Aber wenn Niš ganz genau war: Hatte sie hier gar nichts verloren, sie sollte im Lager sitzen und ihrem eigenen "Handwerk" nachgehen. Wenn die Zeiten so hart waren wie jetzt, musste selbst sie ran. Dabei hatten jetzt wieder mal alle gesehen, was passierte, wenn sie als Geschichtenzeichner sich in den Wald schlug. Sie war zur Jagd zu langsam und zu laut und zum Sammeln zu ungeschickt. Sie konnte sich vielleicht die Geschichte ihres Stammes merken und sie erzählen mit Lauten und Handzeichen und Tänzen, aber nicht wie ein guter Pilz von einem giftigen zu unterscheiden war. Unter anderen Umständen würden sie heute Abend über sie lachen am großen Feuer und ihr trotzdem großzügig etwas abgeben.
Kaum, dass sie in Hörweite des Lagers kamen, vernahmen sie die Trommeln. Sie hörten vereinzelte Rufe. Die meisten sahen sich gegenseitig verwirrt an.
„Hn?“ (Was hat das zu bedeuten?), fragte der junge Ro, dem noch kein Gesichtsfell wuchs.
„Iai?“ (Ist etwas Schönes passiert?), wollte Niki wissen.
„Hn?“ (Was ist los?), die langsame, alte Ini hörte die Trommeln nicht einmal.
Die Gefahren-Trommeln klangen anders. Dies waren Freudenklänge. Dabei waren die Schwangeren: Wana, Zoe und Fuš doch alle noch gar nicht so weit. Die Gruppe ging einstimmig dazu über schneller zu laufen, um so bald wie möglich im Lager anzukommen.
Sie hatten einen Platz gewählt der mit einem großen Felsüberhang überschattet war. Dort konnten sie gut ihre Vorräte trocken lagern, während sie die Zelte an den Seiten aufbauen konnten zum Übernachten.
Die Innenfläche des Felsens hatten Nat und Zoe mit ihren Händen und Ocker bemalt. Es war wunderschön geworden. Und jedes Mal, wenn sie hier herkamen und lagerten, konnten sie sich an den schönen Bilder erfreuen und sie als Erzähler erzählte die Geschichten neu.
Das Feuer qualmte etwas, wahrscheinlich hatte Mari wieder ein paar Kräuter reingeworfen, was die blutgierigen Insekten fernhalten sollte. Hier waren ein paar kleinere Teiche in der Nähe, aus dem sie manchmal Krabben fischen konnten, aber auch die blieben dieses Jahr aus. Es sah gar nicht gut aus. Und solange die Jäger nicht wiederkamen, konnten sie nicht weiterziehen.
Als die ersten ihrer Gruppe ankamen, brachen sie in Freudenschreie aus.
Auch Niš sah auf, sie hatte ihre Beeren bei Ini mit in den Beutel gelegt. Die alte Frau hatte ihr dafür einen Kuss auf die Wange gegeben. Ini wäre gerecht, wenn es zur Verteilung ging. Dann würde sie Niš eine Kleinigkeit abgeben, wahrscheinlich von den Haselnüssen, die sie mit ihren schlechten Zähnen eh nicht mehr so gut kauen konnte.
Sie rannte beinah in die breite Brust von Keš. Der Feurige mit den rotbraunen Locken sah sie liebevoll an. Er wirkte nicht sehr ausgemergelt von der langen Abwesenheit.
„Š Keš?“ (Du bist wieder hier?)
Die Trommeln, die Freudenschreie galten den Jägern. Natürlich ausgerechnet heute, als alles am schlimmsten gestanden hatte, kehrten sie zurück. Niš war sich spontan nicht sicher, ob sie sich freuen sollte, oder ob sie eher erleichtert war. Was hatte sie aufgehalten? Hatten sie Beute mitgebracht? Gab es Verletzte? Und wo war Har - der der mit dem Donner jagte? Nichts davon deutete sie laut an. Sie lächelte den Gelockten nur an, wurde leicht Rot und wusste, dass sie über und über mit Kratzern versehrt war.
„Ma Niš, ma.“ (Wie schön dich zu sehen, geht es dir gut?) Er griff nach ihren Händen, doch sie entzog sich ihm schnell.
„Ih-ie.“ (Ja ja, alles gut, lass nur.) So schnell sie konnte drückte sie sich an ihm vorbei und huschte weiter zum Feuer, wo sich alle sammelten.