Danny und Martin begaben sich also nicht einmal zwei Wochen später auf den Weg nach Nové Mesto na Morave.
Normalerweise fand der dritte Weltcup im neuen Jahr immer im italienischen Antholz statt, aber da dort dieses Jahr im Februar die Weltmeisterschaft stattfand, wurde diese Station nach Tschechien verlegt.
Nové Mesto hatte das wahrscheinlich beeindruckendste Biathlonstadion der Welt, und die Stimmung war hier immer bombastisch! Es war ein richtiger Hexenkessel, man fühlte sich fast wie in einem Fußballstadion.
Auch hier glich das ganze Wochenende einer einzigen, großen Party! Am Tag in der Arena und abends im Zelt! Diesmal hatten die Jungs ihr Banner nicht dabei, deswegen wusste Nicole auch nicht, dass sie vor Ort waren.
Für sie lief das Wochenende auch wieder ziemlich gut, sie schoss wieder ziemlich gut und sie fuhr mehrere Top-30-Platzierungen ein!
Am Samstagabend hatte sich Nicole von ihren Teamkameradinnen überreden lassen, einmal das Weltcup-Zelt zu besuchen, obwohl sie eigentlich gar keinen Grund dazu hatte, sie musste weder zu einer Siegerehrung, noch sich eine Startnummer abholen. Sie wollten einfach nur mal aus Neugier schauen, was so los ist, denn sie hatten gehört, dass die Partys in Tschechien legendär sein sollten. Sie konnten zwar nicht wirklich mitfeiern, aber wenigstens etwas Musik hören.
Auch Danny und Martin hielten sich an diesen Abend in dem Zelt auf, sie standen mit ihrem Bier in der Nähe des Eingangs und beobachteten, welche Athleten heute Abend so hier so anwesend waren. Mit Nicole rechneten sie eigentlich nicht, umso überraschter waren sie, als sie plötzlich mit ihren Teamkolleginnen hereinkam.
"Hey!", sagte Martin und zeigte auf Nicole, "Da ist sie!"
"Tatsache!", meinte Danny, "Hatte nicht gedacht, dass sie heute hier auftaucht!"
"Ich auch nicht. Aber umso besser! Los, geh hin! Quatsch sieh an!"
"Was? Wieso?"
"Naja, du bist doch der Vorsitzende vom Fanclub!", grinste Martin, "Und in dieser Funktion musst du sie begrüßen!"
"Du bist so ein Spinner!", erwiderte Danny uns stieß ihn mit der Faust gegen den Oberarm.
"Aber wenn sie schon mal da ist, gehe ich einfach mal hin!"
So lässig wie möglich ging er zu Nicole hinüber.
"Hi Nicole!", sprach er sie an.
Diese erschrak etwas.
"Hi! Äh... Hallo Danny! Was machst du denn hier? Wolltet Ihr nicht erst wieder in Oslo am Start sein?"
"Wir haben es uns anders überlegt. Nove Mesto liegt ja nicht weit entfernt von unserem Wohnort. Und da haben wir gedacht, weil wir dieses Wochenende noch nichts weiter vorhatten, kommen wir hier einfach auch noch mal vorbei!"
"Oh das ist aber toll, danke!"
Eine Weile standen beide da und wussten nicht so recht, was sie sagen sollten.
Dann fragte Danny aber:
"Wie zufrieden bist du denn mit deinen Leistungen überhaupt?"
"Eigentlich bin ich sehr zufrieden. Ich hätte nie gedacht, dass meine erste Saison so gut läuft!"
Dann unterhielten sie sich noch eine Weile weiter, aber nur über Biathlon und belanglose Sachen.
Nach einer Weile verabschiedete sich Nicole wieder:
"Also, ich müsste dann langsam wieder los! Die Mädels wollen weiter und wir haben ja morgen noch einen Wettkampf, du weißt!"
"Na klar, kein Problem! Ich wünsche euch viel Erfolg und Gute Nacht dann!"
"Ja, alles klar Danny, mach's gut. Bis dann in Oslo vielleicht!"
"Okay Nicole, Tschüss!"
Dann stutzte er und sprach sie nochmal an:
"Eine Frage noch. Ähm, ich weiß nicht wie ich's sagen soll,... aber könntest du mir eventuell… eine Telefonnummer oder irgend sowas von dir geben? Es muss ja nicht deine Privatnummer sein, aber irgendetwas, wo ich dich erreichen kann. Damit ich Bescheid geben kann, wann wir mal wieder in der Nähe sind oder so…! Wäre das möglich?"
Nicole überlegte lange.
Soll ich einem Jungen, den ich kaum kenne, wirklich meine private Telefonnummer geben? Was ist, wenn er doch so ein Stalker ist und sich nur irgendwie an mich heran machen will?
Sie konnte sich das zwar nicht vorstellen, weil er wirklich übelst nett und auch ein bisschen tollpatschig war. Aber man wusste ja nie, was diese Typen sich einfallen lassen, um an einen heranzukommen
Soll ich ihm eine andere Nummer geben? Aber welche?
Einen Manager, Berater oder so hatte sie noch nicht.
Sie überlegte eine ganze Weile, dann sagte sie:
"Also gut, ich gebe dir jetzt meine private Telefonnummer. Aber ich bitte dich, dich wirklich nur zu melden wenn es absolut wichtig ist! Denn…äh, man hört ja immer solche Sachen, du weißt schon! Also,... ich möchte nicht belästigt werden so von verrückten Fans und so!"
"Hältst du mich etwa für einen verrückten Fan?"
"Nein, eigentlich nicht, aber ich weiß doch auch nicht! Ich kenne dich doch noch gar nicht richtig und außerdem kenne ich mich einfach noch nicht so gut aus mit so etwas!
Hier, hast du meine Nummer! Und dann einen schönen Abend noch! Mach's gut Danny!"
Dann lief sie eilig davon.
Was war das denn jetzt für eine Aktion?, fragte er sich. Hält sie mich für den verrückten Fan, für einen Stalker oder sowas? War ihr jetzt der Erfolg schon zu Kopf gestiegen, oder was?
Naja, darüber könnte er auch später noch nachdenken.
"Und, hast du sie?", fragte Martin, als Danny zurück kam.
"Ja!"
"Na, dann schreibe doch gleich mal eine Nachricht! Dann hat sie deine Nummer auch!"
"Nein, genau das werde ich nicht tun!"
"Warum denn nicht?"
"Weil sie mich darum gebeten hat! Ich werde mich nur bei ihr melden, um ihr Bescheid zu geben, wann wir mal wieder in der Nähe sind. Sie ist Profi, und ich werde ihr garantiert nicht auf's Schwein gehen, damit vergraule ich sie nur!"
"Du bist echt zu gut für diese Welt!", meinte Martin nur und lachte.
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Nach dem Weltcup in Tschechien legte Nicole eine dreiwöchige Wettkampfpause ein. Sie war nach Hause gefahren, um in der Heimat etwas zu regenerieren und zu trainieren. Im Februar fand die Weltmeisterschaft in Antholz statt, für die sie aber nicht nominiert, beziehungsweise qualifiziert war. Stattdessen wollte sie an ein paar IBU-Cup-Rennen, sowie einigen Show-Wettkämpfen teilnehmen, um sich fit zu halten.
Danach wollte sie sich voll und ganz auf die Vorbereitung für das letzte Drittel der Saison konzentrieren.
Und sie traf sich, wie verabredet, mit ihrem alten Kumpel Rocco. Der war auch wieder für ein paar Tage in der Gegend und so trafen sie sich eines Abends in einem Salzburger Restaurant.
Sie redeten wieder hauptsächlich über Sport, das heißt, die allermeisten Zeit redete Rocco, dass er kurz vor dem Wechsel in die GFL stand, entweder nach Stuttgart, München oder Dresden. Er redete von Trainingsprogrammen und wieviel er jeden Tag essen musste, damit er sein sein "Wettkampfgewicht" behielt. Nicole hörte gar nicht richtig zu und langsam störte sie es, dass Rocco immer nur über sich selber sprach.
Dann aber wurde er plötzlich völlig anders, viel ruhiger! Er rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, dann fragte er:
"Ähm, Nicky, wir kennen uns doch jetzt schon eine ganze Weile?"
"Ja!", antwortete sie, "Warum?"
"Naja, ich wollte..., ich dachte..., vielleicht könnten wir mal was Romantisches unternehmen? Ins Kino gehen oder so? Da könnten wir ein bisschen kuscheln!"
Kuscheln?
Nicole musste lachen.
Rocco war schon immer ein Kindskopf gewesen!
"Nein Rocco.", antwortete sie, "Nicht während der Saison! Da hab ich für sowas keine Nerven! Vielleicht im Sommer mal."
"Da hab ich aber bestimmt keine Zeit!", brummte er leise, "Aber gut, ist egal."
Er wirkte beleidigt.
Nach einer Weile verabschiedeten sie sich.
"Mach's gut Rocco, viel Erfolg!", sagte Nicole.
"Ja, dir auch!", antwortete dieser, "Und ich habe mit fest vorgenommen, mal bei einem Weltcup zuschauen zu kommen. Ich will dich mal live anfeuern! Vielleicht sogar noch diese Saison. Wo treibt ihr euch denn noch so rum in den nächsten Wochen?"
"Nicht gerade um die Ecke, in Russland, Finnland und Norwegen! Die Weltcups in Mitteleuropa waren alle schon im Dezember und Januar."
"Aha, ach so! Na mal sehen! Vielleicht mach ich ja nochmal Urlaub. Tschüss Nicky, wir sehen uns!"
Dabei umarmte er Nicole so fest, dass ihr fast die Spucke weg blieb, und drückte ihr dabei einen fetten Schmatzer auf die Wange.
Kopfschüttelnd drehte sie sich um und ging zu ihrem Auto.
So ist er halt!
In den nächsten Wochen bekam sie jetzt regelmäßig Textnachrichten von Rocco, nicht anzüglich, aber manchmal doch recht aufdringlich. Aber sie dachte sich nichts dabei, sondern schob es auf sein eher schlichtes Gemüt.
Ihr ganzer Fokus lag jetzt auf der Vorbereitung für den anstehenden letzten Teil der Saison...