Die nächsten Tage verliefen ähnlich wie der zuvor, nur dass Mila sich nicht nochmal die Pein antun wollte, mit Elon an einem Tisch zu sitzen. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass er wollte, dass sie sich ihrer Mutter widersetzte. Und doch musste sie immer wieder daran denken. Dabei kam es gar nicht in Frage!
Immerhin hatte ihre Mutter recht. Man konnte nicht wissen, wie viele Bakterien sich in diesem See tummelten oder sonst welche Substanzen. Auch wenn das Wasser so wunderbar kühl und angenehm gewesen war...
Es war ungewohnt so lange nicht mehr geschwommen zu sein, Mila wusste gar nicht mehr wohin mit der Energie, die sie dadurch sparte.
Und der Zeit. Ihre Mutter hatte von den Verhältnissen der Schule erfahren, was nicht schwer war und war der Meinung, dass Mila dort nichts zu suchen hatte. Allerdings war es auch nicht so einfach wieder umzuziehen. Das dauerte seine Zeit und ihre Mutter hatte auch noch Arbeit zu erledigen.
Mila atmete die frische Luft ein, während sie sich auf den Weg auf den Pausenhof machte. So schlimm war die Schule gar nicht und sie hatte sehr viel Freizeit. Auch weil sie die meisten Themen schon hatte. Sie könnte sich daran gewöhnen, doch sie wusste, dass sie bald wieder nach Hause kommen würde. Dort könnte sie endlich wieder schwimmen gehen. Und ihre Mutter musste nicht versuchen ihr Hauslehrer zu beschaffen, die es hier scheinbar gar nicht gab! Schon seit Tagen telefonierte Clarice und versuchte das bestmögliche für ihre Tochter rauszuholen.
Wenigstens würde es nicht so lange dauern, wie bei jemand anderem. Dadurch, dass ihre Mutter Staatsanwältin war, hatte sie so einige Kontakte und kannte Abkürzungen, um an ihr Ziel zu gelangen.
Gerade als Mila nach draußen gehen wollte, kam ihr ein junger, breitschultriger Mann entgegen. Sie hatte ihn bereits oft auf dem Schulflur gesehen und nach seinem Freundeskreis zu urteilen, war er wohl auch recht beliebt bei den anderen Schülern.
„Mila Nadasdy, endlich erwische ich dich mal. Ich versuche bereits seit drei Tagen dir über den Weg zu laufen", lächelte er sie freundlich und mit einer charmanten Stimme an.
Das war eine Begrüßung, die ihr noch immer recht ungewohnt war. Die Schüler sprachen sie hier alle einfach mit Vornamen an und duzten sie. Immer noch bereitete ihr das Sorgen, dennoch blieb sie ruhig und lächelte freundlich zurück. „Mit wem habe ich das Vergnügen?", fragte sie, ging aber weiter, um sich draußen an einer sonnigen Stelle niederzulassen und ihr Mittag auszupacken. Heute gab es Muscheln und dazu eine kleine Wachtel. Ihre Mutter hatte sich sogar dazu überreden lassen, ihr einige kandierte Früchte mitzugeben, auch wenn sie sonst eher gegen diese Art von Früchten war.
„Nun...", setzte er an und ließ sich auf dem Platz ihr gegenüber nieder. „... du kannst mich gerne so nennen wie du möchtest, aber die meisten hier nennen mich Mario", lächelte er charmant und faltete die Hände auf dem Tisch.
Mila nickte. „Also, Mario. Warum versuchst du mir über den Weg zu laufen?", wollte sie neugierig wissen und packte das Besteck aus, um sich über das Essen her zu machen. Es hatte gestern schon lecker geschmeckt und Wachtel gehörte zu ihren Leibgerichten.
„Na um die neue, hübsche Schülerin willkommen zu heißen", erwiderte er geradezu unschuldig und lehnte sich ein Stück weit zurück, um Mila mustern zu können. „Wie gefällt dir die Schule bisher?"
Mila hob eine Augenbraue. „Warum tut ihr alle so, als wäre ich irgendwie ein Model?", fragte sie, da sie sich nicht wirklich wohl fühlte. Alle machten so einen Wirbel um sie und am liebsten wollte sie ihre Ruhe.
„Wir haben hier nicht oft neue Schüler", erwiderte Mario und holte eine Wasserflasche aus seiner Tasche hervor, um diese aufzudrehen. „Hast du schon einige neue Freunde gefunden?", fragte er neugierig und trank einen großen Schluck, ohne den Blick von der Rothaarigen abzuwenden.
„Ich denke nicht. Wahrscheinlich werde ich nächstes Schuljahr auch nicht mehr hier sein. Eventuell schafft es meine Mutter auch schon früher eine neue Wohnung und Schule zu finden", erklärte Mila fast schon ungerührt. Sie wusste nicht warum sich hier alle so für sie interessierten und wenn sie ehrlich war, gefiel es ihr nicht. Irgendwie waren sie zwar nett, aber auch aufdringlich.
„Was? Ich denke du passt sehr gut zu dieser Schule. Ich bin mir sicher, dass es dir hier gefallen könnte", versuchte es der Junge weiterhin und schien nicht ganz akzeptieren zu wollen, was Mila von sich gab. Als hätte er dabei etwas zu sagen. Was versuchte er überhaupt damit zu bezwecken?
„Das hast weder du zu entscheiden, noch ich", erklärte sie und nahm sich ein Stück kandiertes Obst, um sich zu beruhigen. „Meine Mutter ist diejenige, die das entscheidet", fügte sie hinzu und wirkte ungerührt. „Also mach dir nicht die Mühe."
Mario setzte die Flasche wieder ab und drehte sie wieder zu, um sich anschließend über den Mund zu wischen.
„Ich fände es jedenfalls schade, wenn du wechselst", erwiderte er und bot Mila die Flasche an.
Die Rothaarige entdeckte sowohl den schwarzhaarigen Chris, als auch Elon wieder, wie sie einige Tische weiter Platz nahmen. Sie spürte zwar die löchernden Blicke, doch sie wusste es zu ignorieren.
„Nein, vielen Dank", lehnte sie die angebotene Flasche ab. Als würde sie von einer angetrunkenen Flasche trinken! Wer wusste schon, was dieser Junge für Keime darauf hinterlassen hatte. Das war so unhygienisch!
Er senkte die Flasche wieder und stellte sie neben sich auf dem Tisch ab, als er die beiden Jungs am anderen Tisch ebenfalls bemerkte.
„Ich hab dich am Montag mit Elon und Chris gesehen", merkte Mario an und musterte die beiden.
„Ja, das kann sein", meinte Mila und folgte seinem Blick. „Was ist mit den beiden?", wollte sie wissen. Sie verstand nicht ganz, warum dieser Typ sich dafür interessierte, mit wem sie sich traf. Zumindest war seine Gegenwart ein wenig angenehmer als die der beiden Jungs.
Mario zuckte lediglich die Schultern und blickte kurz zu Mila, um sie zu mustern, ehe er wieder die anderen anblickte. „Nichts. Sie sind ganz süß zusammen. Bereits seit drei Jahren sind sie ‚Das Traumpärchen der Schule' auch wenn sie es anfangs nicht leicht hatten", antwortete Mario und wank Chris freundlich zu. Dieser wirkte irritiert und drehte sich wieder zurück zu Elon.
Mila wirkte überrascht. „Sie sind zusammen?", fragte sie neugierig. Das war interessant. Nichts, was sie nicht kannte, doch in ihrer Welt war das nicht so normal. Hier hingegen schien es jeder zu akzeptieren. Das war interessant. Mila selbst war noch nie mit so etwas in Berührung gekommen und sie wusste auch nicht so genau, wie sie damit umgehen würde, doch sie fühlte sich nicht abgestoßen, wie viele andere.
„Ja... wusstest du das etwa nicht?", fragte er überrascht, als sollte das offensichtlich sein. Womöglich war es das auch. Sie gingen zwar recht vertraut miteinander um, doch eine feste Beziehung? Womöglich zeigten sie es auch nicht gerne in der Öffentlichkeit.
Mila konnte es nicht sagen und schüttelte nur den Kopf. Vielleicht waren die beiden Jungen doch nicht so langweilig, wie sie dachte. Wobei es vielleicht keine gute Idee war, sich näher mit ihnen zu befassen. Ihre Mutter war zwar nicht gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen, doch sie wollte dennoch lieber, dass ihre Tochter nicht so viel mit solchen Leuten zu tun hatte. Zumindest nicht, solange diese nicht in der richtigen Schicht zuhause waren.
„Es weiß eigentlich so gut wie jeder, aber sie wollten es wohl nicht der neuen Schülerin so an den Kopf werfen. Das tun sie generell nicht", fügte Mario hinzu und beobachtete amüsiert Milas Reaktion auf diese Neuigkeit.
„Ja, das kann ich verstehen", murmelte die Rothaarige und widmete sich wieder ihrem Essen. Sie konnte fast sagen, dass sie sich auf die Stunden hier freute. Wenn sie ehrlich war, war das hier fast wie Urlaub. Daran konnte sie sich gewöhnen. Allerdings war die Umgebung für sie immer noch sehr ungewohnt. Auch das Essen, das es hier gab. Daran hatte sie sich noch nicht getraut, auch wenn sie gehört hatte, dass viele andere sehr davon schwärmten. „Möchtest du vielleicht etwas?", wollte Mila wissen und schob Mario die kleine Schale mit dem kandierten Obst entgegen. Es war immerhin freundlich ihm auch etwas anzubieten, da er es auch getan hatte.
Der Mann hob überrascht die Augenbrauen und nickte erfreut, als er sich eines der Stücke nahm. „Danke. Du kommst aus New York, stimmt's?", fragte er beiläufig. „Ich kann verstehen wieso du wieder zurück möchtest. Da muss das hier ein ziemlicher Abstieg sein", fügte Mario hinzu und schien zu grübeln.
„Das ist es nicht unbedingt. Aber meiner Mutter wurde angepriesen, dass es sich hier um eine sehr gute Schule handelt", erklärte die Rothaarige. „Und ehrlich gesagt hatte ich den meisten Stoff schon und bekomme jetzt haufenweise Privatlehrer, damit ich nicht absacke und sobald wir zurückziehen wieder hinterherkomme. Aber ich befürchte, dass ich das ganze Schuljahr noch einmal machen muss. Wenn ich daran denke, bin ich von der Idee wieder zurück zu fahren nicht ganz so begeistert."
Der junge Mann mit dem kurzen hellblonden Haaren nickte langsam und schien Mila aufmerksam zuzuhören. „Weißt du, ich wollte am Samstag eine kleine freundschaftliche Feier abhalten. Nur die engsten natürlich. Wenn du möchtest bist du gerne eingeladen", bot Mario mit großzügiger Geste an.
Mila lächelte schwach. „Das wäre ich gerne, aber am Samstag findet ein Wohltätigkeitsball statt und mein Vater wird dafür nach Hause kommen. Ich habe ihn schon seit fast einem halben Jahr nicht mehr gesehen", erklärte sie und lehnte die Einladung gleichzeitig ab.
Mario wirkte zwar enttäuscht, doch er zuckte lediglich die Schultern, ehe er sich eine weitere Frucht griff.
„Wie du möchtest. Das Angebot steht", meinte er, bevor er aufstand und sich mit einem Zwinkern von ihr verabschiedete.
Mila blickte ihm nach. Als würde sie sich von fremden Leuten einladen lassen, wenn ihr Vater endlich wieder da war. Die Zeit würde sie voll und ganz mit ihm verbringen!
Sie griff sich ebenfalls noch eine Frucht, bevor sie ihre Sachen wieder wegpackte, denn der Unterricht ging gleich weiter.
Diese Schule war wirklich anders als alles was sie kannte. Sie wusste nicht, ob sie es schlecht oder aufregend finden sollte, doch es war garantiert nicht angenehm.
Ihre Mutter würde sie sicherlich bald hier rausgeholt haben und dann würden diese ganzen Leute lediglich blasse Erinnerungen sein.