Als ich aufstand, war Petra bereits nicht mehr in ihrem Bett. Ich hörte Stimmen, die von unten zu kommen schienen. In Windeseile zog ich mich an und stolperte die Treppe hinunter.
"Du hast es also auch mal geschafft, aufzustehen." meinte Levi, der gemeinsam mit dem gesamten Trupp im Raum stand. Alle hatten Besen oder Lappen in den Händen. Einige von ihnen trugen Schürzen oder Tücher am Kopf. Ich sah mich im Raum um. Er war immer noch so sauber, wie ich ihn in den letzten Tagen empfunden hatte.
"Ernsthaft?" fragte ich eher scherzend. Ein nervöses Murmeln ging nun von meinen Kameraden aus. Irgendwas stimmte hier nicht.
Levi zog die Augenbraunen zusammen und kam auf mich zu. Mir tief in die Augen schauend, sagte er:
"Ich hätte dich wohl eher gestern fragen sollen, ob das dein scheiß Ernst war." Mir wurde heiß. Hatte er das grade wirklich gesagt? Er drückte mir den Besen entgegen. "Ich bin in einer Stunde zurück. Bis dahin seid ihr fertig." wandte er sich nun an alle und verließ das Haus. Zwei Männer kamen, während Petra und Eld bereits putzten, auf mich zu.
"Wir müssen uns noch vorstellen. Ich bin Gunther Schultz und dies ist Auruo Bossard. Wie du sicherlich schon gemerkt hast, gehören wir ebenfalls zur Spezialeinheit." erklärte der Braunhaarige.
"Schön euch kennenzulernen." sagte ich.
"Dein Ernst?" unterbrach mich Auruo, "es sollte dir eine Ehre sein, nachdem wir dich so lange bewacht haben."
"Auruo, hör auf den Gefreiten ständig nachzumachen. Das ist peinlich." rief Petra, die bereits ein Fenster polierte. Ich lachte laut auf und begann ebenfalls mit dem Fegen.
Wie angekündigt kehrte der Gefreite nach ca. einer Stunde zurück. Der Trupp stand an einer Wand versammelt und erwartete sein Urteil. Levi bewegte sich langsam durch den Raum und strich mit seiner Hand über den Tisch. Prüfend wischte er diese in einem Tuch ab und sah dann zu uns.
"Es ist in Ordnung. Gebt euch nächstes Mal mehr Mühe. Die Stuhlflächen sehen nicht abgewischt aus. Ihr könnt heute einige Besorgungen in der Stadt machen, um euch noch einmal vorzubereiten. Wir werden in zwei Tagen auf eine Mission gehen."
"Jawohl." rief der Trupp aus. Levi kam zu mir und winkte Petra zu uns.
"Petra du solltest -dN- die nötigen Läden zeigen, sodass sie sich einige grundlegende Sachen kaufen kann. Hier ist das Geld dafür." Levi gab mir ein Säckchen mit Münzen. "Es ist dein Lohn." fügte er noch hinzu und ging dann die Treppe hinauf. Ich sah ihm nach, doch Petra riss mich aus meinen Gedanken.
"Lass uns gehen." meinte sie. Zustimmend grinste ich - ein kleiner Einkauf würde mich sicherlich auf andere Gedanken bringen.
Einige Zeit später schritten Petra und ich über den Marktplatz. Die Stände waren gefüllt mit Obst und Gemüse, einige boten Brot und Fleisch.
"Ich zeige dir eine tolle Schneiderin." meinte die junge Frau während ich ihr folgte. Wir gingen in eine Seitengasse, in welcher kleine Lädchen ansässig waren.
"Perta, warte! Ich möchte hier rein." Ich zeigte auf eine Seiferie, welche auch Cremes und eine Art Parfum anboten. Petra stimmte zu und betrat mit mir den Laden. Ein blumiger Duft kam uns entgegen. Er erinnerte mich an den Frühling - Tage, an denen ich gemeinsam mit Lina im Gras lag und lachte. "Ein angenehmer Duft." ,sagte ich leise und schaute mir einige Seifen an.
"-dN- , wie wäre es mit Lavendel?" Petra hielt mir ein lila Stück Seife entgegen. Ich nahm es und roch daran.
"Mmmmh. Herrlich." stimmte ich zu und behielt es in der Hand. An einem Regal mit kleinen Fläschchen angekommen, kam eine alte Dame zu mir.
"Suchen sie nach etwas bestimmten, junge Dame?" Ich überlegte kurz und nahm eines der Gläschen an mich.
"Haben sie etwas mit Lavendel, nicht zu schwer vom Geruch her, sondern eher leicht, sommerlich, vielleicht etwas süß?" Sie lächelte.
"So eine spezielle Vorstellung, mein Kind. Für wen ist es?"
"Für mich." entgegnete ich ihr.
"Nun, so meinte ich das nicht...." sagte sie und hielt mir ein Fläschchen hin. "Lavendel und Nachtkerze, mit einem Hauch Vanille. Süß und unschuldig wie eine sommerliche, beginnende Nacht. Es wird ganz sicherlich wunderbar mit eurem Duft harmonieren."
"Oh, vielen Dank. Dann nehme ich es. Was darf ich euch dafür geben?" fragte ich und begann unsicher in meinem Geldsäckchen zu wühlen.
"Nein, nein. Ich schenke euch das Fläschchen. Probiert es aus, ob es ihm gefällt. Für die Seife bekomme ich einen Silberling." Ich gab der freundlichen Frau den Silberling und verbeugte mich zum Dank. Leicht unsicher verlies ich das Geschäft.
"Wundervoll." dachte ich mir, "selbst eine Fremde merkt es mir an....." Ich steckte das Fläschchen und die Seife nervös weg und seufzte. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. Ich blickte verlegen auf den Boden und fühlte in mich hinein. Wahrscheinlich war es schon länger dort, doch die Aussage der alten Dame hatte mich es erst bemerken lassen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich anscheint auf Anhieb in den Gefreiten verguckt hatte - so etwas war mir noch nie passiert.
"Los weiter!" sagte nun Petra und schliff mich in einen Laden, welcher speziell Kleidung für Frauen anbot. Die Auswahl war riesig, wenn auch nicht unbedingt meinem Geschmack entsprechend.
"Schau dir den Rock an." rief Petra aus. Er war beige und mit kleinen Stickereien besetzt. Ich lächelte. Ihre Begeisterung war ansteckend und hob meine Laune. Ich probierte einige Reiterhosen an - normale Frauenhosen waren in dieser Gesellschaft mit Ausnahme des Militärs wohl noch nicht angekommen. Zudem zeigte mir die Schneiderin einige Blusen, welche wirklich einen Blick Wert gewesen waren. Mit einer vollen Tasche, welche auch einiges an Unterwäsche enthielt, verließ ich den Laden. Mein Geldbeutelchen war leer.
Erschöpft kehrten Petra und ich zurück in unser Quartier. Auch sie hatte sich einige Dinge gekauft, und war sichtlich erfreut, wenn auch müde. In unserem Zimmer packten wir unsere Schätze aus, als es an der Tür klopfte. Levi kam herein. Er trug einen Anzug und schien sichtlich genervt.
"-dN-, Erwin will dich sprechen!" Ich nickte, ließ meine Tasche auf meinem Bett zurück und folgte ihm hinaus und hinüber zur Kaserne. "Deine Freundin leugnet plötzlich alles." sagte Levi als wir außer Hörweite der Anderer waren. "Jetzt bestreitet sie, dass ihr aus einem anderen Land kommt und nennt dich verrückt. Das ist ein Problem." Wir blieben stehen. Warum tat Lina das? Verließ sie sich nun doch auf eine Rettung?
"Also glaubt ihr mir nicht?" Ich sah den Gefreiten zweifelnd an.
"Doch das tue ich, auch wenn ich den Scheiß nicht wahrhaben will." Er griff sich an den Kopf. "Aber der Umgang mit euch Beiden stellt sich als schwierig heraus." ergänzte er und ging mit mir weiter. Im Büro Erwins angekommen, entdeckte ich Lina gemeinsam mit Hanji und Erwin an einem Tisch sitzend. Sie trug wie ich die Uniform des Aufklärungstrupps und sah mich gelangweilt an. Ich seufzte und setzte mich ebenfalls dazu. Levi hingegen lehnte sich an die Wand hinter mir.
"Nun, nachdem Lina uns ihre Version erzählt hat, stellt sich mir die Frage, was du, -dNN- , dazu sagst und ob du noch weitere Informationen mit uns teilen möchtest." ergriff Erwin das Wort, "Levi wird dich über die Situation, in der du dich befindest aufgeklärt haben, oder?" Ich nickte zustimmend.
"Was soll ich dazu sagen?" warf ich ein, "Ich habe euch vieles erzählt, was ich weiß. Ich kann euch zudem mehr über die Titanenwandler erklären. Dies sind Informationen, die ich während meiner Mission in Marley gesammelt habe. Ob ihr mir glaubt, kann ich nicht beeinflussen. Immerhin bin ich eine Verräterin. Ich betrüge mein eigenes Land. Aber ich bin nun hier und kooperiere, weil ich es für das Richtige halte."
"Das, was du sagst, ist verrückt!" rief Lina aus. Sie wirkte ruhig und mit ihrer Entscheidung im Reinen. Was hatte sie auf einmal vor?
"Wir haben nicht nach eurer Einschätzung gefragt." meinte Levi nun.
"Aber es ist die Wahrheit. Wir haben das alles nur gesagt, um an eine militärische Position zu kommen."
"Dann erzählt uns die volle Wahrheit! Wo stammt ihr genau her? Wer hat euch in den Aufklärungstrupp geschickt? Eure bisherigen Erzählungen waren nachvollziehbarer als das, was ihr nun von euch gebt." argumentierte Erwin gegen meine Freundin, doch sie schwieg. Sie spielte also die typische Verunsicherungsmasche. Nicht sehr effektiv, aber zum Gewinnen von Zeit war sie durchaus geeignet. Es herrschte ein bedrückendes Schweigen. Hanji reckte sich und sprang auf.
"Gut, dann kannst du bereits zurück in unser Quartier gehen!" befahl sie freundlich. Lina folgte der Anweisung sichtlich unerfreut und verließ das Büro.
"Was für eine Göre." meinte Levi während er sich setzte.
"Du musst uns alles erzählen!" schrie Hanji nun förmlich. Zumindest sie schien mir vollkommen zu glauben.
"Beruhig dich, Vierauge!" ermahnte sie der Gefreite. Ich schmunzelte. Die Beiden wirkten sehr vertraut und auch Smith schien sie sehr gut zu kennen.
"Wie ein eingespieltes Team." dachte ich mir und musste an Lina denken. Waren wir das überhaupt noch? Freunde? Ich seufzte, verdrängte den Gedanken und ergriff das Wort:
"Es gibt insgesamt acht Titanenwandler. Jeder dieser Titanen hat dabei eine besondere Stärke oder Aufgabe, sodass sie sich untereinander ergänzen. Den Aufzeichnungen zu urteilen hatte Marley Sechs davon in ihrer Gewalt. Davon sind jedoch Vier auf eine Mission zu euch geschickt worden und haben bisher keine Ergebnisse gebracht."
"Das ist unglaublich. Wo sind sie?" fragte Hanji. Ich zuckte mit den Schultern.
"Das weiß ich nicht. Es sind normale Menschen, die sich verwandeln können. Sie können weiterhin als Titanen klar denken und koordiniert handeln und sich eben auch zurück verwandeln und ein normales Leben führen."
"Scheiße." flüsterte Levi.
"Wie würdest du vorgehen, -dNN-?" fragte Smith nun. Ich war keine Strategin und die jetzige Situation schien unberechenbar.
"Das kann ich nicht beantworten. Ich kenne nur wenige ihrer Fähigkeiten. Die Datenlage war selbst in Marley nicht sonderlich zufriedenstellend. Es tut mir leid. Viel mehr kann ich euch nicht sagen....." Ich sah auf die Tischplatte.
"Dann werden wir erstmal unsere Pläne weiterführen. Levi und Hanji, wir brechen übermorgen zu der geplanten Mission auf. -dNN-, wann immer dir etwas einfällt, will ich es wissen! Jede Information kann uns wohlmöglich weiterhelfen."
"Jawohl." rief ich und stand auf. "Ich würde jetzt gern gehen." Levi nickte nur zustimmend und ich verließ den Raum.
Ich schritt über den Hof in den Stall und legte meine Ausrüstung an. Die Sonne schien wohl bald schon unterzugehen, doch wollte ich noch unbedingt trainieren, wobei auch das Austesten der neuen Gurteinstellungen auf meiner Agenda stand. Geschwind ritt ich zum Trainingsplatz vor der Mauer. Ein Schuss, ein Sprung und ich flog in die Luft. Das Gefühl überwältigte mich auch jetzt noch. Es war unglaublich. Ich testete einige Bewegungen aus, drehte mich in der Luft und merkte, dass ich meine körperliche Mitte nun viel leichter stabil halten konnte. Fast zaghaft landete ich auf dem Boden und grinste in mich hinein.
"Also hatte er recht." flüsterte ich mir selbst zu
"-dN-! Da bist du jaaaa!" Hanji galoppierte auf den Platz hinauf und blieb erst kurz vor mir stehen. "Schön, dass ich dich gefunden habe." Sie sprang vom Pferd ab und griff mich am Arm. "Was ist denn?" fragte ich unsicher. Die Braunhaarige strahlte freudig vor sich hin und sagte: "Möchtest du das Kämpfen gegen die Titanen üben?"
Als der Mond bereits den Nachthimmel eingenommen hatte, übte ich noch immer unerbittlich meine Hiebe. Hanji hatte mir zuvor die Schwachstelle der Titanen erklärt sowie andere angreifbare Punkte aufgezählt. Es ging nun um das Einüben von Sprüngen, Bewegungen und die Verfeinerung der Treffsicherheit. Ein Holztitan nach dem anderen wurde von mir angegriffen. Ein Schwert nach dem anderen stumpfgeschlagen. Mein ganzer Körper brannte bereits als Hanji mich aufforderte, für heute Schluss zu machen. Krampfhaft ging ich zu meinem Pferd.
"Das war schon nicht schlecht. Man sieht, dass du Kampferfahrung hast." meinte Hanji als wir durch die Stadt trabten.
"So viel ist das nicht. Ich werde sicherlich Probleme bei der Mission haben."
"Mach dir da keinen Kopf. Die Mission ist nicht darauf aus, so viele Titanen wie möglich zu töten. Wir wollen nur gewisse Gebiete sichern. Einen Kampf muss es gar nicht geben." beruhigte sie mich. Hanji ritt mit mir bis zu meinem Quartier. Sie winkte freudig zum Abschied und fuhr dann ihren Weg fort. Ich fragte mich, wie Lina sich bei ihr fühlte und wie sie sich dort verhielt. Versuchte sie ihren Scharm spielen zu lassen? Würde Hanji darauf reinfallen? Ich wusste darauf keine Antwort und betrat leise das Haus.
Levi saß mit einigen Unterlagen allein am Tisch. Eine Öllampe erhellte den Raum, das Licht und dessen fallender Schatten ließen seine Augenringe noch tiefer wirken.
"Du bist also zurück." sagte er und hob seinen Blick. Ich sah ihn an und erblickte neben ihm eine Tasse Tee. Sie musste der Grund für den Pfefferminzduft sein, welcher das ganze Zimmer erfüllte.
"Ich habe mit Hanji trainiert." erklärte ich und fügte schüchtern hinzu: "Das mit dem Gurt hat übrigens geholfen." Er nickte stumm und sah desinteressiert auf die Papiere. Ich kam auf ihn zu und schaute ebenfalls darauf. Die Schrift war für mich unlesbar. "Mmmh, eure Sprache ist unserer ähnlich, zudem identisch mit der, die in Marley gesprochen wird. Aber ihr schreibt ganz anders." äußerte ich. Ich zeigte mit dem Finger auf ein Wort, "Was heißt das?"
"Einheit." sagte er.
"Ist das Zeichen das ganze Wort?" Er nickte. "Unglaublich. Eure Kultur unterscheidet sich so sehr von unserer. Selbst unsere Schrift scheint Grenzen zwischen unseren Völkern zu ziehen......" Ich seufzte. Vielleicht waren all diese Unterschiede der Grund für unsere ständige Angst voreinander. Der Grund für Kriege, für Schwindel und Missgunst. Vielleicht wollte auch Lina aus diesem Grund diese Menschen hassen, statt sie zu verstehen. Ich beugte mich vor, nahm seinen Stift und schrieb es über das Zeichen: Einheit. Jeden einzelnen Buchstaben zeichnete ich säuberlich. "So schreibt man es bei uns." Ich lächelte, sah zu ihm und er blickte mich das erste Mal verwundert, mit weit geöffneten Augen an. Mein Lächeln spiegelte sich in seinen Pupillen. Das kalte Blau seiner Augen vermischte sich mit dem warmen, orangen Licht. War es meine Einbildung oder strahlte sein Blick Einsamkeit aus?
"Du solltest lieber schlafen gehen." unterbrach er nun den Moment und widmete sich wieder den Unterlagen.
"Jawohl und gute Nacht." flüsterte ich fast enttäuscht. Ich ging die Treppe hinauf. "Er blockt mich ab." erkannte ich in meinem Zimmer angekommen. "Aber warum?" Diese Frage beschäftigte mich die ganze Nacht.