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Nach dem Prompt „Yabbie-Krebs“ der Gruppe „Crikey!“
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Als sich kräftige Hände um seinen Oberarm schlossen, wusste Jabbelgee, dass er in Schwierigkeiten steckte. Es brauchte nicht erst die Stimme des Mannes hinter ihm, um das zu bestätigen: "Ihr hättet vorsichtiger sein sollen."
Putaho und ihre kleine Schwester Boya wurden ebenfalls ergriffen. Ettica, die den Beutel in der Hand hielt, konnte drei Schritte machen, ehe auch sie überwältigt wurde. Timerdy rührte sich gar nicht.
Den fünf Kindern wurden die Hände auf den Rücken gebunden und die Schergen schnappten sich den Sack mit ihrer Beute.
"Wohin bringt ihr uns?", verlangte Ettica mutig zu wissen.
"Der König möchte mit euch reden."
Sie erbleichte, und auch Jabbelgee schluckte. Der König. Namia. Sie steckten wirklich in der Patsche.
Aus dem engen Tunnel, in dem die Junggoblins überfallen worden waren, ging es tiefer hinunter, durch die Stollen und einige abgelegenere Gänge im Umkreis der großen Tropfsteinhallen. Offenbar wollten die Häscher mit ihren Gefangenen nicht gesehen werden, doch es war fraglich, ob irgendjemand der Grottenleute sich mit den Wachen des Königs anlegen würde, nur um fünf Waisen zu retten.
Schließlich näherten sie sich dem verwirrenden Labyrinth, das furchtsam 'lichtloser Abgrund' genannt wurde. In den engen Gängen wuchsen keine der schimmernden Flechten mehr, die die Höhlen sonst überall erhellten. Totems und Wandmalereien an den vielzähligen Öffnungen, die wie Löcher eines Schwamms aufklafften, sollten die Wesen der Schreckenswelt fernhalten.
Ihre Häscher mit den fünf Gefangenen überwanden die unsichtbare Grenze ohne das geringste Zögern und begaben sich tiefer in die Höhlen.
"Gee", flüsterte Timmerdy ängstlich. "Gee, wohin bringen sie uns?"
"Keine Angst. Sie kennen den Weg", murmelte Jabbelgee angespannt. Die Wachen des Königs bestätigten das zwar nicht, aber sie eilten mit sicheren Schritten durch die engen Gänge, die keinen anderen Schluss zuließen.
Es ergab auch Sinn, dass der unterirdische 'König' sich dort verbarg, wo ihn die richtigen Gesetzeshüter niemals finden würden. Was lag da näher als das gefürchtete Labyrinth aus Dunkelheit?
Eine Weile war es so stockfinster, dass Jabbelgee seine Freunde nicht länger sehen konnte. Doch ihre Häscher eilten unbeirrt voran. Und schließlich bemerkte er ein geisterhaftes, leicht bläuliches Licht, das von merkwürdigen Gesteinsadern in den Wänden ausging. Das Licht wurde stärker, während sie vorwärtsgezwungen wurden. Auf den Armen und Rüstungen ihrer Häscher leuchteten weiße Markierungen auf, die Jabbelgee zuvor nicht gesehen hatte. Wie merkwürdig! Auf dem Boden sah er ähnliche Zeichen, die ihnen den Weg durch das letzte Stück der Gänge wiesen.
Hier öffnete sich schließlich eine unfassbare Höhle vor ihnen. Erleuchtet war sie von kleinen Lampen und Scheiben des merkwürdigen Minerals. Auch der Thron war daraus errichtet. In dem blassen Licht glühten weiße Markierungen überall an den Wänden und der Decke, die ebenfalls von vielen Löchern und Höhleneingängen gezeichnet war.
Auf dem Thron saß ein Mann, dessen Haut vollkommen weiß strahlte. Hinter dem Thron erhob sich jedoch eine dickere, durchsichtige Scheibe des Minerals, und dahinter konnte Jabbelgee in dunkles, klares Wasser sehen, gespeist von einem Wasserfall und bevölkert von großen, blauen Hummern, die im geisterhaften Licht ebenfalls schimmerten. Dazwischen huschten weißliche Fische umher, die jedoch nicht leuchteten, nur manchmal vor hellerem Hintergrund aufblitzten.
"Sind das die Diebe?", fragte der Mann auf dem Thron. Namia, der unterirdische König. Er war ... kleiner, als Jabbeldee erwartet hatte. Seine Haut schien unter der Farbe normal grünlich zu sein. Seine großen, seitlich abstehenden Ohren zitterten, ein deutliches Zeichen seines Alters. Er klammerte sich mit langen, knochigen Fingern an den Thron.
"Sie sind es." In der Stimme der Wache schwang nichts als Respekt mit. Einer von ihnen trat vor und reichte König Namia den Beutel.
Prüfend warf Namia einen Blick hinein, dann sah er die fünf Gefangenen an.
"Dachtet ihr wirklich, ihr könntet mich bestehlen und damit prahlen, ohne dass es Konsequenzen gibt?"
"Nein, Herr. Verzeiht bitte, es war nur ein dummer Streich." Jabbelgee hielt den Kopf gesenkt. Der König mochte zwar alt sein, aber ihr Leben lag immer noch in seiner Hand. "Wir hatten nicht vor, Euch durch diese Prahlerei zu schaden", sprach er weiter, denn er wollte nicht, dass der König seine vier jüngeren Freunde in die Mangel nahm. "Wir dachten, wenn klar wird, dass wir den Schatz des großen unterirdischen Königs haben, können wir die Dinge besser verkaufen. Sonst wollte es niemand haben."
"Natürlich nicht." Der König nahm leise lachend eine der kleinen, weißen Kugeln hervor und rollte sie zwischen den Fingern. Dann zerbröselte er das Ding in eine Schale, die auf der Lehne seines Throns gestanden hatte. "Ihr wisst nicht einmal, was das ist, oder?"
Jabbelgee schüttelte den Kopf.
"Das sind die Beeren der Steinfrucht, die an der Oberfläche wächst. Sie enthalten Calcit, und das wiederum benötige ich für dieses hier ..." Der König nahm einen kleinen Splitter des merkwürdigen Minerals und zerbröselte auch dieses in die Schale. Dann winkte er einer Wache.
Vor den irritierten Blicken der Kinder füllte die Wache die Schale mit Wasser aus dem hohen Becken hinter dem König. Dieser nahm die Schale wieder und rührte um, worauf sich das Wasser rasch verdickte und weißlich zu leuchten begann.
"Nun, ihr fünf wart bisher sehr vernünftig und höflich", sagte der König. "Darum beantwortet meine letzte Frage ehrlich und vielleicht lasse ich euch am Leben. Welche gute Taten wolltet ihr mit dem Geld tun, das euch mein Eigentum eingebracht hätte?"
Jabbelgee schluckte, und die anderen warfen ihm ängstliche Blicke zu. Er war sich sicher, dass dem König ihre Antwort nicht gefallen würde.
"Keine guten Taten", sagte er dennoch leise. "Wir hatten nur Hunger."
"Haha!" Der König klatschte mit der freien Hand auf sein Bein, dann sprang er auf und kam erstaunlich behände zu ihnen. Er lachte gutmütig. "Waisen! Ich hatte gehofft, dass ihr das sagt." Vor den fünf verängstigten Junggoblins blieb er stehen und musterte sie mit einem breiten Grinsen. "Sagt, Kinder ... wollt ihr euch mir anschließen? Ich brauche geschickte Diebe wie euch und ihr könnt meinen Männern erzählen, wie ihr von den strenggeheimen Lieferungen erfahren habt, damit sich so etwas nicht mehr wiederholt. Dafür müsst ihr nie wieder hungern. Ihr wärt Teil der Familie."
Völlig erstaunt sahen Jabbelgee und die anderen den König an. Namia lächelte sie ehrlich an.
Sie tauschten einen kurzen Blick untereinander. Ettica zuckte mit den Schultern. Boya und Putaho nickten zögerlich. Timmerdy schien kurz davor zu stehen, vor Angst in Tränen auszubrechen.
Gabbelgee sah wieder nach vorne. War es eine Falle? Aber vielleicht wäre das ihre einzige Chance. Wenn sie sich dafür dem mächtigen Clan anschließen müssten ... das war kein Preis, das war Teil der Belohnung. Die Männer des Königs erpressten zwar Schutzgelder, doch ansonsten waren sie deutlich harmloser als die Drogenschmuggler und Mafiaringe, die Waisen sonst so zur Auswahl standen. Der Schutz, den die Uniform des Königs bedeutete, wäre nicht zu verachten.
"Wenn ... wenn Ihr uns das wirklich anbietet, so nehmen wir an", teilte Jabbelgee ihre gemeinschaftliche Entscheidung mit.
"Befreit sie von ihren Fesseln", wies der König an, doch sein Blick blieb an Jabbelgee haften. "Du bist ihr Anführer, ja? Dann sollst du mir Treue schwören."
"Ich schwöre ..."
"Nein, so machen wir es hier unten nicht", unterbrach ihn der König sofort. Er fuhr mit den Fingern in die leuchtende Paste in der Schale. "Öffne deine Augen. Und halte sie offen. Beweise mir deinen Gehorsam."
Im Bruchteil einer Sekunde verstand Jabbelgee, dass ihn die Paste vermutlich blenden würde, während die Finger des Königs seinen Augen nahten. Doch er zwang sich tapfer, nicht zu blinzeln. Wenn er damit seine Freunde retten könnte, wäre es ein geringer Preis. Goblins hatten ein ausgezeichnetes Gehör und guten Tastsinn - er brauchte seine Augen also nicht notwendigerweise.
Auch wenn ihn das den Anblick der Farben kosten würde.
Der König strich ihm die Paste mit zwei schnellen Bewegungen auf die Augen. Sie fühlte sich sehr kalt an. Jabbelgee blinzelte ein paar Mal. Seine Sicht verschwamm, jedoch nur von dem cremigen Widerstand.
"Gee!", zischte Ettica. "Gee, sag was!"
Jabbelgee blinzelte weiter. Er fühlte ein Kribbeln. Dann ... riss er die Augen erstaunt auf.
Zuerst fielen ihm die Krebse hinter der Scheibe auf, die in allen Farben des Regenbogens schimmerten. Lichter und Muster huschten über ihren Panzer. Dann sah er, dass die Höhlenwand nicht länger weiß war, sondern mit bunten Bildern bemalt. Auch die Rüstungen und Muster auf der Haut des Königs und seiner Männer strahlten mit einem Mal so farbenprächtig wie an der Oberfläche. Staunend sah Jabbelgee den König an und die verschlungenen Muster, die aus dem einheitlichen Weiß hervorgetreten waren. Und auch Stellen, die vorher dunkel gewesen waren, leuchteten jetzt. So hatten sich die Männer des Königs wohl auch in den dunklen Tunneln zurechtgefunden.
Mit einem zufriedenen Lächeln trat Namia zurück. "Willkommen in meiner Familie, Junge. Willkommen ihr alle! Ihr habt die Prüfung bestanden."
Und was für eine Prüfung es gewesen war! Er hatte geglaubt, die Farben für immer aufgeben zu müssen, dabei hatte er neue gewonnen.
Jabbelgee neigte den Kopf. "Ich danke Euch, mein König."