Coaching
Am nächsten Tag stand Mephisto tatsächlich vor der Tür seines Hörsaales. Er trug einen dieser modernen, eng geschnittenen Anzüge wie man sie auch oft an überbezahlten Fußballtrainern sieht und hatte eine große Tasche in seiner Hand. Er lächelte und sagte; „Komm lass uns gehen!“, er sah in den sich leerenden Saal und ließ seinen Blick auf eine hübsche Studentin fallen: „Ist sie das?“ Heinrich bejahte und folgte ihm dann einige Straßenzüge entlang, bis vor ein großes modernes Fitnessstudio. „Heinrich, du wiegst fast 130 Kilo, bist nur gut einen Meter siebzig groß – das ist viel zu viel. Du musst selber auch deinen Beitrag liefern, sonst kann ich dir nicht viel helfen. Ich habe hier einen Termin für dich vereinbart, frag nach dem `Andi`, das ist dein Personal-Trainer. Nimm die Tasche, da ist dein Sportzeug drin. In einer guten Stunde hole ich dich ab. Das machst du jetzt drei Tage in der Woche!“ Der Professor wusste gar nicht recht, wie ihm geschah, fügte sich aber. Als Mephisto ihn abholte, teilte er ihm mit, dass er ihn Morgen um dieselbe Zeit wieder aufsuchen würde und er sagte: „Heinrich, schau dich doch mal an, so wie du durch die Welt gehst brauchst du dich nicht über deinen mangelnden Erfolg wundern. Wir müssen noch einiges an dir verändern, damit wir weiterkommen, aber ich bin da ganz optimistisch.“ Er gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und ward sogleich verschwunden. Am nächsten Tag hatten sie zwei Termine, erst führte er Heinrich zu einem der Top-Coiffeure und Visagisten. Der Professor musste sich seinen geliebten Vollbart rasieren lassen, die Haare waren noch etwas zu kurz, um wirklich etwas daraus zu machen. „Weißt du Heinrich, einen Hipster machen wir nicht mehr aus dir, das würde auch nicht passen – aber der Coiffeur hat gute Ideen – so in ein, zwei Monaten. Ein Dutt kann auch bei lichtem Haar gut aussehen.“ Mit diesen Worten gab er ihm eine Dose mit Pillen: „Nimm eine jeden Tag! Du wirst bald sehen!“ Mephisto hob die Augenbrauen und lächelte: „Und nun komm, wir müssen dich neu einkleiden, so wie du rumläufst, das war auch vor dreißig Jahren nicht modern oder irgendwie elegant! Heinrich, Cord, grobe graue Sakkos, das sind mit die größten Sünden der Menschheit! Das Wort `Sakko` leitet sich nicht von `Sack´ ab. Ich kenne da einen hervorragenden Schneider!“ Der Professor, verblüfft wie tags zuvor ließ es geschehen. Mephisto verabschiedete sich mit den Worten: „Morgen hast du Fitnessstudio, ich verlasse mich auf dich! Danach hole ich dich ab, ich habe eine kleine Überraschung für dich!“.
Am nächsten Tag überprüfte der Professor zunächst seine Kontoauszüge – aber er fand keine Veränderungen. Anscheinend hatte Mephisto keinen Kontozugang. Er war kein armer Mann, aber Luxus und teure Kleidung widerstrebten ihm. Dennoch, er fühlte sich gut, ein paar Zentimeter größer und sogar seine Studenten sahen ihn baff erstaunt an.
Nach dem Fitnessstudio traf ihn Mephisto, er klopfte ihm anerkennend auf den Oberarm und lächelte: „Pass auf, ich habe etwas!“ Mit diesen Worten holte er einige Zettel aus seiner Jackentasche, es waren Ausschnitte einiger renommierter Wochenmagazine und überregionaler Tageszeitungen. „Heinrich, bevor ich dir das zu Lesen gebe, gehen wir in eine ausgezeichnete Restauration – ich gebe dir einen Rotwein aus!“ Als sie in einer angesagten wie ungemütlichen Bar saßen las der Professor die Artikel. Es waren Rezensionen über sein letztes Buch, die es über alles lobten: den Geist, die Tiefgründigkeit, die wissenschaftliche Leistung, die Brillanz der Worte und dass man die Geschichte Europas wohl umschreiben müsse. Er wusste nicht was er sagen sollte, er war gerührt, sprachlos, orientierungslos zwischen lachen und weinen. Mephisto meinte nur, er solle seine Gefühle nicht unterdrücken, er verstehe das, er habe schon viele Männer weinen sehen – und setzte dann hinzu – „Nein, nicht, was du denkst!“. Noch zwei drei Gläser Wein, und Mephisto verabschiedete sich: „Heinrich, du gehst morgen bitte selbstständig zum Sport! Ich werde dich erst wieder nächste Woche treffen! Ich glaube du musst das erst mal ein bisschen verdauen.“
Und Heinrich verdaute! Am Ende der Woche traf er sich – so wie jede Woche- mit seinen Freunden. Ein Chemiker, ein Moralphilosoph, ein Altorientalist. Der Altorientalist hatte schon etwas von den Rezensionen gelesen und gratulierte ihm. Und Heinrich erzählte ihnen von den mysteriösen Ereignissen der letzten Woche – wohlweislich, den Teil mit den Frauen aussparend, denn das war ihm peinlich. Das war natürlich alles am Rande der Sensation und schließlich mündete das Gespräch in eine hochphilosophische Betrachtung des `Bösen` und der Kulturgeschichte des `Teufels`, das `Sein` und die Bedeutung der Materie in der realen Welt und natürlich die Frage nach der Seele. „Sag` mal Herbert“, fragte er den Chemiker „müsste er denn nicht nach Schwefel stinken?“. „Nein, Schwefel ist völlig geruchsneutral, du meinst wohl bestimmte Schwefelverbindungen“. Aber da hatten sie wohl schon einige Gläser Rotwein geleert.
Pünktlich zu Wochenbeginn, saß jedenfalls Mephisto in seiner Vorlesung. „Mensch Heinrich, gut siehst du aus, du machst das großartig! Schau mal deine Ausstrahlung an – das ist um Welten anders als letzte Woche! Pass auf, wir gehen einen trinken, ich habe dir viel zu erklären!“ Diesmal trank Heinrich nur einen Tee, er hörte ihm dafür umso aufmerksamer zu. Und Mephisto erklärte ihm, dass es nun um den `Teil mit den Frauen` ging. Er meinte, dass es hierbei nicht nur auf das Äußere ankäme. Diesbezüglich riet er ihm noch zu ein paar Wochen Geduld und Training. Nein, es käme auch auf seine kommunikativen Fähigkeiten an, keine Frau wäre empfänglich für seine geistig-wissenschaftlichen Höhenflüge, es käme auf ganz andere Dinge an. Heinrich war befremdet, ließ sich aber überzeugen, an den nächsten Wochenenden an einem Flirtseminar teilzunehmen. „Ich habe dir den besten Coach herausgesucht, den es auf dem Markt gibt, Heinrich, glaube mir, das ist absolut seriös – und wenn du willst, dann setzen wir uns nochmal länger zusammen und feilen daran“. Der Professor schnaufte halb genervt halb verunsichert durch. „Und jetzt noch was zu deiner Vorlesung: Das war mit das Interessanteste und Beste, was ich in meiner langen Tätigkeit von einem meiner Klienten gehört habe. Kannst du mir den Punkt genauer erklären, wie du die Symbolik der spätkarolingischen Münzen im Hinblick auf die Bildung von Herrschaftsstrukturen bewertest?“ Jetzt bestellte auch der Professor einen Wein.
Die nächsten Wochen vergingen mit Trainingsprogrammen und Verhandlungen mit dem Verlag. Es ging um eine dringende Neuauflage seiner Bücher. Binnen einiger Tage war alles vergriffen, die Zahl der Nachfragen explodierte – Mephisto war zufrieden mit ihm.