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Nach dem Prompt „Steve Irwin's Treesnail (Crikey steveirwini) [Leidenschaft für die Natur]“ der Gruppe „Crikey!“
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"Warte ... das ist nicht Wajbaqwinat."
Ein wenig stolpernd sah die blonde Elfe sich um. Vor ihr lagen dichte, grüne Bäume: Palmen, Schlingpflanzen, Farne und vieles mehr, das wohl nur ihre Freundin Wardah näher benennen könnte. So viel Grünzeug gab es auf Wajbaqwinat höchstens im yan Yaiyin, doch in jenem Dschungel war Njola noch nie gewesen.
Sie wirbelte herum, wo das Portal hinter ihr noch schwebte, gebildet aus einer großen, grünen Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. In dem so geformten Ring war das Ufer noch zu sehen, wo Njola aufgebrochen war.
Vor ihren Augen verblasste die Schlange, verschwand das Bild ihrer Heimat.
"Hentoba, warte! Du hast mich falsch abgesetzt!", rief die Elfe panisch. Sie rannte los, doch ihre Finger fühlten nur noch einen Hauch Widerstand in der Luft, wie von einer kräftigeren Brise.
Dann war Hentoba fort. Und Njola stand vollkommen alleine in einem fremden Wald, ohne ihre Freunde.
"Hallo? Tiibwani? Wardah? Grafin? Seid ihr da?" Keine Antwort. Sie zögerte. "Asherah?" Wieder nichts. "Ljoska?" Nicht einmal ihre Feenkatze meldete sich.
Vermutlich hätten sie nicht versuchen sollen, den Schlangendämon mit Fischblut zu bezahlen. Njola hatte ihre Freunde davor gewarnt, sich aber nicht durchsetzen können.
Und jetzt hatte sie den Salat! Es war nicht einmal köstlicher Shukorri-Salat, denn Aotairin, den Kontinent, wo sie diesen entdeckt hatte, lag nun hinter ihr. Frustriert seufzte sie und ließ den Blick über ihre Umgebung wandern. Der Wald war wenigstens halbwegs licht. Es war warm und feucht, die Blätter glänzten vor Wasser. Es hatte also kürzlich geregnet. Das gab ihr einen Hinweis, auch wenn es ihren Standort nicht besonders einschränkte. Bei ihrem Aufbruch vor einigen Wochen hatte in Wajbaqwinat die Regenzeit eingesetzt. Dann hatte ein magischer Sturm sie jedoch nach Aotairin gebracht, wo um diese Zeit Trockenzeit herrschte. Vermutlich war sie jetzt wieder zurück auf der Südhalbkugel, allerdings lagen so gut wie alle Kontinente hier.
In dem Versuch, ihren Standort weiter einzugrenzen, machte Njola ein paar Schritte und sah sich nach der Sonne um. Diese stand ziemlich direkt über ihr - sie war also in Äquatornähe - und knallte nicht weit entfernt auf das Meer. Tatsächlich erwies sich der Dschungel als Waldrand auf einer sandigen, flachen Insel.
Ob sie wohl irgendwo in Vaimada gelandet war? Damit war sie immer noch viel zu weit von Casta entfernt, wohin sie eigentlich gewollt hatten.
Njola folgte dem Strand. Suchend sah sie sich um und rief erneut nach ihren Freunden, in der Hoffnung, dass Hentoba sie einfach in einiger Entfernung abgesetzt hatte. Doch sie erhielt keine Antwort. Immerhin hatte sie ihre Kochutensilien und noch ein paar Brote dabei, sodass sie eine Pause machen konnte, nachdem sie die Insel abgesucht hatte. Es war ein kleineres Eiland, überwiegend sandig, umringt von flachem, warmem Wasser. Sie konnte mehrere andere Inseln sehen, allerdings hatte sie sich noch nicht ins Wasser gewagt. Dort trieben rötliche Quallen vorbei, ein Schwarm, der sie essenziell auf der Insel einsperrte. Vielleicht waren die Quallen ja harmlos, aber sie traute ihrem Glück nicht genug, um es zu riskieren. Wann immer sie darüber nachdachte, glaubte sie, ein böses Kichern zu hören, der Klang ihrer Alarmglocken.
Immerhin musste sie nicht in Vaimada sein. Sie könnte auch in Alactora sein, wo jedes Tier einen töten konnte. Solange sie keine Gewissheit hatte, musste sie vorsichtig sein.
Am Strand hatte sie nichts gefunden. Keinen Steg und kein Boot, kein Zeichen eines Dorfes. Auch auf den umliegenden Inseln sah sie nichts. Jedoch hatte sie noch den Dschungel vor sich, ein Wäldchen von einigen Quadratmeilen. Da mochte sich noch einiges verbergen, sodass sie beschloss, den Wald wenigstens einmal zu durchqueren. Njola zog ihre Bratpfanne und das Nudelholz hervor, und so bewaffnet trat sie in den Schatten der rauschenden Bäume.
Da niemand auf ihre Rufe reagiert hatte, ging sie jetzt leiser vorwärts und lauschte aufmerksam. Bei jedem Geräusch wirbelte sie herum - ob ein Zweig unter einem Gewicht brach, eine Welle besonders laut rollte oder ein Stamm im Wind knarzte. Sie suchte Bewegung zwischen den Stämmen: Vielleicht gab es hier Bären, wie in ihrer Heimat, oder Kaimane oder Tiger! Wer konnte schon sagen, welche Kreatur sie auf dieser Insel als schmackhafte Mahlzeit ansehen würde?
Das erste Tier, was sie sah, war dann aber doch klein. Es handelte sich um eine Schnecke mit einem spitzen, bernsteinfarbenem Haus und Kugeln am Ende der Stielaugen, die ein bisschen zu groß für das winzige Ding wirkten.
"Na? Bist du auch ganz alleine?", fragte Njola die Schnecke freundlich. Verständig wackelte diese mit den Fühlern. Die Schnecke saß auf einem Blatt, dem letzten Blättchen eines sterbenden Strauchs. Vom Gewicht der kriechenden Aufsitzerin beugte sich das Blatt weit nach unten. Einem Impuls folgend streckte Njola ihren kleinen Finger neben das Blatt, sodass der Fingernagel dieses berührte. Sofort kroch die Schnecke ihr auf den Finger.
Lächelnd sah die Elfe das winzige Wesen an. "Was bist du denn für eine? Du willst mich aber nicht vergiften, oder?" Ihre Abenteuer hatten ihr ein tiefes Misstrauen gegenüber Neuem eingepflanzt. Aber schon die wenigen Stunden ohne ihre Freunde waren so ungewohnt, dass sie sogar die Gesellschaft einer Schnecke dankbar annahm. Außerdem mochte sie Tiere und Schnecken ganz besonders. Und, so redete sie sich ein, die Schnecke könnte ihr helfen, herauszufinden, wo sie hier war!
Allerdings erkannte sie die Art nicht. Die Schnecke erkundete neugierig ihren kleinen Finger und hinterließ dabei eine klebrige Schleimspur. Njola passte auf, ob sie ein Kribbeln oder Brennen spürte, was auf eine Giftigkeit hinweisen könnte, aber nichts geschah. Also trug sie die kleine Schnecke ein paar Schritte um sich und suchte dabei nach einem Strauch wie dem, von dem sie ihre neue Freundin gerettet hatte. Sie hatte nur ein hellgrünes Blatt als Anhaltspunkt, da die Pflanze ansonsten leergefressen gewesen war.
Nach einer Weile fand sie aber einen identischen Strauch. Die Schnecke auf ihrem Finger schien ihn zu wittern, denn sie hob den Kopf ein ganzes Stück und streckte neugierig die Fühler.
Wehmütig lächelnd hockte sich Njola neben den Busch. "Das ist eine bessere Mahlzeit als das kümmerliche Blättchen, nicht wahr?"
Mit aller schneckischen Geschwindigkeit kroch ihr kleiner Gast auf das Blatt zu, an den Njola ihren Finger hielt. Ganz kurz, bevor die Schnecke von ihrem Finger kroch, hielt sie an und drehte den Kopf noch einmal zurück. Sie wackelte leicht mit den Fühlern.
"Gern geschehen", sagte Njola. "Pass gut auf dich auf, ja?"
Die Schnecke schien es zu versprechen und kroch auf das Blatt, wo sie sofort begann, die Raspelzunge ins Grün zu graben. Njola stand auf und strich noch einmal wehmütig über ihren Finger. Dann setzte sie ihre Suche fort.
Doch allmählich wurde es dunkel und sie musste einsehen, dass sie nicht länger im Dunkeln herumtapsen konnte. Auf halbem Weg zurück zu 'ihrem' Strand sah sie ein, dass sie zu müde wurde, um sich weiter umzusehen. Aus Stöcken und Blättern errichtete sie sich einen Unterstand, in dem sie sich zusammenrollte. Schon mitten in der Nacht ging ein heftiger, aber warmer Regen nieder, der zwei Stunden lang anhielt und den Boden halb überflutete, um dann ebenso plötzlich abzubrechen, wie er begonnen hatte.
In der Zeit zwischen der Sturmflut und dem Morgen träumte sie von ihren Freunden, die hoffentlich nicht an einem ähnlichen Ort festsaßen, sondern in Sicherheit waren. Dann wurde sie im ersten Morgenlicht von einem weiteren Regenguss geweckt.
Njola frühstückte in der relativen Trockenheit ihres Unterstands. Ihre Vorräte waren bereits ein ganzes Stück geschrumpft. Ihren Wasserschlauch konnte sie mit Regenwasser füllen, das sich in einem Blätterkelch gesammelt hatte. Doch ihre Lebensmittel würden nicht mehr lange halten. In der Hitze verdarben sie schneller. Njola knabberte trotzdem nur ein Eckchen Brot, während sie wartete, dass der Regen nachließ. Dann ging sie weiter durch den Wald, jetzt nicht auf der Suche nach Zivilisation oder wilden Tieren - die Angst vor Raubtieren hatte sich gelegt. Stattdessen hielt sie Ausschau nach Kokosnüssen, Früchten oder Beeren. Am liebsten wäre ihr Essen, das sie erkannte, wenigstens aus ihren Büchern. Aber falls sie etwas Unbekanntes essen musste, wäre es sicher gut, wenn sie noch ein wenig sicheres Brot im Rucksack hatte!
Der Regen war warm und beständig. Wenn es nicht in Strömen goss, tropfen Wasserperlen von den Bäumen und trafen sie mehr als einmal ins Auge, wenn sie hinaufsah. Dennoch ließ sich die junge Elfe davon nicht beirren. Sie hatte die Wüste von Wajbaqwinat überlebt! Die Geisterpyramide! Den Kampf gegen einen Dämon!
Da würde sie doch nicht auf einer Insel verhungern!
Schließlich fand sie einige ihr unbekannte, bläuliche Früchte. Sie waren groß wie ein Apfel, aber mit weicher Haut und weißlichem Fruchtfleisch, das überquoll vor süß riechendem Saft. Viele Früchte waren geplatzt und überreif.
Auf dem Strauch bemerkte sie eine weitere oder vielleicht auch die gleiche Schnecke. Jedenfalls war ein hellgrüner Busch in der Nähe, doch ob es der gleiche war, konnte sie nicht sagen. Wenn ja, hatte die Schnecke gestern auch eine kleine Wanderung übernommen und saß nun überglücklich auf einer blauen Frucht, vor einem kleinen Riss in der Fruchthaut, in den die kleine Naschkatze allerdings beinahe hineinkriechen könnte.
"Was meinst du, ob mir die Frucht auch schmecken wird?", fragte Njola sie. "Es kann nämlich sein, dass es für mich giftig ist, weißt du? Es gibt auch einige Beeren, die Vögel zwar sehr gut essen können, die aber für Erdwesen giftig sind. Und einige Beeren, die zwar Zwerge, aber keine Menschen oder Elfen essen können!"
Die Schnecke wackelte mit ihren Fühlern und aß weiter.
"Du hast recht. Ich werde es nie herausfinden, wenn ich es nicht probiere!"
Njolas Magen knurrte inzwischen ziemlich. Sie blieb trotzdem vorsichtig. Bevor sie in die Frucht biss, schnitt sie diese mit ihrem Messer auf und rieb sich ein wenig vom Saft auf die Handgelenke. Als sie nach einer Weile keine Reizung spürte, versuchte sie es an den Lippen. Sie hatte beim Strauch Pause gemacht und sich ein wenig mit der Schnecke unterhalten. Sehr aufmerksam (und weiterhin essend) hörte ihr das Tier dabei zu, wie Njola von ihren Abenteuern erzählte. Angefangen mit dem Tag, da sie ihre Heimat verlassen hatte, auf der Suche nach einem Ort, wo sie vielleicht eine neue Heimat finden könnte.
"Inzwischen habe ich ja ein neues Zuhause, das Haus Blutschrei in Wajbaqwinat. Es war ein Geisterhaus, aber meine Freunde haben die Geister ausgetrieben. Und danach durften sie das Haus behalten. Und dann - stell dir das vor - haben sie mir gesagt, dass es auch mein Haus ist! Tiibwani und Wardah und Rheeji dürfen da auch wohnen. Es ist so schön, ein Zuhause zu haben! Da wollten wir nämlich hin, als die Portalschlange mich stattdessen hier abgesetzt hat ..."
Die Schnecke war eine wirklich gute Zuhörerin! Nach einer Stunde, noch immer ohne irgendeine Reaktion auf den Pflanzensaft, nahm Njola einen kleinen Bissen, kaute nachdenklich und schluckte. Dann erzählte sie weiter, bis eine weitere Stunde vergangen war, ohne dass sie mehr spürte als den wachsenden Hunger.
Dann allerdings aß sie die ganze Frucht und sammelte noch mehrere ein.
"Keine Angst, kleine Schnecke, ich lasse dir ein paar da!", versprach sie. "Aber du würdest ja nicht alle essen können!"
Die Früchte hatten mehrere kleine, glatte Kerne, die sie alle ausspuckte. Njola achtete darauf, nicht versehentlich auf einen zu beißen. Man konnte nie sicher sein!
Mit ihrem neuen Vorrat ging sie zum Strand. Eine bessere Nahrungsquelle wären sicherlich Fische. Noch immer waren lauter Quallen im Wasser wie rote, aufgequollene Rosen. Sie setzte sich in den nassen Sand und begann, aus etwas Schnur eine Angel zu bauen. Eine lange Leine mit mehreren Haken. Das Brot konnte sie als Köder benutzen - und dann am nächsten Tag kontrollieren, ob Fische angebissen hatten!
Während sie da so saß und Schnur knöpfte, hörte sie plötzlich ein fernes Rauschen, gefolgt von Stimmen.
"Njola? Njola!"
Ungläubig sprang sie auf. "Tiibwani? Wardah?" Njola raffte die Angelschnur an sich - auf Vinpalla ließ man sein Angelzeug nie einfach so herumliegen! - und sprintete los. Die Stimmen wurden deutlicher.
"Njola? Bist du das?"
"Ihr seid es wirklich!", antwortete sie. Wenig später brach sie durch das Unterholz auf eine kleine Lichtung. Da standen ihre Freunde und sahen sie erleichtert an. Hinter ihnen drehte sich Hentoba (oder Hentabodea, ihre Zwillingsschwester) im Kreis, sodass im aufrechten Ring wie durch ein Fenster eine trockene Wüstenlandschaft zu sehen war.
Ihre Freunde breiteten die Arme aus.
"Njola! Zum Glück geht es dir gut!", rief Tiibwani.
"Ich bin so froh, dass der Dämon dich wiedergefunden hat!", fügte Wardah hinzu.
Zum Erstaunen ihrer Freunde drehte Njola kurz vor ihnen jedoch ab und kniete sich vor einen Strauch mit blauen Früchten.
"Du hast meine Freunde zu mir zurückgebracht! Danke, kleine Freundin - das kann ich dir niemals zurückzahlen!"
Wardah, Tiibwani, Grafin und Asherah tauschten verwirrte Blicke. Grafin hob den Finger neben seine Schläfe und ließ ihn einmal kreisen.
"Vielleicht hat sie zu einer neuen Göttin gefunden?", rätselte Asherah.
"Ich vermute, sie hat jetzt auch den Verstand verloren", murmelte Wardah mit besorgten Blicken zu den anderen Chaoten. "Jetzt bin ich ganz allein!"
Hilflos sah die Gruppe zu, wie Njola seltsame, blaue Früchte unter dem Strauch stapelte und sich verabschiedete.
"Können wir dann gehen?", fragte Tiibwani so behutsam, wie sie es fertigbrachte. "Der Regen wird immer stärker."
Njola nickte mit tränenüberströmtem Gesicht. "Ich werde sie vermissen!"
"Ja ... ja, das wirst du." Wardah klopfte ihr auf die Schulter. "Komm, Rheeji wartet."
Behutsam geleiteten die vier ihre Freundin durch das Portal.
"Wir machen dir ein leckeres Sunta-Dingsda", sagte Wardah, "und dann wird alles wieder gut!"