„Abraxas?"
Stöhnend drehte der blonde Junge sich in seinem Bett um. Er hatte die Nacht über kaum geschlafen und obwohl er wusste, dass es sich für jemanden wie ihn nicht gehörte, an einem Sonntag lange im Bett zu bleiben, hatte er nicht die Kraft gefunden aufzustehen. Der Cruciatus von Hermine steckte ihm noch zu sehr in den Knochen.
„Lass mich in Frieden, Rufus", erwiderte er schwach.
Sehr zu seinem Unmut wurden die Vorhänge seines Bettes ruckartig aufgezogen und sein Hauskamerad trat an ihn heran: „Es steht dir ganz und gar nicht, lange im Bett zu bleiben."
Röchelnd drehte Abraxas sich zu Rufus um. Sein Freund hatte Recht, doch ihm fehlte jegliche Kraft, das Bett zu verlassen oder sich auch nur aufrecht hinzusetzen.
„Bei Merlin", entfuhr es Rufus: „Was ist mit dir passiert? Du bist noch weißer als sonst!"
Ein gequältes Grinsen erschien auf seinen Lippen. Abraxas wusste, dass seine Familie für ihre helle Hautfarbe berühmt war, entsprechend musste er wirklich schlimm aussehen, wenn Rufus ihm vorwarf, noch blasser als sonst zu sein. Krächzend stieß er hervor: „Tom hatte gestern Abend seinen Spaß."
Mit einem Stöhnen ließ Rufus sich neben ihm auf das Bett sinken, fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare und schaute ihn intensiv an: „Also warst nun auch du endlich an der Reihe, mh? So ein Cruciatus von Tom ist nicht leicht zu verdauen."
Abraxas schloss die Augen und schüttelte den Kopf: „Nicht von Tom. Von Hermine."
Die Stimme von Rufus klang ebenso ungläubig wie scharf, als er augenblicklich nachhakte: „Was? Das kleine Mädchen hat dich gefoltert?"
Abraxas erkannte, dass er einem längeren Gespräch mit Rufus nun kaum noch entgehen konnte. Hustend und stöhnend richtete er sich auf, bis er in halbwegs sitzender Position an der Rückwand seines Bettes lehnte: „Sie ist kein kleines Mädchen. Tom hat ihr befohlen, den Cruciatus an mir auszuprobieren. Es war ganz offensichtlich das erste Mal, dass sie den Fluch verwendet hat, aber er war mächtig und sie ... du hättest sie sehen sollen. Dieselbe ... dieselbe Lust wie bei Tom stand in ihren Augen."
Hart packte Rufus ihn bei einer Schulter: „Ist Tom von allen guten Geistern verlassen? Er lässt Hermine Dumbledore, die Nichte von Professor Dumbledore, einen der Unverzeihlichen wirken? Will er, dass Dumbledore einen Grund hat, ihn von der Schule zu werfen?"
Wieder schüttelte Abraxas den Kopf: „Du unterschätzt sie. Hermines Loyalität zu Tom ist absolut. Sie gehört ihm, Rufus. Sie sind ein Paar, hast du das vergessen?"
Rufus ließ seine Schulter los, um sich stattdessen am Fußende des Bettes an einen der Bettpfosten zu lehnen: „Natürlich habe ich das nicht vergessen. Aber ich dachte, das gehört zu Toms Plan, Dumbledore abzulenken oder ihn zu ärgern. Ich hätte niemals vermutet, dass er tatsächlich Interesse daran hat, sie auf unsere Seite zu ziehen. Wobei ich das schon noch irgendwie glauben kann, aber dass sie sich darauf einlässt? Ich bitte dich, Abraxas. Es gab noch nie eine so unpassende Schlange im Hause Slytherin. Ihre moralischen Standards sind unpassend."
Unwillkürlich entfuhr Abraxas ein Lachen: „Moralische Standards? Du hättest sie sehen sollen gestern. Sie hat ..."
Er brach ab. Was er am Vortag gesehen hatte, bereitete ihm noch immer Kopfschmerzen. Und wenn er ehrlich zu sich war, dann verstand er Hermine nicht. Sie hatte sich von Tom auf eine Weise berühren lassen, die nur einem Ehemann zustehen sollte, und noch dazu hatte sie es vor seinen Augen zugelassen. Zu seiner Schande musste er zugeben, dass er seinen Blick kaum hatte abwenden können von dem Spektakel, dass er für den Bruchteil eines Augenblicks am liebsten selbst an Toms Stelle gewesen wäre, Hermine in seinen Armen, so offen und willig und erotisch. Doch er hatte gewusst, dass die geballte Ladung dieser Energie sich gegen ihn richten würde, und so war er im nächsten Moment wieder in Schockstarre verfallen.
Wenn Hermine Tom so ergeben war, wenn sie tatsächlich und aufrichtig seine Berührung genoss, wieso hatte sie dann diese Dinge zu ihm gesagt, nachdem Tom sie alleine gelassen hatte?
„Was hat sie?", riss die harte Stimme von Rufus ihn aus seinen Gedanken.
Errötend blickte Abraxas zur Seite. Er wollte so dringend mit irgendjemandem darüber sprechen, seinen Unglauben teilen, offenlegen, wie anders Hermine tatsächlich war. Mühsam suchte er nach den passenden Worten: „Tom und Hermine haben ... Dinge getan, die nur Eheleute in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers miteinander tun sollten. Vor meinen Augen."
Darauf wusste Rufus offensichtlich nichts zu sagen, denn er blickte nur gedankenverloren an die Decke und rieb sich das Kinn. Tief atmete Abraxas aus. Es war nicht richtig, die Ehre einer Frau so zu beschmutzen und vor anderen Männern über ihre intimen Geheimnisse zu sprechen. Dennoch fühlte er, dass es richtig war. Rufus sollte anfangen, Hermine mit Respekt zu behandeln.
„Ihr amerikanischer Ursprung scheint doch stärker als gedacht", murmelte Rufus leise: „Man kann Avery fast nachsehen, dass er sich ihr genähert hat, mh?"
Mit aufgerissenen Augen starrte Abraxas ihn an: „Bitte?"
Rufus schnaubte nur: „Eine anständige Frau würde niemals tun, was du gerade angedeutet hast. Dass jemand wie Tom ihre Ehre so scharf verteidigt, obwohl sie offensichtlich keine Ehre besitzt ..."
„Pass auf, was du sagst, Lestrange!", zischte Abraxas: „Du solltest es besser wissen, als Tom oder Hermine leichtfertig zu beleidigen."
Offensichtlich amüsiert von seiner Reaktion, verschränkte Rufus die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch: „Wieso? Läufst du sonst zu Tom und verrätst ihm, was für böse Dinge ich gesagt habe?"
Er rollte bloß mit den Augen: „Natürlich nicht. Aber mir gefällt es auch nicht, wenn du so über meinen besten Freund und dessen Freundin sprichst."
„Ach, mein guter Abraxas", grinste Rufus: „Du bist so leicht zu durchschauen. Denkst du nicht, dass du in viel größerer Gefahr bist als ich? Mit deinen so offensichtlichen Gefühlen für Hermine?"
Seine Wut verpuffte. Natürlich hatte Rufus ihn nur provozieren wollen, um ihm die eigene Schwäche vor Augen zu führen. Er seufzte: „Ich vermute, die Episode gestern diente auch zu dem Zweck, mich für genau diesen Umstand zu bestrafen. Ich bin auch selbst schuld daran. Tom hat mir mehrfach recht deutlich zu verstehen gegeben, dass ich mich bitte von Hermine fernhalten sollte, und ich habe es dennoch nicht getan."
Nachdenklich rieb Rufus sich das Kinn: „Ich hatte stets den Eindruck, dass sie dir auch nicht vollständig abgeneigt war. Unter diesen Umständen ist es schon erstaunlich, dass sie überhaupt in der Lage war, dich mit einem Cruciatus zu foltern. Es erfordert ein beträchtliches Maß an mentaler Stärke. Man muss es wollen."
Vorsichtig begann Abraxas, das Bett zu verlassen. Seine Beine fühlten sich schwach an, doch er zwang sich, aufrecht zu stehen und dabei nicht zu schwanken. Leicht außer Atem erwiderte er: „Ihre Loyalität gehört Tom. Wenn er es von ihr verlangt, scheint sie zu allem fähig. Ich habe keinen Vergleich, aber Tom hat sie gelobt für ihren Cruciatus, er muss also stark gewesen sein. Und er hat sich wirklich schlimm angefühlt."
Ein merkwürdiges Funkeln lag in Rufus' Augen. Mühsam schälte sich Abraxas aus seinem Nachthemd und schlüpfte in Hose und Hemd für den Tag. Er hatte das Gefühl, dass Rufus auf irgendetwas hinauswollte, dass er ihm irgendetwas sagen wollte, ohne es direkt zu sagen, doch er verstand noch nicht, was das war.
„Na, komm, mein Guter", meinte Rufus schließlich, erhob sich und legte einen Arm um Abraxas: „Wollen wir mal sehen, dass wir dich in die Große Halle bringen und dir einen schönen, heißen Tee verordnen."
Dankbar nahm Abraxas die Hilfe an, auch wenn er noch immer skeptisch war, was genau Rufus von ihm wollte. War ihm wirklich an einer genuinen Freundschaft gelegen, oder versuchte er ihn zu manipulieren? Bei einem Lestrange konnte man sich nie sicher sein, so viel hatte er schon gelernt. Rufus war beinahe ebenso clever wie Tom, was ihn gefährlich und gleichzeitig sehr wertvoll machte.
oOoOoOo
Staunend blickte Hermine sich um. Die Kammer war deutlich weniger feucht als damals, als sie mit Ron hier gewesen war. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Jetzt wirkte sie fast einladend, zumindest, wenn man unheimliches, grünes Licht mochte und nicht durch Schlangenstatuen abgeschreckt wurde.
„Diese geheime Kammer wurde einst von unserem Gründervater, Salazar Slytherin, erschaffen", erläuterte Tom mit lauter, tragender Stimme, während er vor ihr einherschritt: „Sie beherbergt ein Monster, so sagt man, doch in Wirklichkeit ist es ein Schutzengel."
Hermine lauschte seinen Worten, obwohl ihr all dies bekannt war. Tom hatte etwas Magnetisches an sich, wenn so voller Begeisterung und Selbstbewusstsein über ein Thema sprach.
„Das Wesen, das Slytherin hier zum Schutze aller Zauberer und Hexen in der Kammer platziert hat, ist loyal und ergeben nur dem Gründer selbst und seinen Erben gegenüber", fuhr Tom fort und bei den folgenden Worten drehte er sich zu ihr um: „Selbst, wenn es anderen gelingt, die Kammer zu betreten, haben sie hier keine Macht. Die große Schlange, die über uns alle wacht, gehorcht niemandem außer dem Erben. Wer sich hierher verirrt, ist des Todes."
Nur zu gut erinnerte Hermine sich an die Schilderungen von Harry, wie es ihm trotz Parsel unmöglich gewesen war, den Basilisken zu steuern. Salazar Slytherin musste einen mächtigen Zauber auf die Kammer gelegt haben, dass der Basilisk nicht nur unendlich hier unten zu überleben schien, sondern auch die Blutlinie eines jeden Eindringlings erkennen konnte.
„Sollte es eines Tages dazu kommen, dass die Muggel versuchen, Hogwarts zu erobern und zu zerstören, wird diese Schlange erwachen und sich gegen alle richten, die hier nicht hergehören", dozierte Tom weiter: „Und solange ich hier bin, wird mir die Schlange helfen, meine Interessen durchzusetzen."
Beinahe hätte Hermine laut aufgelacht. Es war gewiss in Toms Interesse, Myrte zu töten. Das hatte ihn so viel weitergebracht. Er hatte riskiert, dass sein geliebtes Hogwarts geschlossen wurde und er ins Heim zurückkehren musste, nur, um seine Macht über den Basilisken zu demonstrieren.
„Ich habe Gerüchte gehört", sagte sie vorsichtig, „dass die Kammer des Schreckens vor kurzem geöffnet worden ist. Ich habe nicht verstanden, was damit gemeint war, doch jetzt ..."
Tom hatte tatsächlich die Dreistigkeit, sie breit anzugrinsen: „Dein Onkel hat dir davon erzählt, nicht wahr? Ich gebe es nur zu gerne zu. Ich habe die Kammer gefunden und ausprobiert, wozu ihr Monster fähig ist."
„Du sprichst von einer Schlange", meinte Hermine und tat dabei so, als würde sie nachdenken: „Soweit ich weiß, wurden einige Schüler verletzt, ehe tatsächlich ein Mädchen starb. Es muss eine mächtige Schlange sein, dass selbst ältere Schüler nichts gegen sie ausrichten konnten."
Tom schien ihr Ratespielchen zu genießen, denn er stand lediglich da, grinsend, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und hob auffordernd beide Augenbrauen.
Vermutlich rechnete er nicht damit, dass sie tatsächlich erriet, um was für ein Monster es sich hier handelte, doch Hermine musste nicht raten. Sie wusste, was es war, und so stellte sie sich direkt vor ihn, reckte ihr Kinn und blickte ihm fest in die Augen: „Wir haben es hier mit einem Basilisken zu tun."
Nur kurz schwand sein Lächeln, dann hob Tom eine Hand, um ihr in einer stolzen Geste den Kopf zu tätscheln: „Cleveres Mädchen. Natürlich würde es dir gelingen, die wenigen Hinweise zur richtigen Antwort zusammen zu setzen. Ja, hier lebt ein Basilisk."
„Das ist vermutlich der Augenblick, wo ich Angst bekommen sollte, oder?", fragte sie spielerisch, während sie seine Hand von ihrem Kopf wegschob. Diese gönnerhafte Geste gefiel ihr gar nicht.
„Aber nein, mein Herz", erwiderte Tom und zog sie in seine Arme: „Solange du bei mir bist, wird dir der Basilisk nichts tun. Du musst keine Angst haben. Ich beschütze dich."
Hermine schnaubte und schob sich ein Stück von ihm weg: „Ich muss keine Angst haben, solange du mich beschützen willst. Aber sollte ich jemals wieder deinen Hass und deine Mordlust auf mich ziehen, habe ich jetzt doppelt so viel zu fürchten."
Schlagartig wurde Tom ernst. Er legte ihr eine Hand auf die Wange und schaute ihr tief in die Augen: „Vor dem Basilisken musst du niemals Angst haben. Wie ich schon sagte: Du gehörst mir. Ich werde nicht erlauben, dass irgendjemand außer mir dir Schaden zufügt. Auch nicht eine Kreatur, die unter meiner Kontrolle ist. Wenn du stirbst, dann nur direkt durch meine Hand."
Hermines Knie wurden schwach und sie war dankbar, dass Tom sie festhielt. Er war so durch und durch wahnsinnig, so besitzergreifend, und trotzdem spürte sie, dass da unter all den kalten, kalkulierten Worten tatsächlich ein schlagendes Herz war. Er fühlte etwas für sie, was er offensichtlich noch nie für einen anderen Menschen empfunden hatte. Vielleicht würde es ihr gelingen, diesen Teil von ihm zu stärken. Sie hatte auch schon eine ungefähre Vorstellung, was sie tun könnte, um dieses Ziel zu erreichen.