N.CIS Washington D.C.
„Verdammt, was soll das, Hetty? Hätten Sie nicht vorher mit mir über die Sache reden können, anstatt über meinen Kopf hinweg mit Director Vance einen Deal dieser Tragweite auszuhandeln?“, beschwerte sich Gibbs und versuchte, bei aller Wut, die sich während der letzten halben Stunde in seinem Bauch angestaut hatte, so höflich wie möglich zu bleiben. Er hatte sich zusammen mit Henrietta Lange, kurz nachdem diese ihn und seine Leute mit dem Neuzugang aus LA überrascht hatte, in Director Vance` Büro zurückgezogen.
Vance selbst war soeben noch einmal dienstlich in den Konferenzraum gerufen worden, was Gibbs die Möglichkeit gab, unter vier Augen mit der Chefin des N.CIS-LA zu sprechen. Sichtlich genervt blickte er auf, als die persönliche Assistentin des Directors mit einem Tablett erschien und sein Gespräch unterbrach.
„Ihr Tee, Ma`m.“
„Vielen Dank, meine Liebe.“ Neugierig, als hätte sie alle Zeit der Welt, musterte Henrietta die Tasse mit dem in heißem Wasser vor sich hin siedenden Teebeutel. Ihrer Vorliebe für exotische Teesorten, die sie akribisch genau nach bestimmten Ritualen zubereitete, war allgemein bekannt. „Was für eine Sorte ist das, wenn ich fragen darf?“
„Malaysischer Hirtentee“, kam Gibbs mit seiner Antwort der Sekretärin zuvor und bedeutete dieser mit einer eindeutigen Kopfbewegung, sich umgehend zu entfernen. „Also noch einmal zu meiner letzten Frage…“
„Ich habe Sie sehr gut verstanden, Mister Gibbs“, erwiderte Hetty und schnupperte seelenruhig an ihrem Tee. „Mmh, interessant.“
Gibbs bereits bis zum Anschlag gespannter Geduldsfaden drohte jeden Augenblick zu reißen. Er verdrehte die Augen und beugte sich etwas vor.
„Also… ich höre!“
„Nun, Sie wollten wissen, ob ich nicht zuerst mit Ihnen über die Versetzung von Special Agent Blye hätte reden können. Die Antwort ist nein, das hätte ich nicht.“
„Und wieso nicht? Schließlich handelt es sich hier um mein Team!“
Hetty nippte an ihrem Tee, spitzte prüfend die Lippen und blinzelte Gibbs dann belustigt zu.
„Eindeutig Jasmin und Lotus… Meines Wissens werden diese Pflanzen in Malaysia nicht angebaut, schon gar nicht von irgendwelchen Hirten.“
Er lächelte nicht zurück.
Ungeachtet seines nun doch recht drohenden Gesichtsausdruckes plauderte Hetty jedoch unbefangen weiter.
„Wussten Sie eigentlich, dass nur ca. 0,45% der gesamten Welt-Teeproduktion in Malaysia hergestellt werden, Mister Gibbs? Aus den Cameron Highlands kommt der hier zu Lande schon recht bekannte BOH-Tee, ein echter Geheimtipp für uns Tee- Connaisseure.“
„Warum, Hetty?“ Seine Frage, in einem Tonfall gestellt, der keinen weiteren Aufschub duldete, veranlasste sie nun doch endlich zu einer diesbezüglichen Antwort.
„Wie hätten Sie wohl reagiert, wenn ich Sie angerufen und Ihnen mitgeteilt hätte, dass einer meiner Leute aufgrund der Folgen eines missglückten Undercover-Einsatzes zurzeit dienstuntauglich ist, und ich es aus diesem Grund für das Beste halte, seine Partnerin auf unbestimmte Zeit zum N.CIS nach Washington D.C. zu versetzen?
„Ich hätte abgelehnt.“
„Genau. Deshalb habe ich mich an Mister Vance gewandt, weil er unvoreingenommen ist und die Sache aus objektiver Sicht betrachtet.“
„Warum Blye, und warum ausgerechnet jetzt?“, blieb er unbeirrt beim Thema.
Hetty nahm den kleinen silbernen Löffel vom Unterteller und begann damit vorsichtig in ihrem Tee zu rühren.
„Weil es für alle Beteiligten das Beste ist, und weil wir – mit etwas Glück – zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Special Agent Blye kann ohne Partner nicht arbeiten, und Ihnen fehlt, soweit ich informiert bin, seit kurzem ein Mann – beziehungsweise eine Frau im Team.“
Gibbs musterte sie nachdenklich.
„Was ist mit Blyes Partner passiert?“
„Etwas, womit jeder Agent, der sich im Undercover-Einsatz befindet, rechnen muss: Er und ein weiteres Mitglied meines Teams, Special Agent Sam Hanna, wurden von einem Spitzel verraten, gefangengenommen und schwer gefoltert, aber beide haben weder ihre eigene, noch die Tarnung ihrer Kollegin verraten.“
„War Blye diese Kollegin?“
„Nein, es handelte sich um Sams Ehefrau Michelle. Während Sam das Erlebte relativ gut wegsteckt, kämpft Detective Deeks seitdem mit einem wirklich ernstzunehmenden Trauma. Er leidet unter Schlafstörungen, hat Albträume, reagiert nicht mehr so wie früher und läuft herum wie ein Schatten seiner selbst.“
„Und weil Sie nicht sicher sind, ob er jemals wieder arbeiten kann, haben Sie Blye kurzerhand hierher versetzt“, spann Gibbs in sarkastischem Tonfall den Faden weiter. „Soweit weg wie möglich, direkt ans andere Ende der Staaten.“
Hetty hörte damit auf, in ihrer Tasse zu rühren und legte endlich den Löffel weg.
„Kensi Blye gehört zu meinen besten Leuten, Mister Gibbs. Sozusagen eine Ziva David der Westküste. Eine Agentin mit ihren Fähigkeiten braucht einen gleichwertigen Partner. Momentan kann ich ihr einen solchen nicht bieten. Die Special Agents Callen und Hanna arbeiten zusammen, und sie fühlt sich dabei wie das fünfte Rad am Wagen. Außerdem verbindet sie mit Mister Deeks eine ganz besondere Beziehung.“
„Und das finden Sie gut?“, fragte Gibbs skeptisch. Hetty warf ihm über den Rand ihrer Brille einen bedeutungsvollen Blick zu und griff nach ihrer Tasse.
„Wie ich hörte, war Ziva David für einen Ihrer Agents ebenfalls etwas mehr als nur ein dienstlicher Partner, was eine Zusammenarbeit - rein menschlich gesehen – natürlich unter gewissen Umständen ziemlich erschweren kann. Trotzdem haben beide ausgezeichnete Arbeit geleistet.“
„Das ist wahr“, räumte Jethro Gibbs ein. „Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Tony und Agent Blye…“
„Das habe ich auch nicht behauptet“, unterbrach Hetty seinen Gedankengang. „Ehrlich gesagt hatte ich noch nicht einmal daran gedacht, dass die beiden sich derart nahekommen könnten. Schließlich betreibe ich keine Partnervermittlung. Zumindest nicht auf dieser Ebene.“ Sie lehnte sich zurück und musterte ihren Gesprächspartner über den Rand der Tasse hinweg aufmerksam. „Ihr Ruf als guter Menschenkenner eilt Ihnen voraus, Mister Gibbs. Denken Sie nach… Marty Deeks wird, sobald ich zurück in Los Angeles bin, erfahren, dass seine Partnerin auf unbestimmte Zeit versetzt wurde. Wie, glauben Sie, wird er wohl darauf reagieren?“ Sie nippte an ihrem Tee und überließ Gibbs für einen Moment seinen eigenen Gedankengängen, die erst unterbrochen wurden, als Director Vance den Raum betrat.
„Wie ich sehe, haben Sie sich bereits miteinander unterhalten“, stellte er sichtlich zufrieden fest und betätigte die Wechselsprechanlage. „Miss Benton, einen Kaffee bitte.“ Er blickte Gibbs fragend an. „Sie auch, Jethro?“
„Nein danke. Ich denke, unser Gespräch ist ohnehin beendet.“ Gibbs erhob sich und reichte Henrietta die Hand. „Hat mich gefreut, Sie wiederzusehen, Hetty. Kommen Sie gut nach Hause und halten Sie mich über Ihre Theorie auf dem Laufenden. Wir hören voneinander.“
„Aber sicher doch!“, erwiderte sie und zwinkerte ihm heimlich zu. „Denken Sie bitte daran, Mister Gibbs, ich erwarte von Ihnen, dass Sie Agent Blye gut behandeln.“
Er zwinkerte kaum merklich zurück.
„Aber sicher doch!“
N.CIS Los Angeles
„Was haben Sie gerade gesagt?“
Deeks glaubte sich verhört zu haben. Vor ein paar Minuten war Hetty vor seiner Wohnungstür aufgetaucht und hatte ihn unter Androhung von Gewalt befohlen, ihr sofort zu öffnen. Er war sicher, dass sie durchaus im Stande war, diese Drohung trotz ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer geringen Körpergröße in die Tat umzusetzen, sollte er ihrer Forderung nicht nachkommen. Hetty hatte da so ihre Methoden.
Außerdem, so sagte er sich, würde „Lady Boss“ sich nicht ohne Grund hierherbemühen. Schließlich war er anders kaum zu erreichen, denn sein Handy und der Computer blieben die ganze Zeit über ausgeschaltet.
Anstatt auf die Frage einzugehen, ließ Hetty ihren prüfenden Blick zunächst in aller Seelenruhe durch seine inzwischen ziemlich chaotisch aussehende „gute Stube“ wandern. Beim Anblick des Couchtisches, der mit Illustrierten, leeren Fastfood-Schachteln, Wasserflaschen und diversen Chipstüten hoffnungslos überladen war, verharrte sie schließlich mit ihrer Musterung und verzog missbilligend das Gesicht.
„Ähm… sorry, die Putzfrau hat gekündigt“, versuchte sich Deeks mit einem halbherzigen Scherz zu rechtfertigen.
„Wann? Vor einem halben Jahr?“, konterte Hetty und sah ihn vorwurfsvoll an.
Deeks blieb ihr die Antwort schuldig, hob nur scheinbar gleichgültig die Schultern und hakte stattdessen wegen ihrer Aussage von vorhin nach: „Hetty, was ist mit Kensi? Was soll das heißen - Sie ist weg?“
„Vermutlich hat sich Ihre Hirntätigkeit während Ihres Aufenthaltes in dieser… Höhle etwas verlangsamt, Mister Deeks, aber den Sinn der Aussage „Sie ist weg“ sollten Sie dennoch verstehen können.“
„Ja aber… wohin… warum… ich meine, wieso hat sie nichts gesagt…“
„Bei den Fragen nach dem Wohin und Warum kann ich Ihnen unter Umständen noch behilflich sein, aber die Frage, wieso Sie Ihnen nichts gesagt hat, müssen sie sich schon selbst beantworten.“
„Sie wäre nie weggegangen, ohne sich von mir zu verabschieden! Das glaube ich einfach nicht!“
„Wie, um alles in der Welt, hätte sie sich denn verabschieden sollen? Sie gehen weder an Ihr Handy, noch haben Sie ihr die Tür geöffnet, als sie mehrmals versucht hat, Sie zu Hause aufzusuchen. Was hätte sie Ihrer Meinung nach tun sollen? Ihnen eine Brieftaube schicken?“
Deeks schluckte und senkte schuldbewusst den Kopf. Hetty lehnte sich zurück und schlug die kurzen Beine, die in modischen, hellen Leinenhosen steckten, übereinander.
„Also Mister Deeks, reden wir Klartext. Miss Blye ist nicht einfach verschwunden, sie wurde vom N.CIS versetzt.“
„Versetzt? Und… wohin?“
„Nach Washington D.C.“
„An die Ostküste? Ja aber, aus welchem verdammten Grund hat man Kensi so weit weg versetzt?“
„Nun, das lässt sich einfach erklären. Sie kann ohne Partner nicht arbeiten. Und da niemand genau einschätzen kann, wann Sie wieder einsatzfähig sind, hat man Miss Blye auf unbestimmte Zeit in ein anderes N.CIS-Team versetzt, in dem dringend ein fähiger Agent gebraucht wird.“
„Das heißt also, sobald ich meinen Dienst wieder antrete, schickt man sie zurück?“
„Nun, das ist nicht so einfach. Sie sind lange genug für uns tätig, um zu wissen, dass in unserer Institution gute Zusammenarbeit und Vertrauen ineinander die Basis für eine gut funktionierende Partnerschaft ist. Nicht zuletzt hängt das Leben eines Agenten davon ab, ob der Partner ihm gegebenenfalls den Rücken freihält. Man ist aufeinander eingespielt, und um das zu erreichen, braucht man seine Zeit.“ Hetty bemerkte Deeks` verständnislosen Blick und sah ihn über den Rand ihrer Brille bedeutungsvoll an. „Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wenn Miss Blye sich im Team von Agent Gibbs erst einmal eingearbeitet hat, wird sie vielleicht gar nicht mehr zurückkommen.“
N.CIS Washington D.C.
„Gibbs, Gibbs, Gibbs…!“
Aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten hüpfte Abby vor ihrem Spektrometer auf und ab. „Schau dir das an! Hättest du das erwartet?“
Der Boss reichte ihr einen frischen Caf-Pow- Becher, randvoll mit ihrem koffeinhaltigen Lieblings-Softdrink, und widmete sich dann den forensischen Neuigkeiten. Interessiert betrachtete er das Ergebnis ihrer Nachforschungen auf dem Monitor und nickte schließlich anerkennend.
„Das ist in der Tat eine Überraschung!“
Abby strahlte.
„Sag ich doch! Ich hätte nie gedacht, dass…“
„Druck es bitte aus und gib es Kensi, wenn sie in ein paar Minuten zu dir herunterkommt“, unterbrach Gibbs ihren Freudentaumel. „Sie soll es so schnell wie möglich mit McGees Aufzeichnungen abgleichen.“ Bereits im Weggehen begriffen, küsste er sie flüchtig auf die Wange. „Gute Arbeit, Abbs!“
„Klar doch, immer gerne!“, rief sie ihm nach und betrachtete zufrieden ihr Werk. In den letzten Stunden hatte sie ohne Pause durchgearbeitet, und es hatte sich gelohnt…
Die überdurchschnittlich begabte junge Computer- und Forensikexpertin war seit nunmehr über zehn Jahren für den N.CIS tätig und hatte sich durch ihr schier unerschöpfliches Wissen auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft unentbehrlich für Gibbs und sein Team gemacht. Sie herrschte vom ersten Tag an auf eine unkonventionelle und exzentrische Art über ihr Labor, dessen Räume mittlerweile von ihrem Gothic-Image deutlich geprägt waren.
Mit Gibbs selbst verband Abby von Anfang an ein besonders enges Verhältnis. Durch ihre liebenswürdig-naive Art weckte sie seinen Beschützerinstinkt, während sie selbst in ihm gern eine Art Vater-Ersatz sah. Ein Power-Drink und ein Lob vom Boss – und Abbys Tag konnte gar nicht besser sein.
Gut gelaunt und einen aktuellen Song von Jill Tracy vor sich hin trällernd machte sie sich daran, ihre Ergebnisse für Gibbs zu kopieren, als sich die fast geräuschlosen Türen des Liftes abermals öffneten, und Kensi eintrat.
Abby wirbelte herum und begrüßte die neue Kollegin mit einer spontanen Umarmung.
„Gibbs hat mir gesagt, dass du mich hier unten besuchen kommst, Kens!“ berichtete sie freudestrahlend. „Er hat mir aber nicht verraten, warum.“ Sie wartete einen Augenblick, doch da Kensi keine Anstalten machte, sie über den Grund ihres Besuches aufzuklären, versuchte sie sich selbst eine Erklärung zurechtzulegen: „Lass mich dreimal raten, und wenn ich es rausbekomme, spendierst du den nächsten Powerdrink!“
Kensi lachte.
„Aber es gibt eigentlich gar keinen…“ Sie sah die Enttäuschung in Abbys Gesicht und ging schnell auf das Spiel ein. „Okay, drei Versuche. Lass hören!“
„Erstens: Du bist sauer und brauchst Luftveränderung, weil dich Gibbs nach einer todlangweiligen Woche auch weiterhin zum Innendienst verdonnert hat.“
„Falsch!“
„Okay. Zweitens: Du bist abgehauen, weil du McGees neuen Roman beta-lesen sollst!“
„Oh, er hat einen neuen Roman geschrieben?“
Abby stutzte und winkte dann ab.
„Ach was, vergiss es. Aber jetzt, ich wette, drittens ist die Lösung: Tony hat dich wiederholt angebaggert, und du bist zu höflich, um ihm einen Korb zu geben!“
Kensi setzte sich neben Abby auf einen der Computerstühle und lehnte sich entspannt zurück.
„Also, die Sache ist die: Erstens - mein Innendienst wird mit dem nächsten Fall garantiert beendet sein. Zweitens - dass McGee an einem neuen Roman schreibt, wusste ich bisher gar nicht. Und was Drittens betrifft… ich fürchte, da muss ich dich ebenfalls enttäuschen.“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und konnte sich wegen Abbys emotionsgeladenem Mienenspiel ein Lächeln nicht verkneifen. „Tony hockt die meiste Zeit über bärbeißig hinter seinem Schreibtisch und schmachtet den gegenüberliegenden, leeren Platz an. Ich vermute mal, dass Ziva David bis vor kurzem dort gesessen hat.“
Abby nickte, und ihr Gesicht wurde traurig.
„Der arme Tony“, murmelte sie mitleidig. „Er hat alles versucht, um sie zur Rückkehr zu bewegen, aber sie wollte nicht. Dabei haben die beiden so gut zusammengepasst. Sie waren ein unschlagbares Team, und sie hätten ganz sicher auch ein gutes Ehepaar abgegeben.“
„Warum hat Ziva euch verlassen?“
„Das ist kompliziert, Kens.“
„Ich habe Zeit.“
Abby nippte nachdenklich an ihrem Power-Drink.
„Sie hat erst kürzlich ihren Vater verloren. Eli David war der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad und wurde während eines Besuches hier in Washington D.C. durch ein als Terroranschlag getarntes Attentat, geplant von Ilan Bodnar, seinem eigenen Vizechef, getötet. Ziva hat Bodnar verbissen gejagt und ihren Vater schließlich gerächt, geriet jedoch danach in einen tiefen seelischen Konflikt. Der gipfelte darin, dass sie nach all den Jahren, die sie hier bei uns verbrachte, plötzlich den Sinn ihrer Arbeit hinterfragte. Sie wollte in ihrer Heimat Israel ein völlig neues Leben beginnen und sich selbst finden. Deshalb hat sie uns verlassen, alle ihre Freunde, ihre Kollegen und… Tony.“
„Hat er nicht versucht sie umzustimmen?“
„Doch, das hat er. Er war einige Zeit drüben in Israel, hat sie gesucht, nachdem sie dort untergetaucht war, und fand sie schließlich auch, doch er konnte sie nicht von ihrem Selbstfindungstrip abhalten und kam schließlich allein zurück. Wenn du mich fragst, leidet er seitdem an seinem gebrochenen Herzen, auch wenn er das niemals zugeben würde.“
„Und was sagt Gibbs dazu?“
„Ich wette, er leidet ebenso, denn er mochte Ziva auch sehr gern, genauso wie wir alle. Mir zum Beispiel fehlt sie ganz schrecklich.“
„Ich kann mich gut an sie erinnern. Sie ist sehr hübsch.“
„Oh ja, das ist sie. Eine richtige Schönheit. Sie ist zwar zierlich, aber sie kann kämpfen wie ein Mann. Außerdem fährt sie absolut chaotisch Auto, und sie hat eine verdammt spitze Zunge. Nur Sprichwörter und Redewendungen sind nicht so ihr Ding, da hat sie oft etwas verwechselt, was alle immer sehr lustig fanden.“
„Ja, ich weiß noch, wie sie damals zu Tony sagte, er sei schlimmer als ein Sack voller Läuse. Dabei meinte sie einen Sack Flöhe.“
Abby lachte übermütig.
„Stimmt, sein dummes Gesicht sehe ich heute noch vor mir!“
„Wirklich schade“, meinte Kensi bedauernd. „Ich hätte sie gern wiedergesehen.“
Abby nickte.
„Ihr beide seid euch ziemlich ähnlich.“
„Denkst du, das stört die anderen?“
„Keine Ahnung. Vance hat dich ausgewählt, nicht Gibbs. Vermutlich hätte Gibbs entweder noch abgewartet, oder er hätte einen Mann ins Team geholt.“
„Vermutlich“, sinnierte Kensi nachdenklich. „Ich habe das Gefühl, er mag mich nicht besonders.“
„Das Gefühl gibt er jedem Neuling. Aber glaube mir, er ist gar nicht so bärbeißig, wie er oftmals scheint. Für sein Team tut er alles…“
„…einschließlich die einzelnen Mitglieder des Teams kräftig in den Hintern zu treten, wenn sie seine Aufträge nicht zügig genug ausführen“, erklang Gibbs` Stimme direkt hinter ihnen. Erschrocken fuhren die Frauen herum, denn keine der beiden hatte gehört, dass er das Labor betreten hatte.
„G-Gibbs, bist du wahnsinnig, uns so zu erschrecken?“, stammelte Abby, während sich Kensi diskret erhob und sicherheitshalber nach dem Ausgang schielte.
„Ich hatte Sie gebeten, McGee die Unterlagen gleich zu bringen, und nicht erst nach einem ausgedehnten Kaffeekränzchen!“, wies der Boss seine neue Kollegin ungehalten zurecht.
Kensi schluckte und griff hastig nach den Papieren, die Abby für sie bereitgelegt hatte.
„Bin schon unterwegs, Boss!“, beeilte sie sich zu sagen, zwinkerte der Forensikerin bedeutungsvoll zu und strebte zum Lift.
„Nehmen Sie gefälligst die Treppe, Blye, damit Sie die Zeit wieder herausholen, die Sie hier unten vertrödelt haben!“, bellte Gibbs.
Mit einem ergebenen „Ja Sir!“ verschwand Kensi blitzschnell im Treppenhaus.
„Gibbs!“, schmollte Abby und sog an dem leuchtend pinkfarbenen Trinkhalm ihres Caf-Pow-Drinks. „Sei doch nicht so streng mit ihr!“
Er zog die Stirn in Falten und grinste verhalten.
„Sorry Abbs, ich versuche lediglich, meine „N.CIS-Familie“ zusammenzuhalten. Also… Marsch, zurück an die Arbeit, Labormaus!“