Das Gender von Genderfluiden Personen wechselt immer wieder über die Zeit, je nach dem was für Gender die Person hat wechseln sich die Identitäten entsprechend abwechseln
Amy
Draußen vor den Fenstern der Geschwister-Scholl-Gesamtschule prasselte der Regen auf den gepflasterten Schulhof. Amy, fast 19 Jahre alt starrte abwesend darauf, es war Ende März, kurz vor den Osterferien, noch ein paar Tage, dann waren endlich zwei Wochen Ferien. Ferien die sie für sich hatte, die ersten Ferien für sich, nur noch ein paar Tage Unterricht und die Mottowoche, dann würden ihre letzten Ferien beginnen. Der Plan stand dafür schon seit Monaten, die Lehrer würden sie abgrundtief hassen nach dieser Woche, aber das sollte kein Problem erst einmal sein. Ihre Physiklehrerin erzählte etwas über die Quantenphysik, das sie schon zum hundertsten Mal hörte. Physik Leistungskurs war nicht unbedingt die beste Wahl gewesen, aber besser als Chemie oder Deutsch in den Prüfungsfächern zu haben.
Aber immerhin war nach der langen Physikstunde auch der Schultag zu Ende und nur noch sieben Schultage und das Wochenende trennten sie von den Ferien. Endlich Ruhe, keine Familie, keine anderen Menschen, ihre Eltern und ihr neun Jahre jüngerer Stiefbruder Stefan fuhren die kompletten Ferien nach Frankreich zur Schwester ihres Stiefvaters, die dort gerade hinzog. Sie wollten ihr beim Einrichten helfen, ihren französischen Freund kennenlernen, den sie im Sommer heiraten wollte. Nachdem sie über zwanzig Jahre Single gewesen war, Amy wollte und konnte es ihr einfach nur gönnen. Mina war einfach ein toller Mensch, genauso wie ihr Buder, ihrem Stiefvater, den ihre Mutter kurz nach Amys zehntem Geburtstag kennengelernt hatte. Er war genau ihr Typ, ähnlich wie ihre Mutter schon davor verheiratet und einmal geschieden und hatte ein Kind.
Stefan war kaum ein Jahr alt gewesen, als sein Vater zu ihnen gezogen war, aber sie liebte ihren mittlerweile zehn Jahre alten Bruder über alles. Sie waren nicht miteinander verwandt, aber sie waren fast so als wären sie verwandt, anders als die meisten Geschwister Beziehungen. Vorallem im schwierigen Alter ihres Bruders, der etwas Vorpubertär war und sich ein paar Mal mit der Familie angelegt hatte. Aber dafür hatte sie jetzt bald ihre Ruhe vorübergehend zumindest, bis sie auszog, was sich noch ziehen konnte. Die Schulklingel erlöste sie zumindest vorübergehend von dem Leid, das Morgen erst weiterging, nur noch schnell Stefan einsammeln, dann konnte es schon nach Hause gehen. Stefan ging in die nicht weit entfernte Grundschule in die einzige vierte Klasse dort.
Der stand allerdings auch schon mit verschränkten Armen vor dem Schultor, als sie ihr Fahrrad bremste: „Warum hat das solange gedauert?" Er klang eingeschnappt und sie seufzte in Gedanken: „Weil mein Physiklehrer so lange Unterricht gemacht hat, wie du siehst." Sie seufzte und ließ sich bereitwillig den Rucksack ihres Bruders in den Fahrradkorb quetschen, bevor ihr Bruder sich auf sein Rad schwang und ihr hinterher die Straße hinunterfuhr. Sie war froh, dass es nicht mehr besonders weit war, die Laune von Stefan war nicht besonders gut, was sie schon frustrierte. Er wurde pubertär, was sie manchmal besser ertragen konnte als in diesem Moment, sie beneidete ihn irgendwo darum, dass bald Testosteron in seinen Körper durch sein Blut strömen würde und ihn zu einem jungen Mann heranwachsen ließ.
Zu Hause wartete schon ihre gerade telefonierende Mutter, sie winkte vage in Richtung ihrer Kinder und deutete dann auf die Töpfe auf dem Herd. Es waren Spagetti Bolognese, die ihre Mutter immerhin schon zusammengerührt hatte und Amy konnte einfach sich und Stefan die Spagetti auf zwei Teller schaufeln. Sie setzten sich an den Esstisch und unterhielten sich nicht viel, ihr Vater beziehungsweise Stiefvater musste bis halb sechs arbeiten, ihm gehörte ein bekanntes Café in der Nähe, das bis fünf offenhatte, bis halb sechs brauchte er aber immer. Das war noch eine Menge Zeit die sie mit lernen zubringen wollte. „Ich gehe dann mal lernen, muss ich dir bei irgendwas helfen bei den Hausaufgaben", wollte sie von ihrem Bruder wissen, der den Kopf schüttelte und nach oben verschwand.
Ihre Mutter ließ sich aber nicht mehr blicken, bevor sich ihr Mann um kurz nach halb sechs zu Hause blicken ließ. Damit waren sie und Stefan nicht mehr allein, Stefan zockte mittlerweile irgendein Spiel auf seiner Nintendo Switch, das sie nicht wirklich zuordnen konnte. Gleich musste sie noch zum Tennistraining, eines der letzten in der Halle, die einige Dörfer und gut zehn Kilometer entfernt lag. Ausreichend Strecke um mit dem Rad zu fahren, einen Führerschein hatte sie zwar auch, aber das war ihrer Meinung nach noch nicht weit genug. Außerdem hatte es aufgehört zu regnen und die Sonne kam ein wenig heraus und schimmerte auf den regennassen Straßen. Sie schwang sich in den Fahrradsattel, nachdem sie die Tasche in den Korb geworfen hatte und radelte rasch los.
„Etwas mehr Beinarbeit Amy", ihr Trainer stand mit verschränkten Armen am Netz, die Stunde lief erst seit ein paar Minuten und sie quälten sich jetzt schon. Erst hatte er sie ein paar Runden um den Platz gejagt, dann Koordination und jetzt Techniktraining, bis sie oder ihr Mitspieler zusammenbrachen. Zumindest war dem Anschein nach so, auch wenn sie schon gewaltig in der Wärme der Halle schwitzten. Es waren hier drin um die dreißig Grad, draußen hatte es gerade einmal elf Grad gehabt, die Unterschiede waren eine Qual. Aber das positive: Ihr Trainer sah das auch ein und brachte eine Trinkpause einige Minuten später für sie. „Danke endlich", sie seufzte erleichtert und stolperte zur Bank, wo sie sich die halbe Wasserflasche runterkippte.
Das Training wurde danach ruhiger, ihr Trainer ließ sie nicht mehr leiden, nur ein paar ruhigere Übungen und viel spielen gegeneinander. Dankbar dafür, schaffte es Amy auch noch halbwegs fit zurück nach Hause zu fahren, zum Glück ohne Zwischenfälle. Stefan und ihr Stiefvater spielten immer noch an der Switch und beachteten sie nicht so wirklich, ihre Mutter wusch ab. Von ihr bekam sie eine herzliche Begrüßung: „Wie war das Training denn so?" „Ganz okay", Amy warf ihre Tasche auf die Treppe, ihr Schläger klapperte: „Es war nur anstrengend, ich denke ich gehe gleich mal duschen." Gesagt war es einfacher als getan, sie hasste duschen wie die Pest, ihren nackten Körper zu sehen war schwierig. Es war als würde Wut nur so auf sie einprasseln mit den Wassertropfen.
Das Wochenende kam dann doch schneller als erwartet, der Unterricht wurde nicht wirklich spannender. Sie freute sich schon ein wenig auf die kommende Woche, fünf Tage ohne Unterricht in der Schule, wobei sie für den Abistreich am Freitag etwas ähnliches geplant hatten. Nach dem Motto verkehrte Welt, das würde ein noch größerer Spaß werden, die Kleidung dafür war fast fertig, nur noch ein Treffen mit einer Freundin. Das würde noch an diesem Samstagmorgen stattfinden, ihre Freundin konnte im Gegensatz zu ihr Nähen und hatte auch schon das ein oder andere Faschingskostüm für sich und sie genäht. Laut ihr war das auch gar nicht so schwierig, aber verstanden hatte Amy das nicht so wirklich bisher. Darum war sie froh, dass jemanden hatte, der es konnte.
„So wie sieht das aus?" Liana stapfte zur Tür herein, sie trug ein langes Kleid was dem von Prinzessin Elsa ähnlich sah und ihr perfekt stand. Das blau des Kleides harmonierte mit ihren blaugrauen Augen und mit dem Thema Prinzessinnen, sie selbst hatte vor als Anna zu gehen, auch wenn ihre dunkelbraunen Haare nicht wirklich dazu passten. Sie nickte zufrieden, eben war der Stoff des selbstgenähten Rocks noch ein wenig zu lang gewesen, jetzt aber reichte er ihr ein bisschen über die Knöchel und war mit den flachen Schuhen passend. „Könnte nicht besser sein", befand sie eilig statt ihre beste Freundin weiter bewundernd anzustarren, wie gerade. „Danke", Liana lächelte zufrieden: „Jetzt kümmern wir uns um dein Kleid, damit das auch sitzt." Sie warf einen Blick auf den Flur wo gerade Stefan hereinlugte.
„Sehr gut, das steht dir perfekt", Liana war begeistert ihr Lachen hallte ein wenig im Zimmer wider und sie umarmte sie spontan. „Der Donnerstag kann kommen", Amy stimmte in ihr Lachen ein, dann wurde sie wieder ernst, ihre Gedanken kreisten um einen besonderen Fakt. Ihre beste Freundin hatte sich vor über zwei Jahren als nicht-binär und auf Frauen stehend bei ihr geoutet, sie kannte sich gut mit LGBTQ+ aus. „Du Liana", wandte sie sich an ihre beste Freundin die den Kopf von der Nähmaschine hob, die sie grad eingestellt hatte: „Hm?" Ganz langsam und zögerlich erzählte Amy ihr von den Problemen der letzten Tage: „Naja, dass sind immer so Phasen, manchmal fühle ich mich auch wohl so wie es ist."
„Hm", machte Liana erneut und kratzte sich am Kinn: „Das klingt auf jeden Fall kompliziert, aber ich habe glaube ich eine Idee was bei dir das Ding sein könnte. Aber das hängt auch ein wenig von dir ab, was du wirklich empfindest und nicht nur das was ich interpretiere." Sie suchte etwas in ihrem Handy: „Hier schau, Genderfluid könnte auf das was du beschreibst zutreffen. Sie hielt ihr das Handy hin und Amy las sich in aller Ruhe die Angaben durch: „Da könntest du Recht haben glaube ich, auch wenn ich den Begriff noch nie wirklich gehört habe, aber ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll." Liana dachte ein wenig nach, wie ihr schief gelegter Kopf hinwies sie wiegte den Kopf hin und her.
Sie schwiegen einige Minuten lang und Amy lächelte vorsichtig, während sie sich den Artikel auf LGBTQ+ Wiki durchlas, er war ziemlich lang und ausführlich. Mit einem dankbaren Lächeln reichte sie Liana ihr Handy wieder zurück: „Ich glaube das ist durchaus das, was ich auch gerade empfinde." „Super", Liana grinste begeistert: „Dann hast du ein paar Möglichkeiten glaube ich, was so deinen Kleidungsstil und auch was an deinem Äußeren." „Das klingt doch schon einmal gut", Amy freute sich wie ein Honigkuchenpferd: „Dann kannst du mir ja vielleicht helfen oder?" „Ich denke schon", Liana lächelte ein wenig konzentriert: „Lass uns eventuell morgen mal darüber reden und etwas bei mir zu Hause ausprobieren." „Okay", Amy wagte ein schüchternes Lächeln und sie einigten sich rasch auf ein Treffen für Morgen.
Die Arbeit an der Kleidung war immerhin schon so gut wie fertig, als sich Liana am Nachmittag wieder verabschiedete. Nur noch ein bisschen bügeln und ein paar Sticker auf Gegenstände kleben, dann hatten sie es beide schon geschafft. Dinge, die sie Morgen auch noch schnell fertig machen konnten, Liana musste noch ihrer Mutter helfen, die ihre kranke Mutter pflegte. Amy hatte riesigen Respekt vor der Familie ihrer besten Freundin.