Margarete
Das Haar wuchs, der Coiffeur tat sein Bestes, die Muskeln wuchsen, das Fett schmolz und er trug die eleganten Anzüge mit zunehmender Selbstverständlichkeit.
„Heinrich, ich glaube, allmählich bist du soweit! Nächste Woche gehen wir das mit den Frauen an!“ Mephisto lächelte, der Professor wurde nervös. In der nächsten Woche tauchte Mephisto nicht auf, aber als das Seminar in dieser Woche zu Ende ging und die Studenten den Saal verließen blieb eine Studentin zurück. „Herr Professor, ich finde ihr Seminar ja sehr interessant, aber mir sind dabei so viele Dinge unklar. Gibt es denn die Möglichkeit, dass sie mir das nochmal näher erklären?“. Der Professor schwitzte. Jetzt nur nicht wieder in `Äähs` und `Hmpfs` verfallen, aber Margarete nahm ihm die Kommunikation ab und fragte ihn, ob er etwas Zeit hätte, in der Nähe gäbe es ein hübsches, ruhiges Café. Er zitterte innerlich, schaffte es aber trotzdem noch, so etwas wie eine Zusage herauszustammeln. Im Geiste sah er Mephisto, wie er entnervt die Augen zum Himmel rollte und sagen wollte „Heinrich, stell dich nicht so an“.
Es war tatsächlich ein nettes Café und auch Margarete war nett und unkompliziert. Und so wurde es tatsächlich ein nettes Gespräch, Margrete lachte viel, fand ihn offensichtlich geistreich und witzig. Schließlich sagte sie „Herr Professor, sagen sie bitte nicht immer `Fräulein Müller zu mir, ich finde das furchtbar. Ich bin die `Marsdsch`“. Der Professor war gebildet genug, um dies als die anglifizierte Kurzform `Marge` von Margarete zu interpretieren und er musste sehr an sich reißen, dass ihm diese Namensform von den Lippen ging. Nach einer Stunde war er so aufgeregt, dass er vorschob, noch einen wichtigen Termin zu haben und ging daran, sich zu verabschieden. In Gedanken forderte Mephisto ihn auf, diese Gelegenheit jetzt nicht zu vermasseln und so stammelte er noch: „Fräulein Mü … äh, `Mardsch`, wenn sie möchten, könnten wir unser Gespräch nächste Woche ja fortsetzen.“ Sie lächelte und sagte „Ja gerne, Herr Professor, wenn das möglich ist“. In einer eigenartigen Mischung aus Rausch und Nervosität vergaß er beinahe sein heutiges Training - aber nur beinahe.
Die nächsten Tage bekam er das Bild von Margarete nicht mehr aus dem Kopf, saß zum Teil nur noch verträumt in seinem Arbeitszimmer, so dass sogar Frau Stepanova sich erkundigte, ob denn alles in Ordnung sei. Frau Stepanova war etwas jünger als er und erledigte seit einigen Jahren seinen Haushalt. Im Prinzip war sie das einzige weibliche Wesen mit dem er regelmäßig Kontakt hatte – aber er wusste nie was er mit ihr reden sollte.
Er ärgerte sich schon, dass er nicht den Mut gehabt hatte zu fragen, ob Margarete nicht schon Morgen Zeit hätte – aber vielleicht tat es ihm gut, sich wieder etwas herunter zu kühlen. Am Wochenende tauchte Mephisto auf, er war besorgt, ob das nicht alles zu viel für den Professor gewesen sei und führte mit ihm ein mehrstündiges Coaching durch. Schließlich gab er ihm ein Fläschchen mit Tropfen: „Heinrich, wenn es dir zu viel wird, dann gibst du einen Tropfen in ein Getränk – das wird dir helfen!“
Weil er immer nervöser wurde, je näher das Seminar rückte nahm er immer wieder einen dieser Tropfen. Unmittelbar vor dem Seminar sogar drei Tropfen in seine Limo. Der Professor hatte nämlich seit langem die Angewohnheit, während des Seminars eine Dose Orangenlimonade zu trinken.
Nach dem Seminar ging er mit Margarete wieder in das Café. Wieder ergab sich ein sehr angenehmes Gespräch und er bemerkte, wie sie – scheinbar zufällig – seine Hand mit der ihren, seine Knie mit den ihren berührte. Aber die Tropfen wirkten! „Herr Professor, wenn sie mich `Marge` nennen – wie heißen sie denn?“ „Ich heiße Heinrich!“ Die Tropfen wirkten wirklich gut. „Darf ich `Henry` zu ihnen sagen? Das wirkt ganz anders.“ „Äh, ja, wenn sie möchten“. Jetzt wäre noch ein Tropfen nötig gewesen. Als sie kurz weg war um sich frisch zu machen, gab er also noch zwei Tropfen in seinen Kaffee. „Marge, wollen wir nicht morgen Abend essen gehen? Ich kenne da ein ganz hervorragendes kleines Restaurant? Ich würde sie dann abholen.“ „Henry. Herr Professor, ja, gerne, das wäre ja toll!“
Als die Wirkung der Tropfen am Abend nachließ, brauchte er den Beistand von Mephisto, der kannte sich mit geeigneten guten Restaurants aus und erklärte ihm, wie er sich dort verhalten solle. Tags darauf ging auch eine große Zahlung von seinem Verlag auf sein Konto. Die zweite Auflage war nun fast vergriffen, die dritte ging in Druck.
Der Abend mit Margarete verlief zu seiner vollen Zufriedenheit – sie hing an seinen Lippen, schließlich ergriff sie seine Hand. Zum Abschied fragte sie ihn, ob er nicht einfach mal Lust auf einen Spaziergang hätte. Gott sei Dank hatte er genügend Tropfen eingenommen.
Nun ging es schnell: Während des Spaziergangs schmiegte sie sich an ihn, gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange und ob sie ihn nicht einmal besuchen könne. Gott sei Dank gingen die Tropfen nicht aus.
Am nächsten Abend besuchte sie ihn, sie tranken Wein, er redete viel und schließlich kam es zu einem Kuss. Jetzt halfen auch die Tropfen nicht mehr – weiter ging es noch nicht.
Heinrich schwebte nun nicht nur auf einer unbekannten Wolke, er fasste auch ohne Tropfen etwas mehr Mut. Seine Kleidung, sein Auftreten – und er hatte sicher nur noch 120 Kilo – und die wirkten wie 90! Und er fand Gefallen an sich.
Ein paar Tage später, er nahm einen ganzen Teelöffel voll Tropfen, fragte er Margarete, ob sie ihn nicht auf einer kurzen Reise nach Wien begleiten könnte, er hätte dort wissenschaftlich zu tun und er benötige eine wissenschaftliche Hilfskraft. Natürlich wollte sie.