Der Geburtstag und ein neuer Freund
Professor Handlos tat die Augen auf und musste mehrfach blinzeln, er musste wohl einen Moment eingenickt sein. „Oh Gott“, dachte er sich, „jetzt machen sie wieder Witze über den Professor Schlaflos“. Er nahm einen Schluck aus seiner Limonadendose. Das Seminar war zu Ende. Er verabschiedete sich von seinen Studenten, der Saal leerte sich, Margarete war heute nicht anwesend und er machte sich auf den Weg nach Hause. Was war passiert? Was war real? Er starrte stundenlang vor sich hin und wusste nicht recht wie ihm geschah. Am nächsten Morgen verschlief er, Frau Stepanova musste ihn wecken. „Herr Professor? Geht nicht gut? Brauchen sie Doktor?“ Sie machte ihm einen Kaffee und setzte sich zu ihm. „Danke Frau Stepanova! Nein, es geht mir ganz gut. Sagen sie, wie heißen sie den eigentlich noch, ich habe sie auch nie gefragt, wo sie herkommen.“ Und so erfuhr er, dass sie Eva hieß, aus der ehemaligen Sowjetunion stammte und nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft und Literatur dort keine beruflichen Chancen hatte, nachdem das System zusammengebrochen war. So wanderte sie schließlich nach Deutschland aus, wo sie jetzt mit Jobs wie diesem überleben musste. Aber sie wolle sich nicht beklagen, sie könne hier viel besser leben als zu Hause. Als er sich duschte, stellte er sich auf die viel zu lange nicht benutzte Waage. Tatsächlich, es waren nur noch 120 Kilo! Er betrachtete sich im Spiegel und bemerkte, dass er sich viel lebendiger, ja attraktiver wahrnahm als zuvor.
Am Abend traf er seine Freunde. Er hatte das komische Gefühl dass irgendetwas im Lauf der Woche nicht stimmte aber es war ein sehr schöner, entspannter Abend mit sehr tiefen Gesprächen. Am nächsten Tag ging er Nachmittags ins Fitnessstudio und machte seine Übungen, denn er spürte, dass es ihm einfach gut tat. Schließlich kam der nächste Termin des Seminars heran, doch er fand seine Tropfen nicht mehr. Am Ende, als die Studenten den Saal verließen, ging er auf eine Studentin zu und sprach: „Fräulein Müller, hätten sie kurz Zeit für mich, ich würde gerne etwas mit ihnen besprechen“.
„Ja, wenn es nicht zu lange dauert“. Und er sprach sie auf ihre Leistungen im Seminar an und welche Erwartungen sie an ihre Arbeit hätte. Schließlich nahm er seinen Mut zusammen und fragte, ob sie nicht Lust hätte, das Weitere bei einer Tasse Kaffee zu besprechen, er wüsste da ein nettes Café in der Nähe. Sie lächelte und sagte „Ja gerne einmal. Wissen sie, ich weiß nicht ob ich ihnen das sagen soll, Herr Professor, aber sie kommen mir manchmal so seltsam vertraut vor, als ob wir uns schon lange kennen würden. Verzeihen sie mir bitte, ich will ihnen damit keinesfalls zu nahe treten! Aber jetzt muss ich wirklich dringend weg, mein Freund erwartet mich.“
Am späteren Nachmittag hatte er einen Termin bei seinem Verlag. Nein, die Verkäufe liefen leider schleppend, eine zweite Auflage lohne sich kaum – ob er denn nicht vielleicht auf eine gute Rezension verweisen könne – das wäre doch sehr hilfreich.
Aber mit Frau Stepanova führte er jetzt gute Gespräche und so saßen sie nun immer wieder einmal zusammen und tranken Kaffee oder auch ein gutes Glas Wein. Sie war wirklich sehr gebildet, konnte viel und klug über russische Literatur erzählen, sie hatte einen sehr guten, tiefgründigen Humor und er lauschte oft voller Interesse.
Schließlich kam der sechzigste Geburtstag des Professors, im Institut gab es eine angemessene Feier und sogar Margarete gratulierte ihm und überreichte ihm ein kleines Geschenk und umarmte ihn, so wie es junge Leute heute machen.
Am Wochende folgte die private Feier, es kamen nun doch mehr als eine Handvoll Leute. Schließlich klingelte es und ein unerwarteter Gast trat ein: „Heinrich, mein lieber Heinrich, willst du mich nicht deinen Gästen vorstellen – und - pass auf, ich habe auch ein Geschenk: Lies mal am Montag den Kulturteil in deiner Zeitung genau!“ und er lachte und zwinkerte ihm zu.
Ja, Mephisto kam jetzt wieder öfter, und sie saßen oft lange zusammen. Mephisto sagte ihm immer wieder, dass er in der langen Zeit in der er schon „der Menschen Freund und Helfer sei“ noch selten auf einen getroffen sei, der so geistreich und scharfsinnig war wie er. Und der Professor freute sich, dass er ein Gegenüber hatte, welches seine Interessen teilte und das ihm viel erzählen konnte - schließlich war er bei vielen Ereignissen damals ja dabei und kannte etliche der historischen Persönlichkeiten persönlich. Und so merkte gar nicht, dass Mephisto seine Seele längst gewonnen hatte.