Er wusste, dass er auch in dieser Nacht wieder im Wald sein würde. Doch ihm ging dieses seltsame Treffen mit Felix und das, was er sagte, nicht aus dem Kopf. Mit einem wesentlich mutigeren: „Dann schauen wir mal“, legte er sich ins Bett. Der Schlaf ließ ein wenig auf sich warten, doch endlich war er wieder im Wald und ein Blick herunter zu seinen Pfoten deutete ihm, im Körper der grauen Katze zu stecken. „Fängt ja schon mal gut an“, dachte er nur. Wesentlich mutiger als in den Nächten zuvor streifte er umher. Er wollte um alles in der Welt die rote Katze wieder sehen. Irgendetwas hatte sie mit Felix zu tun, wenn es nicht sogar Felix war. Er sprang auf einen Baumstumpf, um mehr sehen zu können, auch wenn er die Gefahr einging, selbst gesehen zu werden. Da sah er ihn auch schon und merkte, dass auch die rote Katze ihn anschaute, aber merkwürdig mit ihrem Schwanz zuckte. Heute würde sie nicht kommen wollen, da war er sich sicher, und nahm das Zepter selbst in die Hand. Leichtfüßig sprang er von dem Baumstumpf in die Richtung der roten Katze, doch er machte die Rechnung ohne die Tiere, die ihm vorher schon auflauerten. Fünf Katzen umkreisten ihn und jede zeigte Kampfbereitschaft. Die Schwarze, offensichtlich die Anführerin, sprang ihn unvermittelt an. Geschickt duckte er sich weg, doch eine andere graue Katze jagte ihm direkt nach. Ab sofort, das wusste er, würde er nicht mehr abhauen. Er hatte genug davon. Niemand sollte ihn davon abhalten, Felix wieder zu sehen, oder hier im Traum zumindest diese rote Katze! Mit einem Satz sprang er in die Höhe und drehte sich dabei. Erschrocken sahen ihn die anderen an. Hatten sie nicht damit gerechnet, auch einmal gejagt zu werden? Als Erstes suchte er sich die schwächste der anderen heraus, irgendwo musste er ja starten, und brüllte sie an. Er erschrak selbst, denn er rechnete nicht damit, dass er so laut fauchen konnte. Dass er beeindrucken konnte, freute ihn und gleich erschienen ihm die anderen Katzen viel kleiner. Jetzt ließ er seiner Wut freien Lauf und schnappte sich doch die schwarze Katze. Die anderen flohen, doch die Schwarze war mutiger. Selbst schuld. Sie konnte nichts ausrichten, und sein Zorn auf sie wuchs, war so mächtig, als stünden alle vor ihm, die ihn jemals in seinem Leben ausgelacht hatten, seine Ex-Freunde, die ihn hintergangen hatten, George, Kollegen, die sich über ihn lustig machten, sie alle würde er jetzt rächen, und wenn es das Leben dieses Mini-Panthers kosten würde. Seine Pranke fuhr auf die Katze herunter und begrub sie unter sich.
Da hörte er ein weiteres Fauchen. Was, die rote Katze auch? Er ließ von der schwarzen ab und jagte der roten Samtpfote hinterher. Mit nur einem Satz hatte er auch sie eingeholt, doch sie war wehrhafter, doch er verletzte sie, war jedoch schnell genug, wieder etwas Abstand zu gewinnen. Er brüllte sie an. Doch sie blieb stehen mit der Spannung eines Jägers und vor allem mit der Sprungkraft, mit der sie sich in seiner Mähne festklammerte. Doch er schüttelte sich und sie flog weg, landete unsanft auf einer Wurzel und heulte auf. Erst da fiel es ihm auf. Er hatte eine Mähne? Der Blick auf seine Pfote zeigte ihm, dass er sich verändert hatte: goldenes Fell und eine riesige Pranke statt eines grauen Samtpfötchens. Der Löwe war endlich frei.
Die rote Katze lag immer noch da und mit einem Mal tat sie ihm leid. Sie, ausgerechnet sie, wollte er auf keinen Fall verletzen. Er ging zu ihr und leckte ihr über das Fell. Doch sie atmete nur schnell. Was, wenn er damit Felix verletzt hätte, wenn das Felix war? Er konnte nur seiner Intuition folgen, nahm sie in sein Maul und brachte sie an einen kleinen Brunnen, unter den er sie legte, hoffte, dass die Verletzungen in dieser Welt herausgewaschen werden konnten. Es schien ihr tatsächlich gut zu tun, und so legte er sich hin, um sie zu bewachen, ließ das Wasser über die Rote laufen und betete, dass sich alles fügen würde. Darüber sank er weg.
Was klopfte da und klingelte Sturm? „Herr Maier! Ist alles gut bei Ihnen?“ War das die Stimme seiner Nachbarin? Was wollte die denn? „Herr Maier!“, und wieder klingelte es Sturm.
Er sprang aus dem Bett und ging zur Tür. „Ja bitte?“ Er merkte, dass er nackt war und vermied es, dem Impuls zu folgen, die Tür zu öffnen.
„Ihre Dusche. Seit zwei Stunden läuft ihre Dusche. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Äh, ich schaue gleich nach.“ Er eilte ins Badezimmer. Schon von draußen hörte er, dass die Dusche tatsächlich lief. Als er das Licht einschaltete, hörte er jemanden stöhnen. Unter dem fließenden Wasser lag Felix, der sich die Augen zuhielt. „Ach du grüne Neune.“ Er schloss erst einmal den Wasserhahn. „Ich bin gleich bei dir, muss erst noch die Werther loswerden.“ Wieder rannte er zurück. „Frau Werther?“
„Ja?“
„Es ist alles ok. Danke fürs Wecken. Der...“, wie konnte er das nur erklären? „Der Duschkopf ist runtergefallen und hat wohl den Wasserhahn geöffnet. Ist aber alles gut gegangen. Schlafen sie jetzt ruhig weiter.“ Dann kehrte er wieder zurück ins Bad, schnappte sich auf dem Weg ein Handtuch und beugte sich herunter. „Ok, bei allem, was die letzten paar Nächte passiert ist, wundert mich ja nichts mehr. Was, um alles in der Welt, machst du hier?“ Dabei trocknete er ihn ab. Das Wasser lief wohl nur lauwarm, und wenn er seiner Nachbarin trauen konnte, dann lag Felix schon länger unter der Dusche.
Der Rothaarige stöhnte. „Es blendet mich hier. Kannst du vielleicht dunkel machen?“
„Was? Ok, ich verstehe es einfach später“, stand auf und löschte das Licht. Nur noch aus dem Flur leuchtete es. „Besser so?“
„Ja. Kannst du jetzt mir vielleicht helfen?“
„Natürlich.“ Er beugte sich runter und legte Felix Arme auf seine Schultern. „Vielleicht kannst du dich ein wenig halten?“ Das tat er dann auch. Er zählte auf drei und mit einem Ruck hatte er ihn oben und hielt ihn dicht an sich. „Man, du bist ja total ausgekühlt.“
„Aber es geht mir schon etwas besser.“
Sie hielten sich einen Moment, bis Felix anfing zu kichern. „Also auf Hüfthöhe wird’s schon wieder wärmer.“
Auch Kai spürte es, bei sich genauso wie beim anderen, und lachte auch: „Ich muss dich jetzt aber eher anders auf Temperatur bringen. Lass uns mal rüber ins Schlafzimmer tanzen.“ Das passte, denn es sah wirklich aus, als würden sie tanzen, denn der Rothaarige hatte kaum noch Kraft, konnte sich nur schwer halten und war um Kais festen Griff mehr als dankbar. Der legte ihn ins Bett und deckte ihn zu. „Ich mache dir mal noch eine Wärmflasche, bin gleich zurück.“
Kaum das die fertig war, legte er sie mit unter die Decke. Felix schlief bereits tief und fest, und so konnte sich Kai einfach nur zu ihm legen, umarmte ihn und schenkte ihm zusätzlich seine Wärme.