"Good morning, sunshine."
Dean zu Castiel 12x03
Sam hatte gewartet, natürlich hatte er das. An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Seit Stunden war er nun schon angespannt auf und ab gegangen, nachdem Dean ihn aus dem Raum geschickt hatte. Warum war er bloß gegangen, kommentarlos? Das Adrenalin rauschte durch seine Adern. Nichts wünschte er sich mehr, als dass er etwas tun könnte, irgendetwas. Vielleicht tat sein Bruder gerade seinen letzten Atemzug und er war nicht da. Er war nicht da, um es aufzuhalten. Aber was konnte er schon tun, was ein Engel nicht tun konnte? Aber er war doch sein Bruder…
Erst als er Deans Arme um seinen Körper spürte, fanden seine kreisenden Gedanken ein Ende und Sam wusste, dass alles gut war. Alles war gut. Dean war da.
Als sie noch sehr klein gewesen waren, hatte John die Jungen allein in den Motelzimmern gelassen während er jagen gegangen war. Bis zu dem Tag als Dean alt genug zum Helfen gewesen war. Aber das hatte bedeutet, Sam ganz allein zu lassen. Dean war nie so okay damit gewesen wie er vorgegeben hatte zu sein und John hatte schnell gelernt die Drohung, die Brüder zu trennen, zu nutzen, um Dean in der Spur zu halten. Nichts war schlimmer gewesen als von seinem kleinen Bruder getrennt zu sein. Nichts.
„Ich musste die ganze Zeit daran denken, dass ich dir nie gesagt habe, wie viel du mir bedeutest“, brachte Dean hervor. Sein kleiner großer Bruder fühlte sich so jung in seinen Armen an.
„Das weiß ich doch“, erwiderte Sam überrascht und berührt zugleich von diesem Eingeständnis.
Dean presste ihn fest an sich und nahm dann etwas Abstand von ihm, fasste ihm verlegen an die Schulter, hielt ihn auf Armlänge, irgendwas zwischen Schulterklopfen und Festhalten. „Hi, Sammy.“
„Hi, Dean“, begleitet von einem unsicheren und doch frohen Lächeln.
Sobald sich die Brüder wieder voneinander gelöst hatten, umarmte Sam den Engel. Es hätte Castiel sicher den Atem genommen, wäre er ein Mensch gewesen. Diese Geste sagte nicht nur Danke, dass du meinen Bruder nicht getötet hast, sondern vor allem Danke, dass du ihn fühlen lässt.
Es war zu früh für ein klärendes Gespräch, zu früh für Worte, zu früh um Sam mitzuteilen zu welcher Erkenntnis sie in dieser Nacht gelangt waren. Der jüngere Winchester entschied sich doch noch ein paar Stunden zu schlafen, nachdem er die ganze Nacht in Angst wach gewesen war. Er war erschöpft, die Sorge um seinen Bruder und den Engel hatte ihn so erschöpft.
Dean sah ihm nach bis die Geräusche der Schritte im Gang verklungen waren. Behutsam spürte er Castiels Hand auf seiner Schulter.
„Komm mit“, sagte der Engel und Dean folgte ihm, ohne zu zögern.
Er führte ihn aus dem Bunker in die schwindende Nacht hinaus, einen Hügel hinauf. Raureif hatte sich über die Gräser und Sträucher gelegt. Von hier konnten sie bis zum Horizont des flachen Landes sehen, während ihr Atem flüchtige Wolken in der Luft bildete. Über ihnen die schmale Sichel des zunehmenden Mondes, kaum zu erkennen. Trotz der kühlen Januar Stunden fror der Jäger in seiner viel zu dünnen Jacke nicht. Er wurde das Gefühl nicht los, dass das etwas mit Cas zu tun hatte.
Sie sahen zu wie der Sterne langsam verschwanden, der Himmel tintenblau, am Horizont ein erster Schimmer, der die aufgehende Sonne ankündigte. Von Minute zu Minute löste das Rot des Morgens mehr und mehr die Schwärze der Nacht ab, verdrängte allmählich die Dunkelheit. Ein neuer Tag würde bald heranbrechen. Denn jeder Tag wurde dunkel geboren.
„Du erinnerst dich noch an Joshua?“ Castiels Stimme war warm.
„Der Gärtner Gottes?“ Natürlich erinnerte Dean sich. Es war seine erste bewusste Erinnerung an den Himmel. Sam war auch dort gewesen, natürlich war er das.
„Wächter von Eden“, korrigierte der Engel mit einem Schmunzeln in den Mundwinkeln. „Er war der einzige, der mit mir über das sprechen wollte, was mit uns geschieht.“ Eine Weile schwieg er, den Blick auf das wiederkehrende Licht in weiter Ferne gerichtet.
„Unser Band ist mächtiger als Magie, als ein Fluch, als Runen oder Sigillen es je sein könnten. In der alten Zeit nannten sie es asirutho oder auch ĥuyodo. Aramäisch für Verbindung oder Vereinigung. Ein Bündnis zwischen Himmel und Erde, die ultimative Waffe gegen das Böse.“
„Liebe.“
„Ja.“ Castiel lächelte eines seiner seltenen tiefen Lächeln. „Michael verbot es vor vielen tausend Jahren. Die Risiken seien zu hoch.“
„Ich habe keine Angst.“
Die Furcht lag hinter ihnen. Sie hatten es geschafft. Das hier war ein Neuanfang. Sie hatten eine Erneuerung erfahren, ihrer selbst, von dem was sie waren und von dem was sie füreinander waren. Dean spürte es.
Früher hatte die Einsamkeit in seine Eingeweide geschnitten wie ein altes stumpfes Messer. Selbst wenn er nicht allein gewesen war, wenn er von Menschen umgeben gewesen war, die er gern hatte, hatte er sich einsam gefühlt, als könnte er keinen Zugang zu ihnen finden. Es hatte Dinge gegeben, die er mit niemandem hatte teilen können, Gedanken, Empfindungen, Erinnerungen. Er hatte Dinge gesehen, die niemand glauben würde. Er hatte Dinge verloren, die niemand je verstehen würde. Sogar Sam, mit dem er doch fast sein ganzes Leben verbracht hatte, wusste so vieles nicht, durfte so vieles nicht wissen. Er war der Ältere, er musste seinen jüngeren Bruder beschützen, auch und vor allem vor sich selbst. Er durfte keine Last für ihn sein, keine Bürde.
Für Castiel hatte er nie stark sein müssen, für Castiel hatte er die Rolle nicht spielen müssen, die er selbst zu glauben begonnen hatte. Wer war er ohne sie? Sein ganzes Leben lang hatte man ihm gesagt, wer er sein sollte, wer er zu sein hatte. Eine Stimme in seinem Hinterkopf, die sehr nach seinem Vater klang. Doch plötzlich hatte sich ihm die Frage gestellt, wer er sein wollte, wer er für Cas sein wollte. Aber auch ihn hatte er nicht an sich herangelassen, auch ihn hatte er auf Abstand gehalten, aus Angst sich dem zu stellen, was er nicht fühlen wollte.
Dean hatte eine Mauer um seine Seele gebaut und so all jene ferngehalten, die er liebte. Er hatte sein eigenes Gefängnis errichtet, dessen Grundstein John Winchester gelegt hatte. Selbst bei diesen schnellen Zwischendurchnummern in Bars oder billigen Motels war er einsam gewesen. Wie sehr fiel ihm erst jetzt auf, wo der Engel diese Leere mit seiner Präsenz füllte, ihn zu einem Ganzen machte. Den mühevoll errungenen ’persönlichen Freiraum‘ hatte er zu Castiel längst aufgegeben, physisch und psychisch. All seine persönlichen Grenzen riss er nieder um seiner Nähe willen, so schmerzhaft es auch sein mochte. Seine Mauern waren eingestürzt, niedergerissen. Er sollte sich schutzlos fühlen, aber an ihre Stelle war Castiel getreten, ein Engel des Herrn und sein bester Freund.
Eine Tür hatte sich geöffnet und er war hindurchgegangen, aus den Trümmern seines Gefängnisses hinaus, seines alten Ichs, das er doch nie gewesen war, seiner Maske, seiner Mauern. Dahinter eine unbekannte Welt. Ein Leben. Ein Morgen. Ein neuer Morgen. Dean sah die Sonne aufgehen und nahm Castiels Hand in seine eigene.
„Ich liebe dich, Castiel.“ Das hatte er ihm sagen wollen, bevor der Engel seine Seele berührt hatte. Er hatte geglaubt, das wäre seine letzte Gelegenheit gewesen. Tief in seinem Inneren hatte der Jäger nicht damit gerechnet zu überleben. Aber er lebte wider aller Wahrscheinlichkeit. Er hatte geglaubt, es auszusprechen würde sich befremdlich anfühlen, doch das tat es nicht. Weil es wahr war. Weil es richtig war. Weil es vielleicht schon immer so gewesen war.
Die ersten Sonnenstrahlen tauchten Castiel in ihren goldenen Schein und es war als könnte Dean sein Leuchten, das Göttliche in ihm, erkennen.
Es durch seine Hülle zu sagen wäre zu wenig und so ließ ihn Castiel seine Antwort spüren. Licht und Wärme überfluteten Dean, als der Engel seine Hand fester hielt und seine Gnade sprechen ließ. Eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel des Jägers, die dort schon viel zu lang gewartet hatte. Wie Morgentau aus geschmolzenem Eis.
Noch immer schien das aufgehende Licht der Sonne auf Castiels Gesicht und erleuchtete es, als würde der Engel von innen heraus strahlen, was er für Dean sowieso schon tat. Doch gerade in diesem Moment, mit den erleuchteten Wimpern, durch die die Sonne schien, mit den leichten Schatten, die sie auf Castiels Wangenknochen zeichnete, konnte Dean den Himmel sehen, den Himmel in Castiel, während die tief stehende Sonne langsam höher stieg. Ein neuer Tag begann.
Sie standen nur da, sprachen kein einziges Wort und verstanden einander doch besser als jemals zuvor. Sie hatten einen Teil von sich selbst in dem anderen zurückgelassen. Ein Stück Gnade, ein Stück Seele, dort wo ihnen kein Unrecht widerfahren und kein Leid je wieder geschehen würde, an dem Platz, an den sie gehörten, in Sicherheit, zuhause.
Und vielleicht war es schon immer so gewesen, denn jedes Mal, wenn man das Risiko eingeht jemanden zu lieben, reißt man ein Stück von sich heraus und bietet es seinem Gegenüber auf einem Silbertablett an. Manchmal bleibt die Lücke offen, es entstehen tiefe Narben und Furchen, und der Schmerz erinnert daran, wie sehr man den anderen liebt (1). Doch manchmal, wenn man Glück hat, bekommt man im Gegenzuge auch ein Stück von dem anderen geschenkt, das die Leere in einem zu füllen vermag.
Glück war für Dean immer etwas gewesen, das anderen Menschen passierte (2). Nun hatte das Glück einen Namen. Beängstigend konkret. Castiel. Denn ein Wunder war nichts, das man sich verdienen musste.
Miteinander zu schlafen hatte sie zerbrochen und es würde sie wieder brechen, immer und immer wieder. Wenn man einmal gebrochen war, konnte man sich von dem Gedanken verabschieden, dass alles wieder so werden würde wie zuvor. Man würde nie wieder derselbe sein, man würde jemand neues sein. Seit Dean und Castiel sich getroffen hatten, waren sie nicht mehr die, die sie einmal gewesen waren. Sie waren jemand anders, sie waren etwas anderes. Es gab nicht mehr bloß Schwarz und Weiß, Licht und Schatten, Gut und Böse, sondern sie waren nun fähig auch all das dazwischen zu sehen. Kein blinder Gehorsam mehr, sondern freier Wille. Keine Gefühlskälte mehr, sondern Emotionen und Mitgefühl. Kein "Er und Ich" mehr, sondern "Wir". Und vielleicht konnten sie nur deswegen ein Stück von sich in dem anderen zurücklassen, weil sie gebrochen waren. (3)
"Dean and I do share a more profound bond."
Castiel zu Sam
- "It will hurt, but that hurt will remind you of how much you loved them." Castiel 14x14
- "Diese Leben hat mir vieles zu bieten, aber wahres Glück kaum." Castiel 14x09
- "We are all broken. That's how the light gets in." Ernest Hemingway
Empfehlungen:
Poetry-Slam-Text "Maskenball" von mir https://belletristica.com/de/books/51237-mind-of-april/chapter/284707-maskenball
Kurzgeschichte "Das perfekte Herz" https://www.achtsamerleben.de/herz/
Song "Bound" von Karliene
Song "Fading" von Alle Farben, ILIRA