Auch wenn Mila es nicht gerne zugab, so war sie in gewisser Hinsicht doch aufgeregt. Ein kühler Wind zog vorbei, während sie vor dem Café wartete und so zog sie ihre Jacke enger um ihren Laib. Seitdem Elon ihr von der Wahrheit der Stadt und der Schule erzählt hatte, sah sie alles mit anderen Augen. Jeder Passant, jeder Gast, jede Bedienung ... ob sie auch so waren wie Elon? Und wenn ja, was konnten sie wohl? Bei dem Gedanken musste Mila fast unabdingbar an die letzte Nacht denken, als Elon ihr die Funken über die Haut gejagt hatte, wodurch ihr erneut die seichte Röte in die Wangen stieg.
Es hatte sich so gut angefühlt und sie hatte die Nacht mit Elon genossen. Heute Morgen war sie dank dem Dienstmädchen wieder ins Haus gekommen und beruhigt, dass ihre Mutter wohl nichts bemerkt hatte. Sie war sehr froh, dass diese nicht nachgefragt hatte, wo sie gewesen war. Die Erklärung wäre nur peinlich ausgefallen.
Mila trug ihr Lieblings-Strickkleid, weil es heute Mal wieder ein wenig kälter war. Dennoch wirkte es elegant, da sie irgendwie das Bedürfnis hatte Chris zu beeindrucken. Es war ihr erstes richtiges Date, auch wenn es nur wegen Elon war.
Auch wenn sie nicht wirklich viel hineininterpretierte, war es doch ein erstes Mal, was sie genießen und ausprobieren wollte. Und da ihre Mutter erst am Abend zurück sein würde, hatte Mila auch genüg Zeit.
Mit einem Mal zogen die Wolken von dannen und gaben den Blick auf warme Sonnenstrahlen frei, die Milas Gesicht wärmten und ihr kupferfarbenes Haar in einem satten Rot erstrahlen ließ. Gepasst mit den Herbstfarben um Mila herum, wirkte es sogar beinahe so, als würde sie sich dem Herbst anpassen.
„Mila", hörte sie plötzlich Chris Stimme und als sie sich in die Richtung der Quelle drehte, entdecke sie ihn auch schon, wie er mit einem breiten Lächeln auf sie zukam. „Tut mir leid, für die Verspätung ... ich wurde ein wenig behindert", entschuldigte er sich mit schwerem Atem, als hätte er sich beeilt herzukommen.
Mila, die bisher die Luft genossen hatte, lächelte. „Nicht schlimm. Wollen wir uns draußen hinsetzen?", fragte sie, weil das Wetter gerade schön war. Zwar noch immer ein wenig kühl, aber nicht kalt. Außerdem sah der kleine Innenhof, den das Café hatte, wirklich gemütlich aus.
Chris nickte erfreut und blickte sich um, bis er einen freien Tisch entdeckte und mit Mila gemeinsam daran Platz nahm.
„Du bist gestern nicht mehr allzu lange geblieben oder?", fragte er, als er ihr die Karte reichte, die auf dem Tisch lag.
„Nein. Die Party war nichts für mich", erklärte sie mit einem Lächeln und nahm die Karte entgegen, um sich anzusehen, was es gab. Sofort fiel ihr die heiße, weiße Schokolade auf, die sie so gern trank. Wie die hier wohl schmeckte?
„Ja ... Ich denke das war auch nicht wirklich was für mich", stimmte Chris zu und wackelte nervös mit einem Bein, während er Mila musterte. Das kupferfarbene Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, welcher ihr seidig über den Rücken und die Schulter fiel.
Mila musterte die Karte und nahm sie schließlich runter, um auch Chris anzublicken. Er sah schon irgendwie süß aus, mit seinen schwarzen, heute leicht zerzausten Haaren und den leichten Bäckchen, die wohl noch nicht ganz ausgewachsen waren.
Als Mila ihn allerdings anblickte wandte er den Blick schnell wieder ab, als würde er nach einer Bedienung Ausschau halten. Als diese ankam, gab Mila ihre Bestellung auf, ebenso wie Chris, der sich einfach dasselbe bestellte.
Das brachte Mila zum Schmunzeln. Er schien wirklich nervös zu sein.
„Erzähl mir doch etwas über dich", bat sie, während sie schon das kalte Getränk serviert bekamen.
„Ähm ...", setzte Chris an und schien zu überlegen. „Ich bin siebzehn Jahre alt. Habe vier Geschwister ... und meine Mutter führt ein recht beliebtes Cateringunternehmen", erklärte er ein wenig ratlos und tippte nervös gegen sein Glas.
„Ein Cateringunternehmen?", fragte sie neugierig. „Ich bin leider Einzelkind", fügte sie hinzu und nippte an ihrer Cola.
„Stell ich mir angenehm vor", lachte Chris und versuchte still zu halten. Es schien als hätte er viel zu viel Energie im Körper. „Ja, sie war schon immer eine leidenschaftliche Köchin und hat klein angefangen", erklärte Chris und trank aus seinem Glas Limonade.
„Einzelkind zu sein ist langweilig und man ist immer im Mittelpunkt der Eltern. Mag schön klingen, ist es aber nicht immer", erklärte sie und wackelte ebenfalls ein wenig mit ihren Beinen. Aber nicht, weil sie zu viel Energie hatte, sondern weil sie es als angenehm empfand, während sie saß.
„Wollt ihr noch immer umziehen?", fragte Chris vorsichtig und drehte das Glas in seiner Hand.
„Meine Mutter ist noch nicht davon abgehalten worden. Also ja, wahrscheinlich", seufzte Mila, der das Thema überhaupt nicht gefiel. Sie hoffte immer noch darauf, dass ihr Vater das vielleicht ändern konnte, denn sie fühlte sich hier mittlerweile sehr wohl. Die viele Freizeit und die Leute waren wirklich angenehm.
„Ich ... hoffe jedenfalls, dass du noch eine Weile bleibst", erwiderte er und wich bedacht Milas Blick aus.
„Ich auch", erklärte sie, als man ihnen die heiße Schokolade und das Bruschetta servierte.
Chris lächelte erfreut über Milas Antwort, die er tatsächlich so nicht erwartet hatte und umfasste die wärmende Tasse.
„Sag mal", begann Mila jetzt zögerlich. „Was hat es mit diesem Sonderunterricht auf sich?", fragte sie und hoffte ein interessantes Thema anzusprechen.
Gerade als Chris von seiner Tasse nippen wollte, verschluckte er sich an dem Inhalt. Ob es an der Hitze der Schokolade lag oder an Milas Frage wusste sie nicht so recht, doch er hustete wie verrückt, als würde er keine Luft mehr kriegen.
„Trink etwas", wies sie ihn an und deutete auf seine Limonade. Wenn er ihr jetzt hier erstickte, war das wirklich ein sehr misslungenes Date.
Chris folgte ihrer Deutung und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, während ihm bereits die Tränen in den Augen standen.
„Wieso fragst du das?", erwiderte Chris heiser und noch immer leise hustend.
„Wenn du nicht drüber reden willst, ist das auch in Ordnung", meinte sie leise, auch wenn sie gerne mehr darüber gewusst hätte.
„Nein ... nein! Ich beantworte dir gerne deine Fragen nur ... weiß ich nicht so recht wie", erklärte Chris murmelnd und räusperte sich.
Mila lehnte sich ein wenig über den Tisch. „Ich habe gestern Mario und Elon gesehen. Sie haben sich geprügelt und Elon hat ... geleuchtet. Ich bin nicht blöd", flüsterte sie, wollte aber nicht sagen, dass Elon ihr schon viel erzählt hatte.
Chris schluckte unbehaglich und holte tief Luft, um diese langsam wieder auszupusten. „Die beiden verstehen sich nicht sonderlich gut", erwiderte er lediglich und rührte in seiner Tasse, als wäre es das einzige was er dazu zu sagen hatte. Allerdings war er kein guter Lügner.
Mila seufzte. „Das habe ich bemerkt", meinte sie und nahm ein Stück ihrer Bruschetta. Dabei betrachtete sie Chris nachdenklich. Ihm schien das Thema nicht zu behagen, was schade war.
„Ich ... darf dir leider nichts sagen", gestand Chris leise. „Ich kann dir nur sagen, dass du hingehen solltest."
Mila seufzte. So würde das wohl niemals funktionieren. Wieso waren die Leute hier so verschlossen?
„Unwahrscheinlich, wenn ich meiner Mutter keinen guten Grund vorlegen kann."
Chris seufzte und rang mit seinen Fingern. „Ich ... würde ja gerne", seufzte der Schwarzhaarige und hob entschuldigend den Blick zu Mila.
„Ist es euch verboten darüber zu sprechen?", fragte sie neugierig.
„Nur bei Leuten wie dir. Du musst aber keine Angst haben, es geht dabei nur um eine Schockprävention", erklärte Chris und machte eine besänftigende Geste, als würde es das besser machen.
„Je mehr du mir erzählst, desto weniger habe ich Interesse dorthin zu gehen", erklärte sie seufzend. „Ihr seid alle so komisch", merkte sie an und fand dieses Gespräch anstrengend. „Wenn ihr die Karten einfach auf den Tisch legen würdet, hättet ihr wohl viel weniger Problemen mit Leuten wie mir."
Chris zuckte die Schultern. „Es ist eine Sicherheitsmaßnahme ... aber du wirkst so, als würdest du bereits irgendwas wissen ... wolltest du deswegen mit mir ausgehen?", fragte Chris ratend, doch die mitschwingende Enttäuschung war deutlich zu hören.
„Ich weiß es erst seit gestern Abend, also nein", sagte sie und nahm einen Schluck Schokolade.
„Was ... was soll das heißen?", fragte er unverständlich und schüttelte leicht den Kopf, da er nicht verstand was Mila da sagte.
„Ich bin nicht mit dir ausgegangen, wegen diesem Thema. Ich habe es erst herausgefunden, als wir uns schon wieder getrennt hatten", erklärte sie und war ein wenig ungeduldig.
„Aber ... was weiß du dann?", fragte er und schien sich wirklich dümmer zu stellen, als sie ihn eingeschätzt hatte. Oder wollte er es einfach aus ihrem Mund hören?