Der Titan blickte nun direkt zu uns. Er hatte uns entdeckt. Ich sprang förmlich auf, zog Lina mit einem Ruck hoch, sodass der Muskel in meinem Arm schmerzte und rannte los. Lina tat es mir gleich. Wir versuchten auf den Weg zu kommen, sodass wir besser vorankamen, doch auch das Monster spurtete los.
"Scheiße, scheiße, scheiße......." sagte ich immer wiederholend und konzentrierte mich auf das Laufen. Ich durfte jetzt nicht zurückblicken. Ich durfte jetzt nicht schwach werden. Doch dann hörte ich ein "Ah" und ich wusste, Lina war gefallen - grade jetzt und nicht gestern Nacht. Warum? Warum jetzt?
Ich sah zurück und sah sie dort liegen. Sie blickte mich geschockt an, wissend, was passieren würde. Ich hielt inne - nur eine Sekunde. Nein, das konnte ich nicht. Ich konnte sie nicht im Stich lassen. Eilig rannte ich zurück und zog das Messer, was ich an meinem Gürtel trug.
"Scheiß was drauf." schrie ich innerlich. "Scheiß was drauf!!!"
Der Titan lief auf Lina zu. Er sabberte bereits erwartungsvoll und senkte dabei seinen Kopf, als würde er sie direkt vom Boden fressen wollen. Ich lief immer weiter, lief meiner eigenen Angst davon und schrie. Das Messer über meinen Kopf in der einen Hand positioniert, sprang ich dem Monster entgegen. Als sich die Klinge in das Auge des Titans bohrte, brüllte er auf und krümmte sich nach oben. Unsicher griff ich mit meiner freien Hand nach seiner Nase, wurde jedoch hinauf geschleudert, sodass ich auf seinem Kopf lag. Das Messer immer noch in meiner Hand stach ich ein zweites Mal auf ihn ein. Diesmal in den Schädel.
"So wird das nichts.", dachte ich innerlich und sah zu Lina hinunter, in der Hoffnung sie würde aufstehen. Doch sie starrte nur hinauf mit ihren großen, grünen Augen und bewegte sich nicht. Der Schock stand ihr dabei ins Gesicht geschrieben.
"Renn doch!" schrie ich hinunter und stach ein drittes Mal zu, wobei ich meine freie Hand in die bereits offene Wunde bohrte, um mich festzuhalten.
Dann hörte ich ein Zischen hinter mir. Ein Fremder flog durch die Luft - zwei Schwerte in den Händen, bereit um zu töten. Sein Blick war eisig auf mich gerichtet und ich folgte seinen Augen mit meinen. Es war als würde die Zeit stehen bleiben. Sein schwarzes Haar wehte im Wind, umspielte seine Augen und unterbrach immer wieder unsere treffenden Blicke. Als der Fremde im Flug näherkam, holte er aus und zeichnete mit seinen Schwertern zwei Linien am Nacken des Monsters entlang. Es knackte laut und der Titan brach zusammen. Immer noch geschockt, hielt ich mich weiter fest und sah nun dem Fallen entgegen. Doch dann erkannte ich diese Chance und sprang im letzten Moment ab, um auf meinen Füßen im Gras zu landen. Prüfend blickte ich zu Lina und sie sah zu mir. Wir waren gerettet.
Einige Reiter kamen auf uns zu. Der Mann, welcher den Titan erlegt hatte, steckte seine Schwerter zurück und rief sein Pferd. Dann trat er vor.
"Eure Freundin hat euch soeben das Leben gerettet." sagte er zu Lina, die nun aufstand und zu mir humpelte. Ich schaute zu dem Fremden. Er war ziemlich klein, ein paar Zentimeter kleiner als ich, und recht schmal gebaut. Wie ein typischer Krieger sah er nun wirklich nicht aus, aber effektiv war er gewesen - das musste ich ihm lassen. Ich sah zu dem Trupp, der nun vor uns stehen blieb.
"Gute Arbeit, Levi." meinte ein blonder, recht stattlicher Typ. Der Anführer - definitiv.
"Wer seid ihr und was macht ihr hier?" fragte er nun uns. Die Fremden musterten uns.
"Ich habe Informationen für euch, falls ihr uns in Sicherheit bringt." sagte ich und ignorierte die gestellte Frage.
"-dN- ! Was sagst du denn da?" unterbrach mich Lina.
"Das ist unsere einzige Chance, Lina. Überlass mir das reden!" Ich sah sie erbost an. Sie wusste, dass ich keine Widerrede dulden würde.
"Was denkt ihr, wer ihr seid, dass ihr scheiß Vorderrungen stellen könnt?" wandte sich nun der Mann, der anscheint Levi hieß, an mich.
"Es sind Informationen über die Titanen. Ich weiß nicht, ob ihr euch diese entgehen lassen könnt." Ich grinste ihn selbstsicher an. Das Einzige, was nun zählte, war ihre Neugierde zu wecken und uns so erstmal eine gute Verhandlungsposition zu sichern. Dies schien bei dem Schwarzhaarigen nicht zu funktionieren, jedoch war er auch nicht mein wirkliches Ziel. Der Anführer des Trupps stieg nun vom Pferd.
"Levi, halte dich zurück! Wenn ich mich erstmal vorstellen darf: Ich bin Erwin Smith, Kommandant des Aufklärungstrupps. Wenn ihr über ein derartiges Wissen verfügt, könnte ich durchaus interessiert sein."
Die nächsten paar Minuten sprach der Kommandant mit einigen seiner Leute im sicheren Abstand zu uns. Darunter auch der unfreundliche Typ, der anscheint nicht sehr begeistert von der ganzen Aktion war. Lina flüsterte zu mir:
"Du willst denen doch wohl nicht alles sagen?"
"Das meiste schon, ja."
"Das ist Hochverrat!"
"Ja und? Wir sind als Spione nicht mehr einsetzbar. Glaub nicht, dass unsere liebe Regierung auch nur einen Finger krümmt, um uns zu retten. Wenn wir überleben wollen, dann mit allen Mitteln, die uns hier zur Verfügung stehen."
Lina sah mich unzufrieden an. Sie war seit Beginn unserer Ausbildung ein Herz und eine Seele mit unserem Staat gewesen. Ja, quasi mit ihm verheiratet. Ich hingegen agierte immer schon lieber unabhängig. Loyal und dennoch kritisch, so würde ich meine Einstellung beschreiben. Lina schüttelte den Kopf.
"Vergesse nicht, was das für Kreaturen sind! zischte sie. Ich rollte mit den Augen und schwieg. Diese Diskussion konnten wir nicht führen - zumindest nicht hier und jetzt.
"Es wird gleich ein Wagen hier sein. Ihr werdet mit diesem in unser Quartier gebracht werden." wandte sich Smith an uns und fügte hinzu: "Eure Namen wären noch hilfreich."
"Lina Dornfeld" rief Lina heraus und verbeugte sich.
"Ich bin -dN- -dNN-."
Kommandant Smith nickte zufrieden. Zwei Pferde zogen den angekündigten Wagen, ich hätte ihn eher als Karren bezeichnet, und wurden vom Kutscher direkt vor uns angehalten. Wir setzten uns hinten auf die Ladefläche.
"Immerhin haben sie das Rad schon erfunden." dachte ich innerlich und seufzte.
"Levi, hab du vor allem ein Auge auf die Gefährliche!" befahl Smith und ritt los. Auch der Wagen setzte sich in Bewegung und wurde dabei von fünf Reitern begleitet - darunter eine junge Frau und drei Männer sowie der genannte Levi, der seinen Blick kaum von mir abwandte.
"Ich werde schon nicht aufspringen und angreifen." rief ich zu ihm hinüber, um die unangenehme Situation zu lösen.
"Hast du das zu dem Titan auch gesagt?" fragte er zurück und sah noch erzürnter herüber. Einer der Männer lachte, die Frau wandte sich genervt an ihn:
"Hör auf, Auruo. Das ist nicht lustig."
Ich seufzte ein weiteres Mal und fasste mir an die Stirn.
„Ob ich mein Vorgehen jemals bereuen werde?“ dachte ich mir und sah zu Lina, die sich wahrscheinlich das Gleiche fragte.
Die Fahrt verlief mehr als unangenehm. Jeder Stein und jedes Loch im Boden brachten den Karren zum Wackeln. Mein Hintern brannte bereits nach wenigen Minuten, sodass ich nur noch daran denken konnte, endlich anzukommen. Unsicher senkte meinen Blick, um meine Überwachung zu ignorieren. Besonders der Blick des einen Typen war mehr als unangenehm. Ich fummelte am Nagel meiner Hand.
"Wo kommt ihr her?" fragte nun die junge Frau, welch direkt hinter uns herritt.
"Petra, kein Gespräch zu den Fremden. Sie sind nicht unsere Gäste." schritt Levi ein. Petra nickte und stimmte mit einem "Jawohl, Hauptgefreiter Levi." zu. Der Trupp bewegte sich auf eine Mauer zu, welche dem Wall, den wir durchschritten hatten, ähnelte. Ich sah hinauf. Die Größe erstaunte mich noch immer. Auch Lina schien beeindruckt.
"Wie haben die das bloß errichtet?" Unwissend zuckte ich mit den Schultern. Es musste ein Projekt von mehreren Jahrzehnten gewesen sein, doch wie genau sie mit diesen technologischen Voraussetzungen so hohe Gebäude errichten konnten, konnte ich kaum erahnen.
Das Tor, an dem wir nun stehen blieben, öffnete sich langsam. Jubelnde Menschen begrüßten uns. Sie liefen zu Smith oder anderen Soldaten und brachten Blumen oder andere kleine Geschenke. Einige von ihnen stellten Fragen, um sich nach dem Erfolg des Einsatzes zu erkundigen, doch die Soldaten schwiegen. Sie wollten uns wohlmöglich geheim halten. Eine Entscheidung, der ich nur zustimmen konnte.
Nachdem wir die Menschenmenge hinter uns gelassen hatten, blieben wir vor einer Art großer Kaserne stehen, welche leicht prunkvoll wirkte.
"Aussteigen!" befahl uns der Gefreite und wandte sich danach an Petra: "Petra, bring die schwarzhaarige Frau in den Kerker!"
Die junge Frau salutierte, indem sie ihre Faust auf die Brust schlug und nahm sich Lina an. Ich hingegen wurde von Levi und einem seiner Soldaten begleitet. Eilig schritten wir einen großen Flur entlang und landeten in einer Art Büro oder Besprechungsraum. Ich stellte mich in eine Ecke nahe der Tür. Erwin Smith trat ein.
"Gut, nun können wir sprechen." sagte er und setzte sich an den Tisch, welcher in der Mitte des Raumes positioniert war. Er nickte dem fremden Soldaten zu, sodass dieser den Raum verlies. Der Gefreite lehnte sich an ein Bücherregal und verschränkte seine Arme. Er sah mich immer noch skeptisch an. "Beginnt!" befahl Smith nun. Er schien zu spüren, dass ich unsicher war. Diese beiden Männer hatten einen enormen Präsenz, die selbst mich als Spionin fast erdrückte.
"Wo soll ich anfangen?" fragte ich leise, doch dann versuchte ich einfach meine Gedanken in Worte zu fassen: "Den Ort – also diese Insel, auf der ihr lebt, nennen wir Paradies. Es ist die Region, von der ihr, das Volk Ümirs, stammt. Sie liegt vor einem Kontinent, auf dem weitere Länder liegen. Von einem dieser Länder stammen Lina und ich. Euer Volk ist nicht nur auf dieser Insel zuhause, sondern lebt auch in einem anderen Land - unterdrückt und ausgebeutet. Aus diesem Land werden die Titanen zu euch auf die Insel gebracht."
Smith unterbrach mich: "Sie bringen sie über das Wasser zu uns? Erstaunlich!" Seine Augen glänzten. Er schien begeistert.
"Erwin, warum schaust du so?" fragte der Gefreite seinen Kommandanten. Die Augen des Schwarzhaarigen waren plötzlich geweitet. In ihnen erkannte ich Angst, etwas, was er zuvor im Kampf gegen den Titanen nicht gezeigt hatte. Ich schluckte schwerfällig. Doch der Kommandant antwortete nicht und nickte mir zu.
Ich fuhr fort: "Sie bringen die Titanen nicht als Titanen über das Wasser. Die Titanen sind Wesen, welche durch eine Spritze oder andere Herangehensweisen zu Monstern verwandelt werden. Eigentlich sind dies Menschen wie ihr, Menschen des Volkes Ümir."
"Ich hüpfe also ständig rum und schlitze dabei andere Menschen in Titanengestalt auf?" fragte Levi nun. Er sah mich geschockt an. Im Gegensatz zu Smith schien er immer weniger begeistert von der gesamten Situation zu sein. "Das kann nicht sein."
"Levi, lass sie ausreden!" unterbrach Smith ihn.
Ich ging nun auf den Tisch zu, legte meine Hand mit gespreizten Fingern auf diesen und setzte mich halb auf ihn. "So könnt ihr das nicht sehen. Wenn ein Mensch erstmal zum Titanen verwandelt wurde, kann man ihn nicht einfach zurückverwandeln. Es gibt dann nur eine Möglichkeit und zwar muss er ein Titanenwandler werden und davon gibt es nur sehr wenige. Außerdem muss ein anderer Titanenwandler getötet werden, um einen Neuen entstehen zu lassen. Ihr könntet also niemals alle retten."
Der Gefreite sah skeptisch zu seinem Kommandanten. Ihre Blicke wirkten, als würden sie sich austauschen.
"Ich denke, diese Informationen reichen zunächst." sagte Erwin Smith und stand auf. "Levi, bring sie in den Kerker, in welchem auch ihre Freundin ist! Wir werden morgen weiterreden." Levi nickte, schritt zu Tür und öffnete diese. Ich folgte ihm stumm in den Flur hinaus. Wir bogen links ab. Die untergehende Sonne schien nun direkt in die großen Fenster hinein und blendete mich. Sie war warm, fast schon heiß. Ich schloss die Augen und hielt kurz inne. Wir hatten es geschafft - wir waren in Sicherheit.
"Eingeschlafen?" zischte es neben mir. Ich zuckte zusammen. Für einen Moment hatte ich ihn vollkommen vergessen.
"Nein, nur erschöpft." antwortete ich und sah ihn an. Levi lehnte an der Wand. Seine Arme verschränkt. Die Sonne beschien die linke Seite seines Gesichtes und offenbarte mir seine dunklen Augenringe.
"Glaube nicht, dass wir euch alles abkaufen, was ihr erzählt." Er ging weiter. Ich folgte.
"Das erwarte ich auch nicht." antwortete ich ihm.
"Und was wollt ihr dann hier?" Levi blieb stehen und drehte sich zu mir um. Ich zuckte zurück, um zu verhindern, in ihn hineinzulaufen. Er sah mir in die Augen, versuchte aus ihnen heraus etwas zu erkennen. Ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. Nervös drehte ich mich weg.
"Wir waren selbst Gefangene. Das Einzige, was wir wollen, ist leben." gab ich zu. Es war mir fast unangenehm. Was würde ein Soldat, der täglich Titanen bekämpfte, von so einem egoistischen Denken halten? Aber was sollte ich sonst sagen? Es entsprach der Wahrheit.
"Schisser." sagte er spöttisch und ging weiter. Es war ein Stich in meinem Bauch, der mir offenbarte, dass mich dieses Wort nicht kalt ließ. Unsicher senkte ich meinen Kopf und antwortete nicht mehr.
Im Kerker angekommen, öffnete mir ein Soldat die Tür zu Linas und meiner Zelle. Sie war mit zwei Betten sowie einem Tisch mit Stühlen eingerichtet. Auch ein Waschbecken und eine Toilette, welche sich hinter einer Art Holzwand befand, waren vorhanden. Lina lag bereits auf ihrem Bett und setzte sich bei meiner Ankunft auf.
"Und? Was hast du ihnen gesagt?" fragte sie.
"Kein Wort zu irgendwem!" befahl Levi plötzlich, "die Informationen, die du uns gegeben hast, dürfen an niemanden weitergegeben werden. Ich dulde keine Ausnahme." Ich ging an das Gitter, auf dessen andere Seite er stand und sah ihn direkt an.
"Sie weiß das doch alles schon." widersprach ich und bereute es im gleichen Moment. Es ging ihm um die anderen Personen hier im Kerker. Ich fasste mir an den Kopf. "Okay, ich habe es verstanden." korrigierte ich mich.
"Du bist ja doch nicht so blöd." Levi nickte und ging.
Es dauerte vielleicht ein oder zwei Stunden bis einer der Männer, die neben uns her geritten war, vor unserer Zelle auftauchte.
„Was für eine Verschwendung, sich solche Mühe um euch zu machen.“ spottete er und setzte sich auf einen Holzstuhl direkt an die Gitterstäbe. Ich blickte diesen Fremden verwirrt an, doch er schien kein Interesse daran zu haben, sich zu erklären. Also ignorierten wir ihn und besprachen in der Nacht flüsternd unser Vorgehen. Lina und ich hockten uns dabei zusammen und diskutierten. Wie ich vermutet hatte, war meine Freundin außer sich vor Wut, als ich ihr meine Absichten erklärte. Sie nannte mich eine Verräterin und brach unser Gespräch ab, nur um nach einer Weile von der Neugierde gepackt zu werden und dann nach den Reaktionen des Gespräches mit Smith zu fragen:
"Keine Ahnung. Smith schien interessiert, fast begeistert. Der Gefreite eher skeptisch........"
"Sie sind komisch, -dN-. Wir können ihnen nicht vertrauen." warf Lina ein.
"Das tue ich auch nicht ganz, Lina. Aber schlag doch einfach einen besseren Plan vor, wenn du alles so gut weißt!" forderte ich meine Freundin heraus. Ich war ihre Kritik satt.
"Wenn sich die Möglichkeit ergibt, sollten wir fliehen." schlug sie nun vor.
Ich schüttelte den Kopf.
"Als ob wir das mal so eben schaffen könnten." Ich legte mich in mein Bett und drehte mich zur Wand. "Schlaf gut." gab ich noch von mir und schloss meine Augen. Doch dann hörte ich ein lautes Klirren und schrak auf.
„Hier wird nicht geschlafen!“ meinte der Typ, der am Gitter saß und lächelte. Ich blickte zu meiner Freundin. Das war es also, weswegen dieser Mann hier war. Sie wollten uns unter Schlafentzug setzen, um Druck aufzubauen.
„Verdammt!“ schimpfte ich und sprang aus meinem Bett. Ich begann mit dem Soldaten eine Diskussion, die im nichts endete und beobachtete einen Schichtwechsel nach dem Anderen sichtlich genervt. Jede paar Stunden saß eine neue Person vor uns und kontrollierte unser Verhalten. Immer wieder ließen sie uns aufschrecken und verhinderten damit unser Einschlafen, bis ich und Lina übermüdet auf den Stühlen in unserer Zelle saßen und vor uns hinstarrten.
„Wie lange sitzen wir hier schon?“ fragte mich Lina. Ihre Wut war durch die Müdigkeit wie weggeblasen. Ich seufzte.
„Bestimmt schon mehr als zwanzig Stunden…“
„Gut, wir beginnen mit den Befragungen!“ Ich sah zu der Gittertür und erblickte den Hauptgefreiten.
„Na, ausgeschlafen?“ spottete ich und verdrehte meine Augen. Er ignorierte meine Aussage.
„Dornfeld, herkommen!“ wandte er sich an Lina. Fast schon wie in Trance stand sie auf und folgte ihm. Ich hoffte darauf, dass sie das sagen würde, was wir besprochen hatten. Das sie sich nicht wehren und damit unseren Plan gefährden würde. Das sie Einsicht zeigen würde, doch ich sollte es an diesem Tag nicht erfahren. Lina kam nicht zurück.
Es vergingen zwei oder drei Tage, in denen man mich nicht schlafen ließ und zudem immer wieder Befragungen durchführte. Sie stellten alles, was ich ihnen erzählt hatte, in Frage und ließen mich immer wieder das Gleiche vorbeten. Genervt starrte ich meist nur noch auf den Boden und versuchte in jeder Sekunde, die sie mich in Ruhe ließen, zu schlafen, was sie zu unterbrechen wussten. Ihre Foltermethode begann zu wirken.
„Ich kann nicht mehr…“ beschwerte ich mich, als ich ein weiteres Mal vor dem Kommandanten und seinem Gefreiten saß.
„Dann hör auf, diesen Scheiß zu erzählen!“ warf Levi ein. Er stand wie immer an dem Bücherregal gelehnt und beobachtete von dort aus das Gespräch, welches meist zwischen mir und Smith verlief.
„Verdammt… Es ist die Wahrheit. Was habe ich denn davon, euch sonst so einen Mist zu erzählen? Was denn bloß?“ Meine Augen wurden feucht. Da war er also: Der Moment meines Einknickens. Ich begann meine Kontrolle zu verlieren. Ein typisches Zeichen bei Übermüdung – das wusste ich – doch mein Wissen konnte mich nicht vor dem Versagen meines Hirnes schützen. Ich weinte.
„Das hat ja recht lange gedauert, bis die ersten Zeichen eurer Schwäche aufkommen… Wollte ihr vielleicht doch eure Aussage korrigieren?“ warf nun Smith ein.
Ich schüttelte den Kopf und wischte meine Tränen mit meinem Ärmel weg.
„Nein, es ist die Wahrheit…“ erklärte ich und fügte dann hinzu: „Oder was wollt ihr hören? Soll ich euch erzählen, dass es alles erfunden sei, nur um endlich schlafen zu können?“
„Vielleicht.“ Der Kommandant lehnte sich etwas vor und blickte mit seinen scharfen Augen in meine. Sein Blick – er war kalt, fast stechend. „Was wenn wir euch sagen, dass eure Freundin bereits alles gestanden hat? Das ihr aus der Unterwelt stammt und keine Papiere habt.“
„Welche Unterwelt?“ Ich blickte verwirrt auf. Smith lachte.
„Levi, ich denke, wir können das Ganze beenden. Bring sie in ihre Zelle und lass sie schlafen!“ Der Gefreite nickte und kam auf mich zu. Ich sah unsicher zu ihm auf.
„Was?“
„Ihr seid ja bereits total verblödet….“ beschwerte er sich und zog mich an meinem Arm hoch. Genervt entriss ich mich ihm.
„Lasst mich!“ schimpfte ich und wankte unsicher zur Tür. Ich hörte ein Seufzen.
„Erwin, bist du dir sicher, dass es reicht?“
„Wir besprechen das später, Levi!“
„In Ordnung.“ Der Schwarzhaarige öffnete die Tür und schob mich hindurch. Ohne ein weiteres Wort mit mir zu wechseln, brachte er mich in meine Zelle und schloss hinter mir ab. Erleichtert ließ ich mich auf das Bett fallen und drehte mich zur Wand. Noch nie hatte mich eine harte Pritsche so glücklich gemacht wie in diesem Moment. Ein Schauer durchlief meinen Körper. Es war wie ein vollkommenes Zusammensacken, so als würde mich der Schlaf erdrücken wollen, obwohl er mich nur einfing und mir endlich die Erholung gab, die ich mir so ersehnt hatte.
Ich wachte durch Vogelgezwitscher auf und blickte zu dem kleinen, vergitterten Fenster, welches dem Sonnenlicht Einkehr in die dunkele Zelle bot. Wie lange hatte ich wohl geschlafen? Und wie lange war es überhaupt her, seitdem wir hier waren? Mein Zeitgefühl war in den letzten Tagen verloren gegangen, doch das alles hatte sich für mich wie eine Ewigkeit angefüllt.
„Die holen uns bald ab." hörte ich plötzlich Lina sagen. Sie stand neben meiner Liege und sah zu mir hinab.
„Du bist zurück!“ Die Schwarzhaarige nickte.
„Sie hatten mich in einem Zimmer eingesperrt und dort überwacht. Vor zwei Tagen war ich nur noch ein Frack… Da haben sie aufgehört und mich schlafen lassen.“
„Hast du ihnen etwas vorgelogen?“ Lina schüttelte den Kopf.
„Nein, ich habe am Ende nur noch gefleht….“ Sie räusperte sich und wurde rot. „Am Ende hätte ich echt alles gemacht, um schlafen zu dürfen. Wärst du nicht dagewesen, hätte ich ihnen auch ihr Märchen erzählt. Aber ich wusste, dass du nicht einknicken würdest.“ Sie seufzte.
"Na, toll" Ich stand auf, roch an meinem Shirt und resignierte. Frische Wäsche wäre jetzt wirklich angebracht. „Was machen wir j….“
"Guten Morgen ihr Zwei!" unterbrach mich plötzlich jemand an der Kerkertür. Eine Frau mit Brille und braunem Haar, welches sie hochgesteckt trug, grinste uns an. Sie strahlte förmlich vor Begeisterung. "Oh, ich kann es gar nicht abwarten, euch auszufragen." murmelte sie, als sie den passenden Schlüssel für unsere Tür suchte. Ich zupfte widerwillig mein Shirt zurecht und richtete meine Frisur. Die Tür öffnete sich. Ohne zu zögern, sprang sie herein und schnappte nach uns, um uns daraufhin die Treppe hinaufzuziehen. Ich blickte die Fremde erschrocken an. Was war das denn für eine?
"Wo bringt ihr uns hin?" fragte Lina zürnend. Diese Überrumpelung gefiel ihr gar nicht. Die Frau antwortete nicht und blieb erst vor dem Büro von Smith stehen. Mit einem Tritt öffnete sie die Tür. Der Kommandant und sein Gefreiter standen dort und diskutierten.
"Bist du dir sicher, dass es das Richtige ist? Erwin?" fragte Levi. Er schien Smith mit seiner Frage zu kritisieren. Der aber reagierte kaum darauf.
"Es ist die beste Möglichkeit von Ihnen zu profitieren." Die Fremde zog uns bereits in den Raum. "Da sind sie." sagte sie und ließ nun endlich von uns ab.
Sie stellte sich zu den anderen Beiden und sagte dann: "Ich bin Hanji und führe den zweiten Sondertrupp an." Sie salutierte, indem sie ihre Faust auf ihre Brust schlug. Es schien die übliche Salutierform zu ein. Lina und ich schwiegen und schauten die Drei skeptisch an.
Kommandant Smith schien dies zu bemerken und ergriff das Wort:
"Ihr werdet unserem Aufklärungstrupp beitreten. Dabei wird eine von euch zu Levis Trupp stoßen, die Andere von euch Hanjis Trupp unterstützen."
"Was?" unterbrach Lina der Kommandant "wir sind keine von euch. Warum sollten wir euch helfen?" Hanjis Gesicht trübte sich.
"Deine Freundin sieht das vielleicht anders." äußerte sich Levi und sah zu mir. Ich senkte meinen Kopf.
"Ich wäre dazu bereit, ja." gab ich zu.
"-dN-, was denkst du dir dabei? Wir sind Gefangene und sollen jetzt für diese Monster kämpfen?" Lina packte mich an meinem Arm. Sie sah mich mit ihren großen grünen Augen flehend an, als solle ich ihr eine Lösung für all unsere Probleme auf dem Servicetablett präsentieren.
"Was haben wir denn sonst für eine Wahl, Lina? Wir können uns ihnen im Kampf gegen Monster anschließen oder ewig in dieser Zelle hocken." meinte ich und hob meinen Blick "Wir nehmen euer Angebot an, wenn uns eine faire Versorgung zugesichert wird." stimmte ich Smith zu. Er nickte.
"Ihr werdet wie jeder andere Soldat behandelt. Ein Bett, Nahrung und Lohn sollen euch zustehen. Hanji, Lina wird deinen Trupp verstärken. Die Gefährliche schließt sich dir an, Levi. Denk an meine Worte." Die Beiden nickten. Ich sah zu dem Gefreiten und er sah mit seinem kalten Blick zu mir. Warum musste ich ausgerechnet zu ihm? Hanji schien mir viel freundlicher, wenn auch ein wenig verrückt zu sein. Während mein Truppenleiter immer noch skeptisch dreinschaute, wurde Lina bereits von der fröhlichen Frau gepackt, welche "Ich habe tausend Fragen an dich." rief und mit ihr bereits um die Ecke verschwand. Ich sah den Zwei zweifelnd hinter.