Herablassung gewesen, mit der sie sie gemustert hatte. Sie, die kleine Nemis, die sich an einen Ort verirrt hatte, an dem sie nichts verloren hatte. Wachsamkeit war es gewesen. Das, was Rayya später gerettet hatte. Und jetzt, hier, da glitt ihr Blick genauso über die Menge, wie an diesem Abend. Vielleicht… fühlte sie sich hier genauso unwohl, wie Rayya? Und suchte deshalb ihre Gesellschaft, weil sie in dieser Sache gleichgesinnt waren? Oder fühlte sie sich immer noch in der Pflicht, Rayya zu beschützen.
“Was darf es sein?”, riss die Stimme einer Fremden Rayya aus den Gedanken. Der Blick der Soldatin wanderte von ihr weg und hin zu der Dame, die gesprochen hatte. Natürlich, die Essensausgabe! Beinahe hatte Rayya vergessen, wo sie waren und weshalb.
“Was gibt es heute?”, fragte die Soldatin, während ihr kühler Blick über die Auslage in der überglasten Theke glitt.
“Schnitzel, Ofengemüse, Bratensauce”, kam die Antwort, während die Dame den Schöpflöffel schwingend über die Speisen deutete.
“Welches Fleisch?”
“Pute.”
Die junge Soldatin verzog für einen Augenblick das Gesicht und entschied sich letztendlich für das Ofengemüse, kein Fleisch, keine Soße.
“Dasselbe”, murmelte Rayya leise, als sie an der Reihe war.
Sie folgte der Soldatin an einen der vielen freien Tische. Bis vor ein paar Minuten war ihr dieser Saal so voll vorgekommen, aber jetzt? Hatte sie sich zuvor so getäuscht, oder waren tatsächlich nur so wenige Leute anwesend gewesen?
Einander gegenüber sitzend begannen beide schweigsam zu essen. Zumindest die Soldatin aß, langsam und still, während Rayya durch das Gemüse stocherte. Es sah nicht schlecht aus, was sie ihr aufgetischt hatten. Sicherlich wäre auch der Geruch ein angenehmerer gewesen, wäre ihr Magen nicht so aufgewühlt. Seit sie bei dem Arzt aufgewacht war, nach allem, das geschehen war, da rebellierte er. Sie wusste, dass sie dennoch etwas essen sollte. Ein leerer Magen, die fehlende Energie, das würde auch ihrem Gemüt nicht helfen. Aber… so einfach war das gar nicht.
“Trink etwas, dann wird es besser”, rüttelte sie erneut die Stimme der Soldatin aus ihren Gedanken. Irritiert blinzelnd hob Rayya den Blick und sah auf das Wasserglas neben ihrem Teller. Ja, das hörte sich gut an. Wasser, das ging. Also nahm sie vorsichtig einen kleinen Schluck. Während die kühlen Augen der Soldatin sie aufmerksam musterten. Aber nicht aufdringlich. Auch Rayyas Blick glitt über die junge Frau ihr gegenüber. Sie konnte nicht entscheiden, ob sie sie als stark oder zierlich beschreiben wollte. Sie war so schlank und schmal und auf den ersten Blick, da konnte sie durchaus zerbrechlich wirken. Doch da waren auch die deutlichen Muskeln, die sich bei nur leiser Anspannung schon deutlich auf ihren vom Tanktop unbedeckten Armen zeigten.
Da fiel Rayyas Blick wieder auf die Binde um den Unterarm. Die Stelle, an der der Vampir sich festgebissen hatte.
“Schon in Ordnung.”
“Was?” Sie hatte doch gar nichts gesagt? Erschrocken wanderten Rayyas Augen wieder auf die der Soldatin. Die nickte zu dem Verband hinunter.
“Schon in Ordnung”, wiederholte sie wieder.
“Oh… ich… tut mir leid”, haspelte Rayya schnell. Hatte sie so offensichtlich gestarrt? Sie konnte am Gesicht ihres Gegenübers ablesen, dass ihr dieselben Worte, die sie eben schon wiederholt hatte, auf den Lippen lagen, doch diesmal schwieg die Soldatin und sah mit einem leisen Kopfschütteln wieder auf ihren Teller.
“Ich… ich weiß gar nicht, wie du heißt”, wagte sich Rayya schließlich zaghaft vor. Und tatsächlich, das erste Mal, seit sie der jungen Soldatin begegnet war, lächelte diese. Nicht besonders groß oder übermäßig erfreut. Aber ehrlich.
“Rove.”