CN: Zahnmedizin
Kink-Unfall
Der junge Mann, der ungeduldig am Empfang wartete, richtete sofort seinen Blick auf mich und ließ mich nicht aus den Augen, bis ich auf der anderen Seite bei ihm angekommen war. Er kam mir vage bekannt vor, doch ich konnte ihn nicht zuordnen, vermutete aber, aufgrund des Rings mit Prideflagge an seinem Finger, dass ich ihn wohl schon einmal auf einer Party gesehen hatte. »Was kann ich für dich tun?«
»Wir haben da ein kleines Problem.« Er trat einen halben Schritt zur Seite und in seinem Windschatten wurde ein zweiter Mann sichtbar, der sich dort versteckt hatte. Die Kapuze seines Hoodies hatte er tief ins Gesicht gezogen. Außerdem wurde sein Mund von einem beigen Tuch bedeckt, unter dessen Ende etwas metallisch hervorblitzte.
Viel hätte ich mir dabei nicht gedacht, wenn es nicht noch viel zu warm für Tücher gewesen wäre und seiner Begleitung nicht ebenfalls der Zipfel eines Tuchs aus der Anoraktasche gehangen hätte. Es überraschte mich aber schon. War das nicht etwas altmodisch? Egal, es ging mich nichts an.
Ich wollte ihnen gerade sagen, dass sie für ihre möglichen Probleme in einer zahnmedizinischen Praxis falsch waren und man ihnen in der Proktologie vermutlich besser weiterhelfen konnte, als der Kleinere das Tuch von seinem Mund zurückzog. Aus seinem Mundwinkel hing ein Lederband mit Schnalle, das letztendlich in einem Ring endete, der seinen Mund offenhielt.
»Er hängt fest«, erklärte seine Begleitung.
Verstehend nickte ich, wobei ich mir das Grinsen wirklich verkneifen musste, und sofort wurde das Tuch wieder vorgezogen. »Warst du schonmal hier.«
Ein Nicken.
»Dein Name?«
Er kramte kurz und reichte mir dann einen Führerschein.
Als ich den Namen eingeben wollte, stockte ich kurz, sah noch einmal zu ihm und glich das Bild ab, wobei ich mir ein Stirnrunzeln nicht verkneifen konnte. Sofort wirkte er sichtlich beunruhigt, daher widmete ich mich schnell wieder dem Bildschirm und sah nach. Ja, tatsächlich, er war in der Datei, war jedoch länger nicht mehr in der Praxis gewesen. Gut, dann musste ich nicht überlegen, wie ich das ansprach.
Ich drehte mich um und holte ein Datenblatt, welches ich ihm mit einem aufmunternden Lächeln reichte. »Du warst schon länger nicht mehr hier, ich muss dich daher bitten, noch einmal deine Kontaktdaten auszufüllen, falls sich etwas geändert hat. Dann kann ich das auch im System ändern.« Hoffentlich verstand er die Aufforderung. Und wenn es nichts zu ändern gab, auch gut. »Setzt euch ins Wartezimmer, ich ruf euch dann gleich.«
Er wirkte etwas skeptisch, nahm das Blatt und den Führerschein aber an sich.
Als er zwei Minuten später wieder vor dem Tresen stand, hatte er sein Smartphone in der Hand und drehte den Bildschirm zu mir. ›Ist das wirklich okay?‹ hatte er getippt. Unsicher sah er mich an und deutete eher schüchtern auf die ausgefüllten Daten.
»Sicher.« Ich lächelte ihn an. »Ich trage das gleich ins System ein, Mike. Setz dich ruhig nochmal, es dauert noch etwas.«
Schnell tippte er erneut etwas in sein Smartphone. ›Danke!‹
Ich winkte ab. Das war wirklich kein Problem. Und wenn jemand eines daraus machen wollte, würde er es mit mir zutun bekommen.
Aus Gewohnheit wollte ich Mike auffordern, den Mund zu öffnen, dann fiel mir auf, dass das absolut unnötig war. Ich beugte mich über ihn und sah nach, wo überhaupt das Problem lag. Schnell war es gefunden: Der Ring Gag hatte den Retainer im Oberkiefer gelöst und sich darin verfangen. Ich wollte nicht wissen, wie schmerzhaft das war.
»Dann will ich dich mal befreien«, warnte ich ihn vor und griff mir die Zange. Während ich den Draht vorsichtig durchtrennte, erklärte ich: »Dr. Rong setzt dir dann gleich einen neuen Retainer ein. Du wirst aber eine Weile warten müssen. Wir sind heute ziemlich voll.«
Er hatte wirklich Glück, dass mir Sibille nach all den Jahren genug vertraute, dass sie mir die Erlaubnis gegeben hatte, ihn schnell aus seiner misslichen Lage zu befreien. Sonst hätte er noch ein paar Stunden so dagesessen.
»Du kannst den Gag jetzt rausnehmen, danach muss ich aber nochmal ran und den Draht rausnehmen. Kannst du den Mund selbst noch aufhalten?«
Nachdem er den Ring Gag rausgenommen hatte, antwortete: »Das geht schon.«
Mit wenigen Handgriffen hatte ich den restlichen Draht entfernt und ließ Wasser in einen Becher laufen, damit er sich den Mund ausspülen konnte. In der Zeit holte ich einen Zettel aus der Tasche, auf dem ich Adresse und Telefonnummer meines Stammsexshops notiert hatte, und gab ihm den zwinkernd. »Wenn du sowas nochmal ausprobieren möchtest, dann frag mal dort nach, was es für bessere Möglichkeiten gibt. Jedes Mal neue Retainer werden auf die Dauer wohl doch etwas teuer werden.«
In Windeseile zog sich die Röte von seinem Hals bis in die Ohren. Schüchtern nahm er den Zettel an. »Danke, werde ich wohl machen.«
Aufmunternd lächelte ich ihm noch einmal zu, während er aufstand, sich den Ring Gag schnappte, ihn in der Tasche des Hoodies verstaute und sich dann wieder auf den Weg ins Wartezimmer machte.