Thema: Musik, 24.08.2021
Trigger-Warnung: In diesem Text kommen Vorurteile gegenüber psychisch Kranken und deren Behandlung auf psychiatrischen Stationen zur Sprache. Freiheitsentziehende Maßnahmen und Zwangsbehandlungen stellen in der Psychiatrie die absolute Ausnahme dar. Diese dürfen ohnehin nur mit richterlicher Genehmigung bei Selbst- oder Fremdgefährdung durchgeführt werden. Wer psychologische oder psychiatrische Hilfe benötigt, sollte sich diese auf jeden Fall in Anspruch nehmen. Diverse Notfallnummern (z.B. Telefonseelsorge) für Akutsituationen sind rund um die Uhr erreichbar.
Erschöpft legte sie Geige und den Bogen zur Seite. Die letzten vier Stunden hatte sie ununterbrochen damit zugebracht für den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere, der ihr in einer Woche bevorstand, zu üben. Da eine Violinistin des Orchesters der Metropolitan Opera of New York für voraussichtlich mehrere Monate aufgrund einer ihr nicht näher bekannten schwereren Erkrankung ausgefallen war, war sie als Vertretung arrangiert worden. In diesem Orchester spielen zu dürfen, obwohl sie vor nicht ganz einem Jahr ihr Studium des Violinenspiels am Salzburger Mozarteum beendet, war eine unglaubliche Chance für sie. Ein wenig wagte sie zu hoffen, sich für ein dauerhaftes Engagement zu empfehlen, wenn sie bloß gut genug spielte. Jedenfalls wollte sie alles daran setzen, Dirigenten, Kollegen und Intendanten in positiver Erinnerung zu bleiben. Seit sie gewusst hatte, dass sie den Platz für die Vertretung erhielt, schlief sie kaum mehr und aß nur noch höchstens zweimal am Tag zu höchst seltsamen Zeiten, wie vier Uhr morgens und 23 Uhr nachts. Ihre Wohnung in Brooklyn verließ sie bloß, wenn kein Weg daran vorbei führte. Mit Freunden hatte sie sich schon länger nicht mehr getroffen. Wenn sie daran dachte, telefonierte sie alle paar Tage mit ihren Eltern, die sich mittlerweile große Sorgen um sie machten. Die Turandot, für deren Inszenierung an der Metropolitan Opera in einer Woche die Proben beginnen würden, hatte sie völlig in Beschlag genommen. Anna Netrebko sang in der Titelrolle und ihr Mann Yusif Eyvazov als Kalaf die weltberühmte Arie Nessun Dorma vortragen. Die Dirigentin Oksana Lyniv die vor gut zwei Jahren als erste Frau bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth dirigiert hatte, leitete die Inszenierung. In den Reihen der Sängerinnen und Sänger und im Orchester fanden sich zudem noch viele weitere hochkarätige Namen, die sie zunächst durchaus ein wenig eingeschüchtert hatten. Allerdings hatte ihre Lehrmeisterin, keine geringere als Anne-Sophie Mutter höchstpersönlich, sie vor ihrer Abreise nochmals darin bestärkt, die Chance, die ihr diese Vertretung bot, anzunehmen. Mit ihrer Begabung und ihrem unerschütterlichen Fleiß hätte sie alles, was sie brauchte um in einem solchen höchst illustren Umfeld zu bestehen. Es war jetzt an ihr die Gelegenheit zu ergreifen.
Sie hätte das Zeug dazu der nächste helle Stern am Himmel der klassischen Musik zu werden, das hörte sie oft, aber noch hatte sie den großen Durchbruch nicht geschafft. Sie hangelte sich derzeit von einem kleineren Engagement zum nächsten, immer darauf hinarbeitend den Entscheidungsträgern im Gedächtnis zu bleiben. Normalerweise nahm das Netzwerken einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeit ein, denn gut zu spielen, war nur die halbe Miete. Die Leute mussten sich ihren Namen merken, wenn sie im alltäglichen Konkurrenzkampf bestehen wollte. Von der Musik zu leben war hart, doch ihr Talent war zu groß um es nicht zumindest zu versuchen. Der Preis dafür war hoch, sogar wohl noch ein wenig höher als bei ihren Kollegen. Sie wusste genau, dass sie mit niemanden darüber sprechen konnte. Selbst ihre Eltern würden meinen, sie wäre völlig verrückt geworden. Vielleicht hatten sie damit ja nicht einmal Unrecht. Menschen wie sie gehörten eigentlich in die geschlossene Psychiatrie, das dachte sie tatsächlich auch über sich selbst. An manchen Tagen überlegte sie, ob es nicht besser wäre, sich in die nächste psychiatrische Notaufnahme zu begeben. Mit den Geschichten, die sie den Ärzten dort erzählen würde, käme sie ohnehin nie wieder aus der Psychiatrie heraus, darin war sie sich sicher. Gefährlich war sie dabei jedoch nicht, hoffte sie zumindest. Allerdings zweifelte sie selbst daran, ob sie nicht doch in der Lage war Menschen schlimme Dinge anzutun. In den Büchern und Filmen, die sie kannte, waren Leute, die sahen, was sie sah, zumeist Serienmörder. Dabei ernährte sie sich seit Jahren vegan, denn sie hatte bereits mit den Tieren zu viel Mitleid um irgendetwas von ihnen essen zu können. Ob sie stattdessen Menschen aß, ohne es zu wissen? Dieser quälende Gedanke ließ sie in den letzten Wochen nicht mehr los. Jedoch hatte sie bisher noch keine Möglichkeit gefunden einen eindeutigen Beweis dafür oder dagegen zu erbringen. Sie hatte sogar schon von ihrem eigenen Blut probiert, nur um den Geschmack von menschlichem Blut zu erkennen, wenn sie ihn auf der Zunge hatte. Allerdings hatte sie daraus bisher noch keine weiteren Erkenntnisse gewonnen. Sie überlegte derzeit, sich ein kleines Stück Haut für einen besseren Vergleich abzuschneiden, denn menschliches Gewebe schmeckte ja nicht nach Blut allein.
So schlimm wie derzeit war es noch nie in ihrem Leben gewesen. Im Grunde kannte sie die Gestalten, die sich ihr näherten, wann immer sie auf der Geige spielte. Seit sie mit fünf Jahren begonnen hatte Geigenunterricht zu nehmen, waren sie da gewesen. In der Gestalt kleiner Flammen waren sie um sie herumgetänzelt und hatten ihr Geigenspiel kommentiert. Böse hatten sie sich zunächst über die lustig gemacht, nachdem sie erst einmal keinen einzigen Ton richtig getroffen hatte. Sie piksten sie mit ihren Hörnchen und Kuchengabel-großen Dreizäcken, redeten auf sie ein das Instrument besser in ihr Feuer zu werfen, bevor sie der Welt weiter mit derart schief klingender Musik malträtierte. Damals hatte sie ihren Eltern von den Wesen erzählt, die sie bedrängten. Die taten das als Ausrede für die Faulheit ihrer Tochter ab, die offensichtlich bloß die Arbeit scheute, die die Beherrschung eines Instrumentes erforderte. Daher überwachten ihre Eltern von nun an akribisch, dass sie jeden Tag mindestens eine Stunde übte. Ihre Eltern hatten nämlich ein gewisses Talent erkannt, weshalb sie bloß ihr Bestes damit im Sinne hatten, wenn sie sie trotz ihrer Angst zum Weitermachen zwangen. Im Laufe der Zeit arrangierte sie sich mit den Teufeln, unter deren Spott sich langsam hilfreiche Ratschläge mischten. Bisweilen applaudierten sie ihr sogar. Je besser sie spielte, desto mehr verloren die Teufel ihren Schrecken. Sie ärgerten sie weiterhin, aber nun auf eine eher liebevolle Art. Darüber fand sie ihre Freude am Geigenspiel wieder, wodurch sich ihre Eltern darin bestätigt fühlten, ihrer Tochter mittels Strenge über eine Trotzphase hinweg geholfen zu haben. Mit sechs Jahren gewann sie den Musikwettbewerb ihrer Grundschule als jüngste Teilnehmerin. Sie selbst hatte diesen Wettbewerb in schrecklicher Erinnerung. Ihre Visionen veränderten sich nämlich zum ersten Mal gravierend. Anstatt des Erscheinens der Teufelchen, die sie mittlerweile sogar lieb gewonnen hatte, quollen Flammen aus ihrer Geige hervor, die einen Ring um sie bildeten. Von dort aus fraßen sie sich weiter über die gesamte Bühne der Schulaula. Mit der Musik schlugen sie nach oben. Während ihres Auftritts wunderte sie sich, warum niemand sonst auf das Feuer reagierte. Sie verspürte jedoch keine Hitze, zudem schienen die Flammen bedacht darauf sie nicht zu verletzen. Obwohl sie sich fürchtete, brachte sie das Stück fehlerfrei zu Ende. Danach begann sie aus voller Kehle zu schreien: „Hilfe, alles um mich herum brennt!“ Ihr fiel zunächst nicht auf, dass die Flammen nach dem Verklingen des letzten Tones wieder verloschen waren, so viel Angst hatte sie. Außerdem hatte anscheinend wirklich niemand sonst das Feuer wahrgenommen. Verzweifelt redeten die Lehrer in der Jury auf sie ein, alles wäre in völlig in Ordnung. Erst nach einigen Minuten ließ sie sich dann doch beruhigen. Die schnell hinzugezogene Schulpsychologin erklärte ihr Verhalten schlicht mit großer Nervosität, die wohl zu Halluzinationen geführt hatte. Denn Wettbewerb gewann sie dennoch mit Abstand. Zusätzlich zur musikalischen Förderung, die sie fortan von ihrer Schule erhielt, musste sie jede Woche zur Psychologin um an ihrer Nervosität zu arbeiten. Tatsächlich halfen die Werkzeuge, die sie in der Therapie an die Hand bekam, jedoch nicht indem sie die Visionen verhinderten, sondern dabei keine Angst mehr davor zu haben.
Im Laufe der Zeit kamen zu den Flammen schwarze Augen, brennende, skelettierte Fledermäuse und blutrote Gargoyles hinzu. Immer wieder kehrten auch die ihr wohlbekannten kleinen Teufelchen zurück. Je besser sie wurde, desto mehr waren es. Meist tanzte diese seltsame Gesellschaft bloß friedlich um sie herum, wünschte sich zuweilen bestimmte Komponisten oder Werke, freute sich mit ihr über gutes Gelingen. Es fiel ihr schwer, doch so langsam gewöhnte sie sich daran. Andere Freunde hatte sie ohnehin nicht. Da sie selbst eher still und empfindsam war, kam sie mit den anderen Kindern in ihrer Klasse nur schwer zurecht. Seit dem Anfall von Panik auf dem Wettbewerb hielt man sie in der Schule allgemein für verrückt. Manchmal fand sie dennoch ein paar Spielkameraden für die Pausen, doch die blieben ihr selten lange, weil oft die Eltern der übrigen Kinder nicht wollten, dass ihre Kinder eine psychisch Auffällige zur Freundin hatten. Ihre musikalischen Leistungen genossen bei den Lehrern tiefsten Respekt, doch sogar die fanden sie sonst zutiefst befremdlich. Hilfe fand sie bei ihnen keine, wenn sie von den übrigen Kindern gehänselt wurde, weil sie Einzige überhaupt nicht fernsehen durfte und deshalb die neuesten, angesagten Serien, Superhelden und Spielzeuge nicht kannte. Sie hätte aber eh nichts mit Freunden unternehmen können, da sie mittlerweile direkt nach den Hausaufgaben den ganzen Nachmittag übte, auch weil, was ihre Musik an Höllenwesen heraufbeschwor ihr Zuflucht bot. Jeden Monat stand nun mindestens ein neuer Wettbewerb an. Allein hierbei wurde sie mit Lob, hervorragenden Bewertungen und dem Stolz ihrer Eltern überschüttet.
Dabei gelang es ihr ein Stipendium für ein musisches Internat zu gewinnen. Dort herrschte ein weitaus größerer Leistungsdruck als ihre Eltern ihn jemals auf sie ausgeübt hatten. Diese Schule hatte sich auf die Fahnen geschrieben ihre Schüler direkt auf die Aufnahmeprüfungen sämtlicher international renommierter Musikhochschulen vorzubereiten. Freunde fand sie da ebenfalls keine, sondern hauptsächlich Konkurrenten. Um sie zu Bestleistungen anzutreiben, stachelten ihre Lehrer sie zu ständigem Wettbewerb untereinander an. Glücklicherweise lernte sie zu Beginn dieser Zeit Niccolò Paganini kennen. Sein geradezu dämonisch wirkendes Erscheinungsbild als er einem feuerumrandeten schwarzen Auge entstieg, erschreckte sie zunächst sehr. Außerdem war er deutlich größer als die Wesen, die sie sonst gewohnt war. Herausfordernd blickte er sie mit seinem totenbleichen, von zahlreichen Krankheiten ausgezehrten Gesicht an. Seine dunklen Locken standen ihm in alle Richtungen. Sie wusste, dass Paganini zu Lebzeiten an Tuberkulose gelitten hatte, daher überraschte sie sein ausgemergelter Körper nicht. „Wie wäre es mit einem kleinen Duett?“, sie glaubte seine Stimme zu hören, doch er bewegte die Lippen nicht. So verhielt es sich immer, wenn er sprach. Bald wunderte sie sich gar nicht mehr darüber. Er nahm eine schwarze Geige zur Hand, die in Flammen stand, sobald er darauf spielte. Er begann, sie stieg mit ein. Mehr brauchten sie nicht um einander zu verstehen. Sie sprachen nie viel miteinander, die Musik reichte ihnen völlig. Bald schon war Paganini ihr bester Freund. Hatte sie die Hausaufgaben erledigt, zog sie sich in ihr Zimmer zurück um mit ihm gemeinsam zu musizieren. Von ihm lernte sie ihre gesamte Leidenschaft in ihr Spiel zu legen. Er brauchte ihr nicht viel zu erklären, sie schaute es sich ganz von alleine von ihm ab. Paganinis Besuche gaben ihr das Selbstvertrauen, das sie brauchte um in einem so hart umkämpften Umfeld zu bestehen. Ihre Noten verbesserten sich schlagartig und blieben konstant auf einem hohen Niveau. So avancierte sie zum Aushängeschild ihrer Schule, wodurch sie mit Anne-Sophie Mutter in Kontakt kam, die sie fortan persönlich unterrichtete. Paganini half ihr auch hier den Ansprüchen ihrer Lehrmeisterin gerecht zu werden.
Während sie sich mit lebenden Menschen immer schwerer tat, wurde ihre Beziehung zu Paganini immer inniger. Aus dem Wunderkind wurde derweil langsam, aber sicher eine vielversprechende junge Frau. Mit vierzehn Jahren verliebte sie sich unsterblich in Paganini, der ihre Zuneigung erwiderte. Fortan küsste er sie zwischen den Stücken, die sie gemeinsam spielten. Zärtlich berührte er sie mit seinen übermäßig beweglichen Fingern. Sein liebevoller Blick war schon bald voller Begehren, was sie in vollen Zügen genoss. War er mit ihr zufrieden, legte er sie auf das Bett, wo er sie entsprechend belohnte. Obwohl sie eigentlich wusste, dass Paganini zu ihren Visionen gehörte, fühlte sich jedes Mal echt an. Einen Vergleich hatte sie zu diesem Zeitpunkt zwar nicht, doch es war einfach viel zu schön, wenn er auf sie kletterte, ihr die Beine auseinander und die Hände über den Kopf drückte. Von der realen Welt entfremdet, vermochte sie nur noch in der Musik Glück zu finden, sie sie zu Paganini brachte. Ihm gab sie sich völlig hin. Kämpfte sie ausnahmsweise etwas länger bis ihr ein Stück gelingen wollte, stieß Paganini sie zurück, was sie jedes Mal in tiefen Kummer stürzte. Mehrmals hatte sie geglaubt darüber sterben zu müssen, denn so leidenschaftlich Paganinis Liebe war, so schmerzhaft abweisend konnte er auch sein. Ihre Beziehung geriet zu einem wahrhaftigen Höllenritt, der ihr Höhenflüge und tiefste Abstürze im Wechsel bescherte. Vom Schulpsychologen wurde ihr dringend nahegelegt sich in stationäre Behandlung zu begeben. Das jedoch lehnte sie vehement ab, denn sie fürchtete, dass ein Aufenthalt in der Psychiatrie ihre musikalischen Ambitionen zunichte machte. Außerdem wollte sie Paganini nicht verlieren. Ihre Eltern drohten dem Psychologen sogar ihn zu verklagen, falls er ihre Karriere durch seine aus ihrer Sicht überzogenen Diagnosen beschädigte. Ihre Chancen waren zu groß um sie durch eine langwierige Therapie zu gefährden.
Im Nachhinein wusste sie nicht recht, wie sie es geschafft hatte, doch sie wuchs im Laufe der Zeit über Paganini hinaus. Aus dem feurigen, unmittelbaren Gefühlsausdruck entwickelte sich ein reiferes, aufgeklärteres Spiel. Sie lernte allmählich sich gegen Paganinis Launen zur Wehr zu setzen. Benahm er sich ihr gegenüber nicht, schickte sie ihn weg. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Sie stand kurz vor dem Abitur, da hatten sie und Paganini ihren bisher schlimmsten Streit, der schließlich in ihre Trennung mündete. Obwohl sie schrecklich darunter litt, funktionierte sie während der Prüfungen. Zusätzlich halfen ihr ihre Visionen in Form von zahlreichen Sukkubus und Incubus, die sie allesamt trösteten. Nachts, wenn sie völlig entkräftet schlafen ging, krochen sie zu ihr ins Bett um sie zu verwöhnen. Sie mochte ihre Nähe, doch sie waren nicht mit Paganini vergleichbar. Dennoch bewahrten sie sie vor einem Zusammenbruch. Durch ihre Anwesenheit war sie stark genug für die Aufnahmeprüfungen am Salzburger Mozarteum, die sie mit Bravour meisterte. Zu Beginn ihres Studiums traten außerdem Mephistopheles und Lilith in ihr Leben. Die Affäre mit den beiden Höllenfürsten ließ sie wieder glücklicher werden, eben vielleicht, weil sie bei weitem nicht so innig war wie ihre Liebe zu Paganini. Nach außen hin war sie eine völlig gewöhnliche, wenn auch sehr begabte, Musikstudentin. Tatsächlich gelang es ihr endlich Freundschaften zu Menschen außerhalb ihrer Visionen zu schließen. Manchmal ließ sie sich sogar auf der einen oder anderen Party sehen. Sie ging mehrere Beziehungen zu Kommilitonen ein, die allerdings recht schnell am ständigen gedanklichen Vergleich ihrer Partner mit Paganini scheiterten. Niemand sonst vermochte es sie dermaßen ihn Rauschzustände zu versetzen. Trotzdem pendelten sich echtes Leben und Visionen allmählich ein. Ihr ging es soweit gut.
Gegen Ende ihres Studiums, wie immer wenn Veränderungen anstanden, trugen die Erscheinungen dem Rechnung. Mephistoles und Lilith besuchten sie seltener, stattdessen warb nun Lucifer, der höchste Herrscher aller neun Höllen fortan um sie. Seine feuerstrahlende Schönheit übertraf alles, was sie bisher gesehen hatte. Wenn sie spielte, begleitete er sie zumeist auf seinem Cello, wobei seine goldblonde Mähne geradezu flog und seine roten Augen vor unbezähmbarer Leidenschaft glühten. Empfand er es gerade als passend, tanzte er für sie, stets nackt, damit kein Muskel seines perfekt definierten Körpers unnötig verdeckt war. Am liebsten hätte sie sich direkt auf ihn gestürzt, doch ihre Erfahrungen mit Paganini machten sie vorsichtig. Sie war ihm nicht abgeneigt, traute ihm allerdings nicht ganz. Dennoch kamen sie sich mit der Zeit näher. Seit sie ihren Master am Mozarteum mit Auszeichnung bestanden hatte, sang Lucifer auch für sie. Seine Stimme übertraf selbst die besten menschlichen Tenöre der Welt. Nie zuvor hatte sie einen solch vollendeten Klang wahrgenommen. Wann immer sie ihn hörte, schmolz sie förmlich dahin. Bei ihren Vorbereitungen auf die Turandot übernahm Lucifer für sie den Part des Kalaf. Allein für sie trug er die Arie Nessun Dorma vor, woraufhin sie ihm mit glasigen Augen zu ihm aufschauend ihm zu Füßen lag. Damit gelang es ihm sie völlig zu verzaubern. Nicht einmal Luciano Pavarotti hätte Nessun Dorma in solcher Perfektion singen können. In jeder Nacht gab sie sich Lucifer zum ersten Mal hin. Auf ihrem Bett liebten sie einander, was sie in Sphären entrückte, die sie selbst mit Paganini nicht erreicht hatte. Danach reichte er ihr einen Kelch mit blutroter Flüssigkeit, aus dem sie fast schon gierig trank. Er bat sie an seine Tafel und sie nahm, was er ihr anbot, ohne zu wissen, was es war. Sobald sie gesättigt und müde war, trug er sie in seine Schlafgemächer. Dort ließ er sie dann ausruhen. Dieses Ritual wiederholten sie seitdem immer, wenn sie miteinander geschlafen hatten.
„Lass mich dich in Fesseln schlagen, du wirst es nicht bereuen. Ich will dich in mein Reich entführen, dein Herr und Meister sein“, diese Zeilen singend, kam er an jenem Abend, als sie sich gerade von vier Stunden ununterbrochenen Übens erholte, zu ihr, „Sei Königin an meiner Seite, ich liebe und begehre dich, jeden Wunsch erfülle ich dir, gibst du dich mir nur hin.“ Alleine die langen, blonden Haare umschmeichelten seinen nackten Körper. Lucifers krallenlange Fingernägel legten sich um ihren Hals. Bereitwillig begab sie sich in seine Arme.